Eine eigene Band gründen, proben, live spielen und den Durchbruch schaffen. Welcher Teenager, der sich ein Instrument zulegt, träumt nicht davon? Ein steiniger Weg, der vor der Internet- und Smartphone-Revolution sogar noch beschwerlicher war. Dafür war vieles andere wiederum weit weniger komplex. Ein Blick zurück in die 90er.
»Eiergroßhandel Jotzoff, guten Tag.«
»Grüß’ Sie, Höller hier, ich möchte gerne wissen, ob Sie diese großen Eierkartons auch leer verkaufen?«
»Wie groß ist denn der Proberaum?«
»Wie bitte?«
»Wie groß der Proberaum ist – oder für was brauchen Sie sonst die Eierkartons?«
So ungefähr begann mein vermeintlich besonders raffinierter Plan, Eierkartons zur Schallisolation im Proberaum meiner Band günstig und schnell zu ergattern. Klappte eh, der freundliche Herr rechnete flugs die benötigte Menge und den Preis aus, die Ware stand am nächsten Tag zur Abholung bereit. Kein Wunder, denn Eierkartons waren und sind nun mal die erste Wahl bei Low-Budget-Akustikmaßnahmen. Und ich war offensichtlich nicht der erste Anrufer, der deswegen den Eiergroßhandel löcherte.
Was natürlich auch noch zum Proberaum gehört, nebst Instrumenten, Verstärkern und PA: eine bequeme Couch, Equipment zum Aufnehmen und so weiter. Jedoch: Wir schrieben das Jahr 1996, von heutigem Allgemeingut wie Internet, Smartphone und leistbaren Laptops waren wir meilenweit entfernt. Die Suche nach einer ausgemusterten Couch, am Handy via Willhaben heute eine Frage von Minuten, gestaltete sich damals ungleich schwieriger. Eventuell über die gedruckte Ausgabe des Bazar, des Print-Vorläufers von Ebay & Co? Und wie die geprobten Nummern aufnehmen? Puh, schwierig, da musste ein kompliziertes, riesiges Vier-Spur-Gerät her, zu bestücken mit gewöhnlichen Audiokassetten. Kein Handy, kein Laptop, keine DAW.
Das alles war stets mit immens hohen Kosten verbunden, was im diametralen Gegensatz zu den oft prekären Dayjobs (sofern vorhanden) stand. Die einzige Möglichkeit, ein wenig Zaster in die unter anderem auch für Bier und Proberaummiete zu plündernde Bandkassa zu spülen, waren bezahlte Gigs. Und da tat sich schon das nächste Hindernis auf.
Genug geprobt, was nun?
Okay, nach vielen mühsamen Stunden des Herumfeilens am eigenen Material (Coversongs waren bei uns verpönt – mit Ausnahme einer famosen Version von Depeche Modes »Behind the Wheel«), hieß es nun, Möglichkeiten für Auftritte auszuloten. Also persönlich die einschlägigen Lokale abklappern, über ein paar Bier die recht rohen Demos aushändigen. Kostet Zeit und Geld. Dann endlich einen Gig gelandet, der beworben werden muss. Noch ein Glück, dass ich bereits damals die Möglichkeit hatte, in meinem Ziviljob als Grafiker selbst im »QuarkXpress« (!) Poster und Flyer zu gestalten. Halt, warte, Bandfoto musste ja auch noch her! Also ein, zwei Filme (!!) verknipsen, entwickeln lassen, einscannen, jetzt aber. Das verursachte wieder – erraten – lästigen Zeit- und Geldaufwand. Ebenso wie die Vervielfältigung der Poster und Flyer in einem der damals boomenden, aber sündteuren Copyshops. Und so weiter.
Heutzutage hätte ich das so gemacht: Mit dem Handy oder Laptop (heute bereits Grundausstattung jedes Pflichtschülers) Band aufnehmen, Band mit dem Handy fotografieren, alle möglichen Spielstätten anmailen, Facebook-Veranstaltung erstellen, über Insta, Tiktok und Snapchat in die ganze Welt hinausposaunen, fertig. Zeitaufwand: ein Tag, Geldeinsatz quasi null. (Sofern man Handy und Internetaccount heute als grundsätzlich vorhanden betrachtet, wie ein paar Schuhe.) Mag sein, dass ich mir das jetzt auch simpler vorstelle, als es in der Realität ist. Aber einen gewissen Neid auf die heute zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten verspüre ich trotzdem.
Für die Nachwelt
Letzte Zugabe gespielt, verschwitzt und glücklich, das Publikum ist zufrieden. Schöne Erfahrungen. Was mir von zahlreichen, mitunter illustren Gigs blieb: Verschwommene Erinnerungen und ein einziges Videodokument, und auch nur, weil damals bei einem Konzert zufällig jemand eine Videokamera im Format eines Ziegelsteins dabeihatte. Immerhin. Auch von den unzähligen Proben im Eierkartonkeller gibt es keine Aufzeichnungen mehr, die mühselig erstellten Demos wurden allesamt irgendwo versemmelt oder unwissentlich mit anderem Material überspielt.
Hätten wir nicht damals einmal ein »professionelles« Demo in der SAE (School of Audio Engineering) aufgenommen und in weiterer Folge sogar um teures Geld in einem echten Studio eine richtige CD produziert, gäbe es heute keine Dokumentation unseres doch recht ambitionierten Schaffens. Eine CD übrigens im Wert von rund 125.000 Schilling (inflationsbereinigt 14.000 Euro) an Studio Fees, die trotz eifrigen Klinkenputzens bei zig Labels nie veröffentlicht wurde. Nicht etwa, weil sie schlecht war, unsere Mischung aus Metal, Goth und Grunge war schon gut. Aber das war Mitte der 90er einfach nicht gefragt, Pech.
Da bin ich heute schon ein wenig verschnupft, wenn gerade mal wahlberechtigte junge Menschen ohne große Mühsal und Cash-Burning in ihren Kinderzimmern am Laptop Songs in Studioqualität produzieren und diese via digitaler Distribution sogar monetarisieren können – bis hin zur Weltkarriere. Freilich, am Ende des Tages ist eine über mehrere Tage oder Wochen in einem Studio mit qualifizierter Hand produzierte Aufnahme einer daheim mit »Garage Band« zusammengeschusterten Nummer zumindest in Klangfragen überlegen, dazu muss man nicht besonders audiophil sein. Zumindest meistens, Lo-Fi-Heimaufnahmen wie Springsteens »Nebraska« bilden da eher die rühmliche Ausnahme. Rein aus der Konserve produzierbare Musikformen wie Hip-Hop, Techno oder EDM stehen sowieso auf einem ganz anderen Blatt, zumindest aus der gewachsenen Historie mit Samples und Drumpads gesehen.
Moneymaker
Und überhaupt, wozu sich das alles antun, wenn es am Ende sowieso nur sehr viel Mühe und ein leeres Börsel bedeutet? Nun, für den Applaus. Für das Lampenfieber vor einem Livekonzert und die unvergleichliche Anflutung mit Endorphinen währenddessen. Für die Erfahrung, mit einem Haufen Gleichgesinnter aus einer Idee in zig Durchgängen einen kompletten Song zu zimmern. Für den gemeinsamen, over-the-top-gestylten Auftritt, schmachtende potenzielle Sexualpartner*innen in der Entourage und fragwürdige Substanzen in der Blutbahn.
Zumindest die Attitüde hat gepasst, da gab es wenig zu verbessern. Aber wäre es nicht schon auch nice gewesen, ein wenig Geld zu scheffeln? Davon leben zu können? Wenn auch nicht mit Privatjet und Villa, zwei Häuser entfernt von Johnny Depp, aber zumindest mit Porsche und einer gemütlichen Finca auf Malle? Oder zumindest mit Golf und Eigentumswohnung, jedenfalls ohne Nine-to-five-Ödnis? Damals wie heute fast unmöglich, vor allem in unserer in sich gekehrten Alpenrepublik, die sich immer noch im vergangenen Glanz der kurzen, guten Phase des Austropop suhlt. Hier hat der große Bruder Deutschland seinerzeit wie heute aufgrund des bekannten Faktors 1:10 einfach mehr Potenzial.
Außerdem: Vor uns stand vor allem die finanziell kaum zu nehmende Hürde, einen physischen Tonträger zu produzieren und zu vermarkten – siehe weiter oben. Obwohl: Wenn es einem damals gelang, eine CD in den Charts zu platzieren, Tantiemen über die AKM abzurechnen und regelmäßig halbwegs gut besetzte Konzerte plus Merchandise durchzuziehen, war der Ertrag schon ganz gut. Wenn. Ich kenne ein paar solche Leute, aber die sind echt rar.
Da wiederum tun mir Musikschaffende heute doch eher leid. Die zu generierenden Umsätze aus Streaming und sonstigen digitalen Distributionen sind, gemessen an der Verbreitung, erbärmlich. Liveauftritte? Gnadenloses Gagendumping. Zumal auch Geldflüsse ohne Steuern und Abgaben damals um einiges einfacher waren als heute. Wir konnten es uns als Band trotz oft angespannter Finanzen leisten, für einen guten Zweck auch mal gratis zu spielen, sozusagen für ein Gulasch und ein Bier – oder zehn. Nicht weil wir mussten, weil wir wollten.
Wenn ich heute immer wieder mitbekomme, wie Veranstalter mit unfassbarer Chuzpe Künstler gratis buchen wollen – »for exposure«, wie es dann heißt – bin ich fassungslos. Das gab es in der Form früher nicht. Gut, es war schwierig, in Zeiten vor Internet und Social Media an bezahlte Gigs zu kommen. Aber das hatte Handschlagqualität. Aufbauen, spielen, Gage bar auf die Kralle, abbauen, trotz Gratis-Catering fast alles erst recht wieder versaufen. Heute können Bands, DJs, Solokünstler*innen froh sein, wenn für den einstündigen Slot vier Getränkebons rausspringen. Pathetic.
No regrets
Das klingt jetzt alles sehr nach Alter-weißer-Mann-Rant, aber ganz im Gegenteil. Wäre ich wieder ein junger Mensch Anfang 20, meine E-Gitarre und den Verstärker parat, ein paar Riffs im Ärmel, würde ich mir das Band-Ding wieder antun? Na klar. Und zwar völlig egal, ob in einem feuchten Probekeller ohne Segnungen der modernen Technik oder in einem WG-Zimmer mit MacBook und Glasfaser. Egal, ob mitten in der Nacht auf einem Bikerfest in einem Tiroler Gehörlosenheim (no joke!) oder auf der Werk-Terrasse am Nachmittag. Jederzeit wieder.
Die unauslöschlichen Erfahrungen, die man macht, die lebenslang geknüpften Freundschaften, den reichen Anekdotenschatz, die Gewissheit, zumindest ein paar Menschen irgendwie bereichert zu haben. Und letztendlich die persönliche Entwicklung, die man im soziologisch höchst komplizierten Gefüge einer Band durchmacht. Nichts davon würde ich hergeben wollen.
Und ich kann nur jedem raten, das möglichst bald selbst zu erleben. Jungsein kann man nicht nachholen, Jungsein in einer Band noch viel weniger. Und das Erstarken der österreichischen Musikszene zeigt, dass es auch abseits von EDM und Hip-Hop immer wieder eine Nische, ja sogar einen fetten Markt für echte, professionelle Bandkarrieren gibt. Schlag nach bei Wanda, Bilderbuch & Co. Wie sagte schon Meister Yoda: »Do. Or do not. There is no try.« Übrigens: Heute bekommt man richtigen, guten Akustikschaum pro Quadratmeter um weniger Geld als Eierkartons.
Der Autor hat nach wie vor spärlichen Kontakt zu seinen früheren Bandkollegen – nur einer davon ist nach wie vor als Musiker tätig. Die Gitarren von damals schmücken heute die Wände des Einfamilienhauses, die Verstärker verstauben auf dem Dachboden.