Jeder ihrer Songs beginnt dort zu atmen, wo die Sängerin Luft holt. Sie zieht Melodien aus der Stille hervor. Zola Jesus ist schon wieder "einsame Künstlerin".
Zola Jesus ist und bleibt Perfektionistin. Sound und Körper, Gefühl und Dramatik und nicht zuletzt Geist und Umfeld, in dem er aufblüht, müssen am Ende nahtlos ineinander übergehen. Die ersten Songs beginnt sie im sonnigen L.A. zu schreiben, dort wo die Nachbarn Barbecue-Partys schmeißen und Miley Cyrus aus jeder zweiten Karre schallt. Nicht falsch verstehen: Nika Roza Danilova, so ihr richtiger Name, mag Pop, nur eben auf ihre Weise – als Filter und nicht als Projektionsfläche. Also zieht sie zuerst nach Wisconsin, dort, wo die Taiga, der nördlichste Waldtypus der Erde, auch Eiswald genannt, menschenleere Landschaften verhüllt und später weiter nach Vashon Island. Die Insel ist doppelt so groß wie Manhattan, Einwohner zehntausend. Isolation war für dieses vierte Album das wahrscheinlich wichtigste Vehikel, dieses große Songreservat für Songwriter dieser Zeit. Was uns zu dem Schluss führt, dass man Zola Jesus viel eher "einsame Künstlerin" und nicht "Ausnahmekünstlerin" nennen sollte. Vor allem ist Zola Jesus aber mittlerweile eine bessere Lady Gaga. Sie kommt eigentlich aus der Klassik und hat es geschafft, ihren gesanglichen Qualitäten, ihrem Hang zu atmosphärischen Klängen und Melodramatik frische Synth-Pop-Zellen zu spritzen, ohne eine Seite zu sehr zu enttäuschen. Da wird mit Drum’n’Bass geflirtet, echt jetzt, da gibt es zum Beispiel die Single "Dangerous Days", die von ihrem Aufbau an eine Katy Perry-Nummer erinnert und dann in diesen Refrain mündet, den auf einem Festival alle mitgrölen können. Nika Roza Danilova wäre aber nicht Zola Jesus, wenn sie einzig und allein solche Songs schreiben würde, auch wenn sie könnte. Ihre größte Inspirationsquelle bleibt der A-capella-Gesang und Zola Jesus beginnt dort zu atmen, wo die Kanadierin das erste Mal Luft holt. Katie Stelmanis von Austra kann das mindestens genauso gut, lässt ihrer Stimme aber weit nicht so viel Raum wie die schüchterne Jesus das tut. Sie schleust ihre Songs aus Eis und Feuer durch einen elektronischen Maschinenraum. Der Sound von "Taiga" ist synthetisch, gekünstelt. Sonst wäre das Album vielleicht verkitscht. So aber ist es moderner Schamanismus.
"Taiga" von Zola Jesus erschien am 7. Oktober 2014 auf Mute Records.