Drei Jahre ist es her, dass Graz zur Unesco City of Design gekürt wurde, zeitgleich zu Kürzungen im Kultur- und Sozialbudget der Stadt. Hat es wenigstens die erhofften Erfolge gebracht?
Christian Buchmann, Wirtschaftslandesrat Steiermark
Innovation und unternehmerisches Denken spielen eine wesentliche Rolle für die positive Entwicklung eines modernen Wirtschaftsstandorts. In der Steiermark werden diese Faktoren von den vielen kreativen Köpfen hervorragend gelebt. Seit Jahren wächst die Zahl der Unternehmen in der Kreativwirtschaft und sie bringen Innovationen am laufenden Band hervor. In der Steiermark gibt es 3.910 Kreativunternehmen mit insgesamt 12.930 Beschäftigen, die rund 1,3 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr erzielen. Die Kreativwirtschaft ist damit in den letzten Jahren zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor mit hohem Wachstumspotenzial geworden. Graz ist als Unesco City of Design ein anerkannter Hotspot geworden, designorientierte Projekte und Events werden weit über die Grenzen von Graz und der Steiermark hinaus wahrgenommen. Der Designmonat Graz lockte etwa im Jahr 2013 rund 75.000 Besucherinnen und Besucher an, das Designforum Steiermark zählt pro Jahr rund 60.000 Gäste und die fortschreitende internationale Vernetzung schafft Partnerschaften mit anderen Unesco Creative Cities wie Buenos Aires, Nagoya oder St. Etienne, das heuer im Designmonat zu Gast sein wird. Übrigens: Ein internationales Magazin reihte den Designmonat Graz unlängst unter die »20 most vibrant design events« – weltweit! Diese Beispiele zeigen, dass die Ernennung von Graz zur Unesco City of Design zur Stärkung des kreativen Milieus in der Steiermark beigetragen hat. Die Auszeichnung ist aber nicht das Finale, sondern der Beginn eines herausfordernden Auftrages, nämlich die Kreativwirtschaft weiter mit Handwerk, Gewerbe und Industrie erfolgreich zu vernetzen. Denn nur so entsteht das, was unsere Wirtschaft so dringend braucht, nämlich Innovation, Wachstum und Wertschöpfung. Dr. Christian Buchmann, 51, ist seit 2005 Mitglied der Steiermärkischen Landesregierung. Er ist derzeit als Landesrat für die Ressorts Wirtschaft, Europa und internationale Beziehungen sowie Kultur zuständig.
Heidrun Primas, Vorstandsvorsitzende Forum Stadtpark
Wir brauchen einen differenzierten Diskurs Wenn man Stadt-, Gesellschafts- und Kulturentwicklung ganzheitlich denkt, ist es nicht sinnvoll, Initiativen und deren Wirkung von einander isoliert zu betrachten. Das Klima für die Kreativwirtschaft in der Stadt hat sich in den letzten drei Jahren sicher positiv verändert und gerade kleine Unternehmen sind erfreulicherweise sichtbarer geworden. Man muss jedoch sehen, dass zur gleichen Zeit die Kürzungen im Kultur-, Sozial- und Bildungsbereich Schaden angerichtet haben. Kleine Initiativen sind mitunter kaum noch überlebensfähig. Die Auswirkungen, vor allem an den Rändern der Gesellschaft sind dramatisch. Begriffe wie Kreativität, Kunst, angewandte Kunst bzw. Design werden oft verwaschen verwendet. Es ist sinnvoll, zwischen angewandter Kunst, an deren Ende zwingend ein verwertbares Produkt stehen muss, von Kunst als für sich stehenden Prozess, welcher – im Sinne von Grundlagenforschung – nicht immer verwertbar sein muss, zu differenzieren. Diese beiden Ansätze können wertneutral nebeneinander stehen, jedoch hat das City of Design-Projekt jenen Ansatz gefördert, der Kunst und/oder Design primär als wirtschaftliches Produkt sieht und ihre Verwertbarkeit in den Vordergrund rückt. Insofern ist es auch bezeichnend, dass sich hinter den Positionen Kulturlandesrat und Wirtschaftslandesrat eine Person befindet. Die Intention hinter Projekten, die sich durch die Kombination der beiden Ressorts ergibt, ist sicher positiv – jedoch ist eine Zusammenführung von Wirtschaft und Kultur immer eine heikle Angelegenheit, die Fragen nach der Unabhängigkeit und Freiheit der Kunst aufwirft. Dass Graz City of Design ist, ist gut. Mir liegt vor allem am Herzen, dass Graz seit 2001 Stadt der Menschenrechte ist. Das ist eine »Marke«, unter der sich eine zukunftsweisende, kulturpolitische, über den Tellerrand einzelner Interessen hinausführende Diskussion und Wirkkraft beheimaten ließe. Heidrun Primas ist Vorstandsvorsitzende des Forum Stadtpark, welche eine Grazer Aktionsgemeinschaft von Künstlern, Wissenschaftlern und Kulturschaffenden ist. Zuvor war sie als Architektin und Künstlerin tätig.
Iris Kastner, Designshop-Inhaberin
Branding City of Design Auf Basis von Interviews mit Vertretern der lokalen Kreativwirtschaft wird in einer Studie behauptet, dass das City of Design Branding als eine langfristige Strategie wahrgenommen wird, welche ein Impuls für nachhaltige Stadtentwicklungsprozesse sein kann. Ein Produkt wurde verkauft, ein Image kreiert. Die Bewerbung von 2011 betont, dass das Ziel jenseits der bloßen Verpackung steht. Es geht um den Mehrwert für den Menschen und seine Umgebung. Ist auch das gelungen? Ein Kritikpunkt, der in der kreativen Szene immer wieder fällt, ist die Vereinnahmung. Politische Kräfte haben die Kreativwirtschaft für ein Branding forciert. Es wird mit Phänomenen des Marketing betrieben, die man vor Ort nicht entsprechend schätzt. Nachdem das Branding erledigt ist, könnte man sich auf grundlegende Dinge konzentrieren, die der Kreativwirtschaft mehr Sicherheit geben, wie z.B. Copyright oder Patentrecht. Das Maß an Wertschätzung an kreativen Leistungen zeigt sich aber auch in der Bezahlung eben dieser. Das scheint noch im starken Gegensatz zu den Ausgaben für das Branding von City of Design zu stehen. Der Titel City of Design ist eine Chance für Graz und positiv zu bewerten. Vieles wurde seither unternommen, einiges ist gelungen und manches ist gescheitert. Können Effekte und Nutzen des Titels überhaupt messbar sein, außer in Zahlen (z.B. Besucherzahlen oder Nächtigungszahlen), die ja auch wieder erstens geduldig und zweitens interpretierbar sind? Was Relation und Kontrolle der Mittel von Stadt und Land betrifft, so ist ein Diskurs angesagt, der auch stattfindet. »Der Begriff ‚Design’ ist anfällig überstrapaziert zu werden, daher empfiehlt es sich sorgsam damit umzugehen« – so steht es schon in der Bewerbung von 2011 ... Iris Kastner hat 2008 die Designplattform Kwirlin Graz gegründet. Kwirl ist Plattform für nachhaltige Gestaltung und setzt heimische Produktionen in den Kontext von zeitgenössischem und internationalem Design.
Philipp Raunigg, Geschäftsführer einer Kreativagentur
Graz in der Identitätskrise „Juhu ... nun sind wir auch noch City of Design! Zum Glück erinnern uns nette weiße Kleber daran, die schon seit drei Jahren an ausgewählten Auslagen und Fenstern picken. Irgendwie habe ich das Gefühl, unsere städtischen Führungskräfte leiden unter einer Identitätskrise. Sind wir jetzt eher Genusshauptstadt oder doch mehr Kulturhauptstadt ... oder vielleicht sogar bald Design-Genuss-Erbe? Es ist schön, dass sich Graz unter klingenden Design-Städten wie Shanghai und Berlin wiederfindet. Eine bewundernswerte Errungenschaft, wenn man bedenkt, dass diese Mitgliedschaft konzeptionell am Reißbrett einiger weniger Protagonisten in Graz entstanden ist und nicht wie anderswo – das wage ich einfach mal zu behaupten – langsam aus der gesellschaftlichen Kultur gewachsen ist. Deshalb wird es auch noch Jahre dauern, bis Design als Grundqualität in unser kulturelles Fleisch und Blut übergegangen sein wird. Erst dann werden wir nachhaltige wirtschaftliche und touristische Erfolge verbuchen. Hoffentlich gehen den Initiatoren bis dahin nicht die Kräfte aus. Jetzt wirkt einiges noch etwas verkrampft. Seltsam ist leider die Tatsache, dass die Stadt Graz ihr eigenes Brand Design nicht unter den vielen herangezüchteten und hochgelobten Designern und Designagenturen ausgeschrieben hat, sondern das visuelle Aushängeschild ohne Expertisen mit Inhouse-Grafik umgesetzt hat. Das zeugt von wenig Vertrauen in die eigene hochgelobte Design City. Das Ergebnis spricht für sich. Trotz aller Kritik – wir alle versuchen in einem zukunftsträchtigen Segment Fuß zu fassen. Design hat Relevanz! Das steht fest und davon bin auch ich überzeugt. Wir stehen als City of Design in den Kinderschuhen. Aber wir lernen. Und wir werden in Zukunft noch mehr mitmischen als heute. Philipp Raunigg, 41, ist Geschäftsführer der Kreativfirma Raunigg und Partner GmbH. Er betreut Kunden im Bereich Werbung, Marketing, Kommunikation und Markenpositionierung.
Tina Herzl, Fotografin
Graz wird cooler Da es mich vor 15 Jahren aus Graz weg nach New York gezogen hat und ich mittlerweile in Wien lebe, kann ich die Situation nur von außen und mit ein wenig Abstand betrachten. Aber wenn ich auf Besuch in Graz bin, kann ich sagen: was ich sehe, gefällt mir! Seit dem Kulturhauptstadt-Jahr 2003 hat in Graz ein großer und sehr positiver Wandel stattgefunden. Neben architektonisch spannenden Bauten und einigen interessanten Gastro-Konzepten erblüht in Graz ein neues, hippes Kreativ-Gretzl rund um das Kunsthaus auf der „anderen“ Murseite. Ein Viertel, das davor komplett unbelebt war. Zudem haben sich international höchst erfolgreiche Mode-Marken wie Lena Hoschek und Andy Wolf Eyewear herauskristallisiert. Und die sind nicht sofort nach Wien oder in die weite Welt gezogen, als sich der erste Erfolg abgezeichnet hat – sie sind in Graz geblieben. Das will schon was heißen. Ich selbst arbeite als Fotografin auch mit Grazer Design-Agenturen wie moodley Brand Identity und Julia Klingers VON K Design zusammen und sehe, dass die nicht nur massenhaft Preise abräumen und kontinuierlich expandieren, sondern - von Graz aus - einige der größten und prestigeträchtigensten Kunden des Landes akquirieren. Ich freue mich auch über den sich stetig verbessernden Designmonat, und kann die gut sortierte und wirklich sehenswerte Möbelausstellung „selected“ sehr empfehlen. Aber am tollsten finde ich, dass Christian Jungwirth es mit seiner neuen Fotogalerie immer wieder schafft, die angesagtesten internationalen Fotografen nicht nur in Form ihrer Arbeiten, sondern meist auch persönlich nach Graz zu bringen. Ob das alles mit der Unesco City of Design-Nominierung zusammenhängt, ist schwer zu sagen. Fakt ist – Graz wird cooler. Tina Herzl wurde in Graz geboren. Sie absolvierte ein Studium an der Parsons School Of Design in New York und arbeitete danach drei Jahre lang in einer Werbeagentur in Manhattan. Seit 2006 lebt und arbeitet sie als freie Fotografin in Wien.
Eine Unesco-City of Design kann nicht jeder werden. Eine City of Design hat eine lebendige Design- und Kreativbranche, setzt starke Impulse im Bereich Architektur und Design, hat ein charakteristisches Stadt-Design und moderne Ausbildungsstätten für Kreative. Die Unesco hat Graz für all diese Dinge ausgezeichnet, die Stadt darf sich seit dem 14. März 2011 »City Of Design« nennen.
Um dieses Ziel zu erreichen bzw. alle Initiativen zu bündeln, sind die Creative Industries Styria GmbH entstanden, die damals mit der Bewerbung beauftragt wurden und als Drehscheibe zwischen Wirtschaft und Kreativszene agieren. 1,5 Millionen Euro wurden für die Umsetzung des Projekts zur Verfügung gestellt – eine Ausgabe, die nicht alle als gerechtfertigt empfanden. Immerhin wurden im selben Jahr drastische Kürzungen im Bildungs-, Sozial-, Gesundheits- und Kulturressort angekündigt. Aber Moment – im Kulturressort? Gehört Design nicht dort dazu? Diese Ambivalenz schmiss Kritikern Holz ins Feuer: das City of Design-Projekt sei nur ein Prestigeobjekt für einzelne Politiker, Geld würde primär für Marketingzwecke ausgegeben, anstatt Kulturschaffende zu fördern.
Bringen soll das Ganze, dass das schon vorhandene kreative Potenzial der Stadt ganz nach oben auf die Agenda kommt und, dass Design in das städtische Lebensgefühl übergeht. Die City of Design soll Impuls für Graz als Standort, für Kreativwirtschaft und Tourismus sein. Dass kreatives Potenzial schon vorher vorhanden war, welches es durch den Titel und die neuen Strukturen nur zu bündeln galt, kann man schwer bestreiten. Die FH Joanneum ist mir ihren designspezifischen Ausbildungsschwerpunkten zu einem Zentrum der Branche gewachsen und Architektur und Stadtplanung spielen in der Region schon länger eine verhältnismäßig große Rolle. Insofern könnte es ja durchaus Sinn machen, das auch in internationale Strukturen einzubetten.
War dieses Bestreben der letzten drei Jahre sinnbringend für die lokalen Kulturschaffenden?