„Fear – Anger – Love“, unter diesem Thema spielt in diesem Januar das Musik-Festival CTM in Berlin. Gegen die Wut und die Angst in politischer Propaganda setzt es die Liebe zur Vielfalt.
Das 18. CTM Festival for Adventurous Music and Art reanimiert die politische Dimension von experimenteller und Pop-Musik. Es geht um die Befreiung durch Emotionen, um die Angst und den Ärger, die die aktuelle Musikszene inspirieren und derzeitige politische Bewegungen, die sich besser wieder beruhigen sollten. Liebe sucht man vergebens.
Die Kuratoren Jan Rohlf, Oliver Baurhenn und Remco Schuurbiers sprechen mit der Themensetzung auch explizit die Angst und Wut an, die rechtspopulistische Parteien verbreiten. Liebe möchte man hier auch politisch verstehen – als eine, die nicht Gleichschaltung und Narzissmus propagiert, sondern eine Gemeinschaft unter Verschiedenen herstellt. „Und den Spaß muss man finden“, sagt Oliver Baurhenn im Interview, das ihr gleich hier im Anschluss lesen könnt. Den Spaß findet man auf dem CTM Festival – mit radikalen Formationen politischen Musikmachens, von Underground-Hip-Hop bis Afrofuturismus, vom Spiritual bis Metal und Noise. Es sind nicht zuletzt viele transnationale Kollaborationen von Musiker_innen und ihren Einflüssen und Stilen, die intensive, hybride Musik- und Medienformate kreieren. Über diesen Aspekt schließt das Thema dann auch fließend an das letzte Jahr an, in dem es um Weltmusik 2.0 ging.
Musik und Krieg
Das Festival zeigt und fragt nach den Chancen und Risiken musikalischer Auseinandersetzung mit politischen Ereignissen – von hier bis Mexiko. Und es verliert sich durchaus nicht im Vagen. Geladene Künstler_innen bespielen das Thema oft direkt, laut und gewaltig, wie die Performance-Gruppe NON Worldwide, die mit Tracks treibender Sample-Musik aus Grime und Trap über Pop bis zu Orchestralem, mit Ausdruckstanz, Licht und Video eindrucksvolle Szenen schaffen und das Bedürfnis hervorrufen, jeden Clubbesuch in eine Demo zu verwandeln. Eher ernüchternde Stimmungen dürfte Jenny Hvals Konzert vermitteln, die in ihrem neuesten Projekt ihre Erfahrungen und Emotionen während der Präsidentschaftswahl in den USA einfängt. Natürlich kann man vom Thema ganz unberührt nach eigener emotionaler Verfassung feiern und muss gar nichts vom überbordenden Diskurs-Programm des Festivals mitbekommen. Aber die Performances und Installationen wirken so direkt und ansteckend, dass sich nachher mit gutem Grund (nicht mit besserem Gewissen) in die nächtliche Katharsis rauschen lässt.
Wer sich im Vortragsprogramm des Festivals etwas umsieht, stößt hier schnell auf aufreibende und kritische Verbindungen zwischen (Pop-)Musik und Politik, an die unbedingt immer wieder erinnert werden sollte: Sonische Waffen, aber auch rassistisch und machtpolitisch motivierte Verteufelung von Musik, bis hin zu aktuellen Ausformungen von Panikmache und Verschwörung über Klänge als „digitale Drogen“.
Entsprechend des Themas sind auch im Interview mit Oliver Baurhenn die Emotionen etwas hochgekocht. Er erzählt unter anderem, was die Rechtspopulisten aus seiner Sicht nicht begriffen haben, was wir aus Schnulzen über unser (politisches) Handeln lernen können und welche Künstler_innen derzeit so richtig angry sind.
„Fear – Anger – Love“ – drei starke Gefühle, drei starke Künstler_innen?
Gut, also zu „Anger“ kann ich nur sagen: Vomir. Das Wort kommt aus dem Französischen, das „kotzen“ bedeutet. Vomir hat ganz viel „Anger“ angestaut und lässt das bei seiner Performance total raus, die Musik ist noisig und sehr physisch. Er zieht dich in seine Wut hinein, doch es wirkt faszinierend. Man denkt: Wow, was kommt nur alles aus dieser Person heraus!
„Fear“: Die größte Angst ist es wohl, die große Liebe zu verlieren. Hier möchte ich Genesis P-Orridge nennen. Sie/er hat sein – sorry – ihr Leben auf der Beziehung zu ihrer/seiner Frau aufgebaut. Ihr ganzes Leben, privat wie auch künstlerisch, haben sie sich aufeinander bezogen. Das Künstlerpaar hat sich durch Schönheitsoperationen sogar äußerlich einander angenähert, als versuchten sie eins zu werden, zu verschmelzen. Da muss also eine große Angst gewesen sein, den anderen zu verlieren. Dann ist es passiert; ihre/seine Frau ist gestorben. Wir präsentieren hier einen Film, in dem sie/er sich auf die Spuren der Partnerin begibt, um sich selbst wiederzufinden.
Und „Love“ bedeutet für uns, dass man Fan sein muss, Empathie haben muss, um sich so einer Sache zu widmen, aber auch die Beziehung der Künstler_innen zu ihrer Kunst.
Du sprichst also von eurer persönlichen und professionellen Beziehung zum Festival?
Ja. Liebe bedeutet hier Offenheit und das Stehen-Lassen-Können von Differenzen. Wenn so viele Leute zusammenkommen, kann das zu konfliktgeladenen Situationen führen. Ich sage mir oft: „Okay, die Welt ist komplex und es gibt ganz unterschiedliche Leute, aber ich kann das annehmen und so stehen lassen.“ Und um auf diese Ebene des Umgangs zu kommen, braucht man Liebe. Das Festival ist für uns so ein komisches Biest, das wir uns selbst anerzogen haben, das wir selbst in die Welt geworfen haben, das wir aber lieben, trotz aller Schwierigkeiten. Ich denke, es gibt hier eine kollektive Empathie und Liebe, denn am Ende wollen wir, das Team, die Künstler_innen und Besucher, alle etwas Ähnliches: nämlich dass es großartig wird!
Ist das ein Moment, dass in der Parteien-Politik fehlt? Braucht es ein Einverständnis, dass es am Ende nicht nur Gewinnen oder Verlieren gibt, sondern ein „Zusammen“?
Es geht mir nicht um Konsens. Es geht darum, Unterschiede akzeptieren und stehen lassen zu können. Das heißt aber nicht, dass ich Meinungen akzeptieren muss, die moralisch und ethisch nicht in Ordnung sind. Die muss man sogar ganz klar abweisen.
In Deutschland sind Hassströmungen immer ganz furchtbar, weil sie häufig mit Blut-und-Boden-Theorien verbunden werden. Das schlimmste daran ist, dass dabei das Glück Weniger auf dem Unglück vieler anderer beruht. Das ist Kolonialismus. Ich kann auch nicht nachvollziehen: Was ist so problematisch an dem Ganzen? Ich verliere meine Identität doch nicht, nur weil ich umgeben bin von vielen andersartigen Menschen! Wie ich bin und wie ich sein will, kann mir keiner nehmen. Ich muss gar keine Angst haben.
Aber du bist auch jemand, der sich in den rationalen Strukturen der Gesellschaft sehr gut organisieren kann und diese sehr gut nutzt – Gelder, Netzwerke …
Ich bin auch sehr emotional! Nehmen wir die Musik hier als Beispiel. In der Musik geht es immer um Affekte und Emotionen. Du kannst die Augen zu machen, du kannst deinen Mund halten, aber deine Ohren verschließen kannst du nicht. Musik wirkt direkt. Wir setzen Musik ein, um Emotionen zu verstärken oder abzuschwächen oder um über etwas hinwegzukommen – etwa durch ein schnulziges Liebeslied. Wir können uns auf dieses Lied einlassen und sogleich wieder blöd finden, was wir da hören, weil wir es als das, was es ist – ein schnulziges Liebeslied – reflektieren können. Nachdem wir eine Schnulze gehört haben, können wir uns auch wieder davon distanzieren. Bei Schrift und Bildern können wir das oft weniger. Wenn Menschen eine Hassbotschaft oder Falschmeldung lesen, können Sie sich oft nicht mehr so leicht davon distanzieren. Wir können die Emotion, die in Schrift und Bildern transportiert werden, schwerer begreifen. Die Musik können wir leichter einordnen. Deshalb fragen wir Kuratoren uns vom Festival auch, wie wir dieses Verständnis, dieses Wissen, auf andere Medien übertragen können.
Du meinst, es ist für die Gesellschaft und das Politische wichtig, seinen Gefühlen nicht zu unterliegen?
Ja, genau. Du bist deinen Gefühlen nicht ausgesetzt. Du bist auch deiner Angst nicht ausgesetzt. Man kann damit umgehen. Man kann Distanz dazu bekommen. Man kann sich auch da hinein begeben, aber man sollte wissen, weshalb man sich da hineinbegibt. Und das ist etwas, das wir aus der Musik lernen können.
Ich wurde letztens gefragt: Wie wollt ihr denn die Leute einbinden, die politisch als „verloren“ gelten …?
Welche Leute meinst du?
Ich meine die Rechtspopulisten. Viele meinen ja, man müsse denen zuhören. Ich muss sagen: Nee, man muss denen nicht zuhören. Man sollte ihnen sagen: Du musst mal eine Distanz schaffen zu dem, was du da emotional aufbaust! Man sollte sich mit jenen solidarisieren, die gewisse Affekte und Gefühle nutzen, um zusammen etwas zu schaffen, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit zusammenarbeiten können. Diese sind die wichtigen Leute für diese Gesellschaft. Und den anderen muss man nicht mehr Raum geben, als sie verdienen.
Ich habe mir erst gestern noch einmal die Rede von Björn Höcke (Politiker der deutschen, rechtspopulistischen Partei AfD) angehört und dachte bei mir: was für eine kleine Welt er doch will! Schwarz und weiß soll die sein, aber unsere Welt ist unglaublich lustig und bunt! Und es ist wichtig, dass man das erfährt im Leben. Natürlich gibt es viele Probleme, aber die kann man lösen und diesen Spaß muss man finden!
Den muss man auch riskieren.
Ja, man darf sich nicht abschotten. Aber die Idee, dass die anderen einem etwas wegnehmen könnten, setzt auch voraus, dass man glaubt, dass man etwas Besonderes, etwas Besseres ist und dass die Anderen das eben nicht sind und uns etwas neiden. Aber das ist nicht so. In vielen Teilen der Welt neidet man es uns ganz und gar nicht, dass wir hier weiß und reich sind und frieren.
Ihr setzt dieses Jahr im Programm einen Fokus auf Mexiko. Warum also Mexiko?
Mexiko steht hier als Beispiel für eine Suche nach gesellschaftlicher Verortung. Mexiko ist sehr divers; es gibt eine Jahrtausende alte Geschichte, die indigene Bevölkerung, die europäische und die afrikanische, erzwungene, Migration. Es geht in der Ausstellung darum, wie ein Staat versucht, sich eine Identität zu geben, obgleich man sich nicht auf eine bestimmte „Leitkultur“ durch vermeintliche Herkunft, Hautfarbe oder Religion berufen kann. Es kann dann nur einen gesellschaftlichen Konsens darüber geben, wie man sich auf diesem Flecken Erde bewegt und verhält.
In unserer Ausstellung gibt es zum Beispiel den Künstler Roberto Morales, der die geistige und künstlerische Strömung des Indio-Futurismus in Mexiko vertritt, der versucht, verschiedene Kulturen zusammen zu denken. Dann gibt es etwas, das wir in Europa so gar nicht haben – diese Megastädte, wo ganz unterschiedliche Hintergründe aufeinanderprallen. Dadurch gibt es auch Abschottungsversuche. Es geht in Mexiko sehr viel um das Aushalten von Spannungen, den Versuch, diese zu lösen und auch das Scheitern daran.
Nachfrage: „Love“ – nennst du mir bitte noch einen Künstler oder eine Künstlerin?
Liebeslieder? Nein, nein, es gibt wirklich keine Künstler_innen, die in diese Kategorie sortiert werden können. Die Liebe meint hier das, was wir erreichen wollen, Liebe muss man vielleicht auch als politischen Begriff verstehen.
Das CTM Berlin – Festival for Adventurous Music and Art läuft noch bis zum 05. Februar in diversen Locations, u. a. im Berghain, YAAM und HAU Hebbel am Ufer. Weitere Infos und das gesamte Line-up unter: www.ctm-festival.de. Einzeltickets für Konzerte und Club-Nächte sind noch verfügbar.