David Schalko und Evi Romen zollen Fritz Langs »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« im Serienformat Tribut. Ein Gespräch über den eigentlich unantastbaren Filmklassiker und ihren gemeinsamen Schreibprozess, über aktuelle politische Tendenzen und dennoch bestehende Hoffnung.
Winter in Wien. Kinder verschwinden. Später stellt sich heraus: Sie sind tot. Die Stadt und ihre verschiedenen Milieus – von der Polizei über die Politik und die Medien bis hin zu besorgten Eltern – versuchen, mit den Ereignissen umzugehen. Nach und nach wird jeder verdächtigt, und einige mobilisieren die Angst aller, um die Vorteile mancher aufrechtzuerhalten.
Die Story von Fritz Langs Klassiker ist bekannt, ja sogar in die Filmgeschichte eingegangen, erzählt sie doch eindringlich von der bedrohlich brodelnden Stimmung vor dem Zweiten Weltkrieg und davon, wie mit Angst Politik gemacht wird. Regisseur David Schalko und Drehbuchautorin Evi Romen haben diese Story ins heutige Wien übertragen und mit Schauspielstars wie Lars Eidinger, Moritz Bleibtreu, Udo Kier, Julia Stemberger, Sophie Rois und Verena Altenberger als Serie adaptiert. The Gap traf die beiden zum Gespräch.
Herr Schalko, Sie meinten in einem Interview, dass Sie vor einigen Jahren das Original nochmals gesehen haben und dass dieses Sie lange nicht losgelassen habe. Warum?
David Schalko: Mich hat in erster Linie das Konzept des Films fasziniert. Dass die Stadt eben die Protagonistin ist und dass es sehr viele Parallelen zur heutigen Zeit gibt: Etwa diese Vorabendstimmung und dass man nicht genau weiß, wohin die Reise geht. Schnell war die Idee da, diese Geschichte in die Gegenwart zu transferieren.
Evi Romen: Für mich war das Original ein nicht angreifbarer Klassiker. (lacht) Ich habe diese Arbeit mit etwas Zögern angenommen, aber auch mit dem Wissen, dass es sich nicht um ein Remake handelt, sondern um eine Hommage.
Was waren die größten Herausforderungen? Wie haben Sie es geschafft, Tribut zu zollen und gleichzeitig eine eigene Handschrift einzubringen?
Schalko: Wenn man etwas Neues schreibt, dann hat dies automatisch eine eigene Handschrift.
Romen: Ich glaube, es gibt einen ganz großen Vorteil: Nämlich, dass sich die Art der filmischen Erzählung stark verändert hat. Es liegt ja fast ein Jahrhundert Filmgeschichte dazwischen und wir haben uns zudem eines neuen Mittels bedient – nämlich der seriellen Erzählform. Als Kinofilm hätte ich diese Arbeit nicht angenommen. Der Reiz bestand darin, die Geschichte in einem heutigen Format zu erzählen und eben eine Serie daraus zu machen.
Wie gestaltete sich der gemeinsame Schreibprozess? Hatten Sie andere Herangehensweisen, weil Sie beide aus unterschiedlichen Bereichen kommen?
Romen: Das Schreiben und das Schneiden liegt in der filmischen Erzählung sehr nah beieinander. Wir haben uns natürlich auf unsere Stärken konzentriert: Ich war sicher mehr an der Struktur und an der Dramaturgie beteiligt, weil das ja auch meinem erlernten Handwerk entspricht. Und David mehr an den Dialogen und den Texten.
Schalko: Wenn zwei Stile aufeinandertreffen, dann entsteht etwas Eigenständiges – das finde ich spannend. Wir haben auch sehr unterschiedliche Arten zu arbeiten. Es war sehr hilfreich, diese für das Projekt zusammenzuführen, da ja auch die Struktur im Vordergrund steht. Zudem sind die Geschichte und die Figuren sehr komplex, da tut man sich zu zweit einfach leichter.
Romen: Da hilft natürlich das Handwerk der Editorin, denn da ist man es gewohnt, immer viele Bälle im Spiel zu haben.
Die Stadt ist selbst eine Darstellerin der Serie und ihre verschiedenen Milieus und deren Psychologie spielen eine große Rolle. Wie sind Sie zu den Drehorten gekommen und dazu, dies schlussendlich in der Serie selbst zu reflektieren?
Schalko: Die Locations haben wir so ausgewählt, dass sie einem Studio ähneln. Unsere Serie ist nicht nur eine Hommage an Fritz Lang und den deutschen Expressionismus, sondern sie ist auch eine Serie über Wiener Architektur; diese spielt eigentlich eine genauso große Rolle wie die Menschen. Das war uns wichtig. Die Serie changiert zudem zwischen den Genres, das spiegelt sich auch visuell wider. Dennoch haben wir eine Atmosphäre geschaffen, die das alles zusammenhält. Und natürlich nimmt die Serie immer wieder Kontakt mit dem Original auf. Wir haben Anfang 2018 gedreht, da war es sehr warm. Wir hätten heuer drehen sollen …
Romen: Schreiben ist in dieser Hinsicht ja leichter als Drehen. Eine schöne bedrückende Schneestimmung kann in einem Roman wunderbar erzählt werden, aber sie dann beim Dreh so hinzubekommen – da war ich dann ganz froh, nicht selbst am Set stehen zu müssen.
Herr Schalko, in einem Interview meinten Sie einmal, dass jeder eine gute und ein böse Seite in sich trage und dass man als AutorIn versuchen müsse, jeder Figur ein gewisses Maß an Empathie entgegenzubringen, da es sonst zynisch werden würde. Wie ist es Ihnen beiden damit bei diesem Projekt ergangen?
Romen: Ich kann für mich sagen, dass man für jede Figur ein gewisses Vorbild hat – manchmal auch zwei oder drei, aus denen man die Figur zusammensetzt. Während des Schreibens wird man aber tatsächlich zu dieser Figur – machmal nur für ein paar Minuten, manchmal länger. Man trägt diese Figur dann in sich. Nachdem ja keiner von sich selbst sagen möchte, dass er zynisch und böse sei, wird automatisch auch ein gewisser menschlicher Aspekt erzählt.
Schalko: Am wichtigsten für einen Autor/eine Autorin ist es, die eigenen Figuren so gut zu kennen, dass man über sie schreiben kann. Und das ist eigentlich schon Empathie. Ebenso wichtig finde ich es, manchmal zu den eigenen Figuren gemein zu sein. Besonders schwierig ist es immer, eine Figur nicht nur als Klischee zu erzählen, sondern sie von allen Seiten, die das menschliche Dasein so mit sich bringt, zu zeigen. Da sind Gut und Böse dabei – wobei ich diese Kategorisierung etwas schwierig finde. Es gibt sehr viele Schattierungen, sagen wir es so.
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