„Das Bauhaus der Wissensgesellschaft“

Bevor er 2002 Rektor an der Akademie der bildenden Künste in Wien wurde, leitete Stephan Schmidt-Wulffen den renommierten Kunstverein Hamburg. Nun verschlägt es den Kunsttheoretiker ausgerechnet ins beschauliche St. Pölten. Warum? Weil er aus der dortigen New Design University eine Hochschule mit internationalem Format machen will.

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Sie wechseln von einem Haus mit großer Tradition und beachtlicher öffentlicher Wahrnehmung als Rektor zu einer kleinen Privatuniversität in eine Stadt, die von vielen hämisch als provinziell abgetan wird. Wie empfinden Sie diesen Schritt in Ihrer beruflichen Laufbahn?

Stephan Schmidt-Wulffen: Die New Design University ist eine kleine Universität, hinter der eine potente Trägerin steht, die jetzt diese Universität neu positionieren will. Das ist eine unglaublich spannende Aufgabe. Zumal in einem Moment, wo das Design viele Vorstellungen der Kunst übernimmt, um sie in der Realität und nicht nur im Museum umzusetzen. Und da spielt es keine wesentliche Rolle, wo man eine Lehr- und Forschungsinstitution auf die Beine stellt. Das Bauhaus entstand auch nicht in Berlin, sondern in Weimar, dem St. Pölten Thüringens.

Ihre Arbeit als Rektor in Wien war auch von vielen Konflikten innerhalb der Akademie geprägt. War auch das ein Grund zum Wechsel? Oder anders gefragt: Sie sind müde von den Konflikten und erwarten Sie sich in St. Pölten weniger Widerstand?

Schmidt-Wulffen: An den Kunstakademien trägt man einen Kampf mit einer jahrhundertealten Geschichte aus, die in den Strukturen der Lehre und in einem heroischen Künstlerbild überlebt. Es besteht in der Tat eine akute Gefahr, dass die kulturelle Entwicklung an diesen Ausbildungsstätten einfach vorbei geht. In Wien haben wir einiges bewegt und es wird sich zeigen, ob das Bestand hat. Aber es hat tatsächlich viele Kräfte gekostet. Die NDU ist dagegen eine sehr junge Institution, die noch ihre Rolle finden muss. Da gibt es ein engagiertes Team von Lehrenden, die sich ganz offensichtlich über einen neuen Mitdiskutanten freuen. Und es gibt vor allem noch kein festgefahrenes Bild der Kunstuniversität. Wir werden hier das Bauhaus der Wissensgesellschaft entwickeln, jenseits von alten Designkategorien, jenseits von ›angewandt‹ oder ›frei‹ und orientiert an den vielen Problemen, die sich der heutigen Gesellschaft stellen.

Die Designausbildung in Österreich ist zwischen zwei extremen Polen angesiedelt: Von der traditionell kunstlastigen »Angewandten« bis zur international beachteten FH Joanneum, die sehr eng mit der Wirtschaft kooperiert. Die NDU ist als Gründung der Wirtschaftskammer per se marktorientiert. Manche meinen, die Absolventen seien mehr angepasst als kreativ. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Schmidt-Wulffen: Ich hoffe für die Design-Studierenden an der Angewandten und am Joanneum, dass ihre Ausbildung marktorientiert ist. Eine der interessanten Aspekte von Design ist ja gerade, dass es nicht am Geschmack und Verständnis der großen Öffentlichkeit vorbeigehen kann. Die Wirtschaftskammer hat viel weiter gesteckte Ziele: Hier geht es schon darum, die Talente im Land – auch jene aus dem Handwerk – an einer internationalen Entwicklung der Wissensgesellschaft partizipieren zu lassen. Die Entwicklung dieser Gesellschaft hängt auch von den Märkten ab, sie ist aber nicht nur ›marktorientiert‹.

Bisher wurde in St. Pölten auf eine gute handwerkliche Grundlage der Studierenden Wert gelegt, die deshalb beruflich auch sehr gute Perspektiven hatten. Allerdings ist sicher auch richtig, dass der Unterricht dabei etwas verschult ist. Jetzt geht es darum, kreative Freiräume zu schaffen, räumlich und in den Studiengängen. Darüber denken wir zurzeit nach und werden sicherlich schon das Wintersemester 2011 in inspirierenderen Räumlichkeiten beginnen.

Wo steht die NDU zur Zeit? Wo sehen Sie Positives, wo die größten Schwächen?

Schmidt-Wulffen: Die NDU ist im Aufbau begriffen. In ihren drei ›Säulen‹ – Gestaltung, Technik, Management – existieren einige Bachelorprogramme, wenige Master, keine Doktorate. Jetzt muss man die Aufbauphase abschließen, in dem sich vieles auch dem Zufall verdankte und zu einem gemeinsam Leitbild finden. Das Thema der materialen Kultur kann ich mir als ein solches gemeinsames Dach vorstellen, das auch entsprechende Forschungsschwerpunkte liefern würde. In allen drei Fakultäten fehlen noch Programme, die noch dazu stärker verzahnt sein sollten. Die Stärke der NDU liegt im Moment sicherlich in ihren grundständigen Studien, wie sie die Fakultät für Gestaltung anbietet. Sie liegt in einem unglaublich engagierten Lehrkörper, der die Studierenden zu begeistern weiß. Und schließlich in der Entschlossenheit der Trägerin Wirtschaftskammer, die jetzt den Erfolg dieser Schule national und international will.

Wie sieht Ihr Zeithorizont für diesen Job aus? Welche konkreten Ziele können Sie jetzt schon nennen? Und innerhalb welchen Zeitraums sollen diese erreicht werden?

Schmidt-Wulffen: Ein wichtiges Ziel ist der Neubau, den wir zusammen mit dem WIFI und finanziert von der Wirtschaftskammer betreiben. Hier gibt es eine atemberaubende Dynamik. Der Wettbewerb wird demnächst ausgeschrieben und das Gebäude soll 2014 bezogen werden. Wir werden in diesem Jahr gemeinsam eine Gesamtkonzeption für diese Universität entwickeln und entscheidende neue Programme im Laufe des nächsten und übernächsten Jahres implementieren. In drei Jahren könnte die NDU drei Mal so viel Studierende haben wie heute – rund 700.

An der Akademie gelten Sie als ein Mann, der die Studierenden an den Markt heranführen will – Stichwort: Marketing. Sehen Sie auch bei den sogenannten Kreativen einen Mangel an Realitätssinn, was die berufliche Realität betrifft?

Ich weiß nicht, woher Sie das haben. Ja, ich habe immer auf die harten Realitäten nach dem Studium hingewiesen. Aber ich habe damit eigentlich nicht die Selbstvermarktung propagieren wollen, sondern auf andere Formen heutiger Kunst in der Gesellschaft hinweisen wollen. Für das Design gilt dasselbe. Wer sich hier nur auf den herrschenden Geschmack einstimmt, der hat schon verloren. Auch im Design zählt die kritische Betrachtung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, weil nur dann Freiräume für gestalterische Aufgaben entstehen.

In einem Interview meinten Sie, die Kreativwirtschaft hätte noch ein enormes Entwicklungspotenzial. Der Amerikaner Richard Florida hat bereits vor zehn Jahren das Zeitalter der Kreativität ausgerufen, derzeit findet ein weltweiter Kreativ-Wettkampf statt. Was konkret meinen Sie mit Entwicklungspotenzial? Geht’s da mehr um Arbeitsplätze oder gesellschaftliche Relevanz? Ist der Begriff »Creative Class« nicht auch ein Euphemismus, der verschleiern soll, dass viele Kreative am Existenzminimum leben?

Schmidt-Wulffen: Offenbar gibt es eine ästhetische Intelligenz, die anders funktioniert als die Vernunft von Wissenschaft und Logik. Diese ästhetische Intelligenz, für die noch Kleist und Novalis gekämpft haben, hat während der Industrialisierung ihr Exil in den Künsten gehabt. Aber jetzt, in der Wissensgesellschaft, kehrt sie offenbar wieder in die Gesellschaft zurück. ›Kreativität‹ ist ein ziemlich hohler Begriff und niemand, auch nicht Richard Florida, kommt bei seinen Beschreibungsversuchen über Plattitüden hinaus. Viel interessanter ist dagegen, diese ästhetische Intelligenz in ihrer Mechanik zu durchleuchten. Sie findet Aufmerksamkeit eben nicht nur in den traditionellen Bereichen der Creative Industries, sondern z. B. auch im Management. Hier scheint mir die entscheidende Rolle der Kunstuniversitäten heute zu liegen: In der Gesellschaft für diese Form des Denkens ein Bewusstsein zu schaffen, es zu erforschen. Das meine ich, wenn ich vom Entwicklungspotenzial der Künste und des Designs spreche. Und das Prekariat ist keine Erfindung des Postfordismus! Wenn ich an die vielen denke, die in diesem Land von Armut bedroht sind, dann klingt die Klage vom Existenzminimum, für das sich viele Kreative nach einer jahrelangen exquisiten Ausbildung selbst entscheiden konnten, auch ein wenig larmoyant.

Zuletzt noch eine private Frage: Werden Sie nach St. Pölten übersiedeln? Oder doch pendeln?

Schmidt-Wulffen: Ich sehe die NDU in der Zukunft als eine kreative Schule, die an vielen Orten agiert. Da muss man nicht unbedingt nach St. Pölten ziehen.

Ad Personam

Stephan Schmidt-Wulffen wurde 1951 in Witten/Ruhrgebiet geboren und studierte Philosophie, Sprachwissenschaft und Kommunikationsdesign. Er begann als Journalist und Kunstkritiker, unterrichtete ab 1988 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und leitete von 1992 bis 2000 den renommierten Kunstverein Hamburg, ein Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst. Seit 2002 ist er Rektor an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Mit Sommer 2011 verlässt er die Akademie in Richtung St. Pölten, wo er als Rektor der New Design University bestellt wurde.

Alle Fotos zeigen bisherige Arbeiten der New Design University St. Pölten.

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