Mit der Auslotung von Geschmacksgrenzen unterhält die Wienerin Stefanie Sargnagel seit Jahren eine eingeschworene Facebook-Gemeinde. Nun erscheinen die schönsten und witzigsten Status-Meldungen in Buchform.
Das Cafe Weidinger ist ein altes Traditionskaffeehaus am Wiener Gürtel. Gleich neben der Lugner City. Im Weidinger ist es gemütlich, vor allem dann, wenn man Grind super findet. Die Sitzbänke sind speckig, die Tische schwitzen, der Boden pickt. Richtig gut ist die Luft nur am Häusl. Um auf den Abort zu gelangen, muss man durch den schwach frequentierten Nichtraucherbereich. Dort lungern auffällig gut gepflegte Karamboltische herum und es stinkt auch. Nach Schülerschweiß. Verschwindet Stefanie Sargnagel im Weidinger, um Frischluft zu schnappen, kündigt sie das mit einem herzhaften »Ich geh brunzen!« an.
Kommt sie zurück, sitzt ihre rote Baskenmütze, seit Jugendtagen ihr Markenzeichen, unmerklich, aber doch immer ein wenig anders. Ob sie beim Brunzen verrutscht, vorm Spiegel zurechtgezupft wird oder beides – man muss nicht alles fragen, und wissen schon gar nicht. Auf die Idee, sie Rotkäppchen zu nennen, kommen übrigens nur alte Männer an der Theke. Nichts wäre, folgt man Sargnagels Selbstbeschreibung, unpassender, es sei denn: »Rotkäppchen würde den Kuchen selbst fressen, den Wein exen, den Wolf vergewaltigen und dann zur Großmutter Geld schnorren gehen.«
Man merkt, die Wienerin füttert einen gerne mit Informationen aus ihrem Leben. Früher tat sie dies mit Blogeinträgen, mittlerweile veröffentlicht sie ihre kleinen MS-Paint-Cartoons und pointierten Alltagsbeobachtungen in ihrem Fanzine Extrem deprimierende Zines und eine Spur publikumswirksamer auf ihre Facebook-Seite. »Irgendwie zog der Blog für meinen Geschmack zu weite Kreise und war nicht mehr anonym. Ich hab dann nur mehr Facebook verwendet, weil es praktischer war, es hat wie bei vielen Leuten dann einfach das Bloggen ersetzt«, erzählt Sargnagel, die auf der Akademie der bildenden Künste bei Daniel Richter Malerei studiert, über ihr Ende als Bloggerin.
Kurz war sie auch auf Twitter, hat es aber relativ rasch wieder aufgegeben. Weil zu viele mitlesen könnten? Weil sie bewusst kein Internet zu Hause in ihrer Künstlerklause in einem Margaretener Gemeindebau hat? Weil sie, wenn sie nicht gerade eine Zigarette dreht, lieber mit einem alten, abgeschlagenen Nokia-Handy herumhantiert als ziellos auf einem Smartphone-Display herumzuwischen? »Auf Twitter herrscht so ein Pointenzwang, das gefällt mir nicht!« Das passt. Wenn Sargnagel nämlich via Facebook aus ihrem Leben erzählt, bevorzugt sie eher die zwanglose Pointe. Und: »Ich hasse Wortspiele, die sind mir einfach zu gekünstelt.«
Anleitung zum Saufen
Ganz so rigide sieht es die 27-Jährige unterm Strich dann aber wohl weder mit dem absoluten Kontrollwillen über ihre Leserschaft noch mit der Wortspielerei. Ende November erscheint nämlich mit »Binge Living – Callcenter-Monologe« ihr literarisches Debüt. Das besteht vorwiegend aus ihren amüsantesten Facebook-Statuseinträgen und einigen ausgewählten Cartoons. Im wünschenswerten Erfolgsfall hat man dann als Künstler nicht unbedingt die Möglichkeit zu bestimmen, wer einen liest.
Zudem findet sich in diesem schmalen Büchlein, das die letzten fünf Jahre aus dem Leben der Künstlerin zusammenfasst, die sich halbtags in einem Callcenter verdingt und quasi als »Fräulein vom Amt« Rufnummern beauskunftet, auch folgender Eintrag: »Elegant sagen, dass man scheißen geht: Ich mousse au chocolat.« Auf die kleinen Widersprüchlichkeiten angesprochen und mit dem eigenen Wortspiel konfrontiert, gibt es einen Anflug von Lächeln, das gleich mit einem kräftigen Schluck aus der Bierflasche weggespült wird. Es ist mittlerweile das dritte Gösser und der Kellner hat das unbenutzte Glas, das am Tisch herumsteht, nun endgültig abserviert.