Ende Oktober eröffnet die zweite Saison der Garage X – finanziell bedingt spät, aber dafür umso ambitionierter. Warum das Theater am Wiener Petersplatz eine Saisonkarte wert ist.
BMUKK, wo ist die Marie? Das könnte man sich nach der gestrigen Programmpräsentation der zweiten Saison von „Garage X" leider wieder einmal fragen. Denn dem grandiosen Theater werden keinerlei Förderungen vonseiten des Bundes zuerkannt. Das Geld der Stadt Wien reicht nicht für eine lange Theatersaison. Die erste Reaktion von Geschäftsführer Ali M. Abdullah war: „Naja, dann arbeiten wir eben Tag und Nacht.“ Aber nein: „Es geht sich nicht aus, obwohl wir jeden Groschen 15 Mal umgedreht haben.“ Aufgrund dieser Förderungskürzung gibt es also nur eine sechsmonatige Spielzeit, aber wow, die hat es in sich. Die Saison ist so voller Höhepunkte, dass an dieser Stelle nur wenige Produktionen vorgestellt werden können.
Kicking it Off
Die Saison startet mit einem längst fälligen Schwerpunkt zur größten europäischen Minderheit, den Roma, die durch die Abschiebungen in Frankreich, eine tragische aber gewissermaßen auch überfällige mediale Aufmerksamkeit erhalten haben. Von 28. bis 30. Oktober soll mit dem „72 Stdn. Roma-Palast“ die allzu touristenfreundliche Wiener Innenstadt durch urbane Lebensrealität gestört werden. „Es wird Empörung geben“, meinte dazu die Journalistin Gilda Horvath (ORF, Der Standard, Die Presse) – selbst eine Romni (Weiblich, Einzahl, Roma) – die den Schwerpunkt präsentiert hat.
Neben vielleicht schon klischeehafter Folklore gibt es da eine Diskussion zur Stellung der Roma in der europäischen Gesellschaft – mit starkem Fokus auf ihr Bild in den Medien. Außerdem veranstaltet Garage X ein Miss Roma-Wahl , die gleichzeitig mit der Objektivierung der Frau und Vorurteilen gegenüber der Roma-Community aufräumt. Eine Jury beurteilt hier nicht (nur) nach Schönheit („Mich störts nicht, wenn sie gut aussieht" – Horvath), sondern nach Kriterien eines modernen Lebens, das die eigenen Wurzeln und Traditionen nicht leugnet.
Lieber gar nicht erst runter kommen
Am 19. November wird das Theater zur Szeneparty mit Tim Breyvogls „Radio Unfertig Wien“. Tim Breyvogl hat in Graz Schauspiel studiert und ist nun ein Ensemble-Mitglied (Mainzer Staatstheater) mit Hang zum Trash. Auf der Suche danach, seine absurden Anwandlungen verwirklichen zu können, hat er "Radio Unfertig" geschaffen, das ursprünglich tatsächlich Züge eines Piratenradios aufwies, nun aber als Party-Performance die Grenzen zwischen Bühne und Publikum aufhebt. Bei der Afterparty, in die die improvisierte Show mündet, werden den Besuchern jedenfalls kaum die Gesprächsthemen ausgehen.
Mit „Unfun“ komplettiert Garage X ab Jänner die Trilogie „skandinavische Misanthropie“ von Matias Faldbakken. Nach „The Cocka Hola Company" und „Macht und Rebel" entsteht hier aus der Dramaturgie von Vergewaltigungs-/ Rache-B-Movies der 70er Jahre eine moderne Gewaltgroteske. Der Gamer Slaktus, ein „Violence Intelectual“ fantasiert in einem fiktiven Videospiel seine perversen Gewaltgelüste gegenüber seiner anarchistischen Ex-Freundin. Das Buch selbst wurde gemischt aufgenommen. Gewalttätiger und weniger komisch als seine Vorgänger soll es sein. Dennoch kann man sich auf die Inszenierung von Ali M. Abdullah, der die künstlerische Leitung von Garage X innehält, schon freuen.
Das Monochrom-Kollektiv, das gerade erst das Arse Elektronika in San Francisco besucht hat, präsentiert ab Februar „ISS 2011 – Our First Year in Space“. Dieses Fortsetzungsstück besteht aus sechs Teilen bestehen und schildert die Probleme, die der Arbeitsalltag im Outer Space bringt. Garage-X-Geschäftsführer Harald Posch meinte dazu: „Wir sind ALLE sehr gespannt, was da kommt.“Und wer Monochrom kennt, weiß – ja weiß – dass dieses Reality-Theaterstück mindblowing wird.
Auch ab Februar inszeniert Selma Abdic „Ausgehen“ (Bild) nach dem Roman von Barbie Markovic. Man kann sich bestimmt noch an das Buch von Barbie Markovic erinnern, das Thomas Bernhards „Gehen“ auf die Belgrader Partyszene übertragen hat. „Ausgehen“ ist ein Remix, in dem die kaskadenhafte Wiederholung in Bernhards Buch gleichsam in immer wiederkehrenden Cascaden immer wieder wiederholt wird. Die Rede ist vom Schreibstil.
Neu sind in dieser Saison die Proberäume in der Thaliastraße 2 (eine Adresse, die dem geschätzten Partyvolk wohl als Loft 16 bekannt ist.) Hier werden nicht nur die Eigenproduktionen erarbeitet. Die Proberäume stellen auch einen Raum für den Schwerpunkt „Research – Art of Knowing/The Limits of Knowledge. Das Ganze ist ein Fellowshipprogramm des WWTF für „Wissenstransfer an der Schnittstelle Kultur“. Hier gibt es Geld fürs Denken ohne Produktionsdruck. Erste Ergebnisse sollen dennoch ab 2011 präsentiert werden. „Weitere Infektionen des Garage X-Programms sind aber zu befürchten.“
Ein anderer Teil des Research Programms wird dagegen sehr einfach zugänglich sein: das „Institut für Alltagsforschung". Hier nistet sich Lars Schmid in einem Laden in der Wiener Innenstadt ein um das Alltagsleben seiner Kunden zu beobachten – „der Alltag als Sensation und Zumutung“. Den dabei entstehenden „fiktionalen Dokumentarismus“ könnte man als Gonzo-Wissenschaft sehen, eine längst überfällige Erweiterung des journalistischen Konzepts von Hunter S. Thompson.
Eine Saison voller anarachistischem Pogo-Theater mit politischer Message und dem notwendigen diskursiven Hintergrund lässt uns vor Vorfreude fast zergehen. Die Höhe der Popkultur kommt hier endlich mal zum Zug – fast unglaublich, dass sowas im Ersten Wiener Gemeindebezirk angesiedelt ist.
Das gesamte Programm der Saison 10/11 in der Garage X gibt es übrigens hier. Ein Interview und Resümee der ersten Saison gibt es hier.