Den westlichen Kanon aufbrechen – »Alte Meisterin« im Kosmos Theater

Malerei, Musik, Fotografie und humorvolle Anekdoten, um das Leben und Schaffen einer Künstlerin zu würdigen, die sich zeitlebens gegen den männlich dominierten Kunstkanon behaupten musste: Mit »Alte Meisterin« bringt das Kosmos Theater eine vielschichtige Hommage an die österreichische Malerin Maria Lassnig auf die Bühne.

© Hanna Fasching

Das Kosmos Theater ist voll – der Publikumsraum mit Menschen und der Bühnenraum mit Leinwänden. Auf manchen sieht man Malereien, die Maria Lassnigs Bildern nachempfunden sind, auf anderen schwarz-weiße Fotos. Wir befinden uns offensichtlich in einem Atelier. Schon beim Hereinkommen kann man einer Malerin (Eva Beresin) zusehen, wie sie eines der Fotos mit bunten Figuren übermalt. Schon seit den Proben und noch bis zur letzten Vorstellung malt Eva Beresin kontinuierlich an den Bildern im Bühnenraum weiter und erschafft eine von Lassnig inspirierte und doch neue, eigene Welt.

Sie wird dabei nicht nur vom Publikum beobachtet, sondern auch von zwei Schauspielerinnen (Veronika Glatzner und Clara Liepsch), die jeweils auf einem Fauteuil mit dem Rücken zum Publikum sitzen. Links in Bühnenraum hat sich zudem Clara Luzia mit mehreren Gitarren eingerichtet und untermalt die Vorstellung musikalisch.

»Weibliches Genie« am männlichen Kanon gemessen

Die beiden Schauspielerinnen stehen nacheinander aus ihren Fauteuils auf, stellen sich zwischen Eva Beresin und die Leinwand und werden von Kopf bis Fuß angemalt. Aus ihren Gesichtern blicken uns nun mit dicker Farbe aufgemalte Augen fast Comic-artig an. Die komplett grüne Clara Liepsch fragt nun das Publikum, wie viele Künstler man nennen könne und dann, etwas provokant, wie viele Künstlerinnen.

In Makemake-Façon bekommen wir zu dieser spürbaren Diskrepanz auch Fakten, die sie untermauern: Im Schnitt verdienen lebende Künstlerinnen lediglich zwölf Prozent vom Einkommen ihrer männlichen Pendants. Clara Luzias Songs passen hier nicht nur stimmungstechnisch gut ins Stück, sondern unterstreichen das Thema auch in den Lyrics – so etwa in »Nutrition«: »I can hear you clearly boy, no matter what you do, you are always so much louder than me, you take up lots of space.«

»Alte Meisterin« (Bild: Hanna Fasching)

Selbst Geschichte schreiben

Dann fährt eine der Leinwände nach oben und die Fotokünstlerin Apollonia Bitzan tritt dahinter hervor. Sie schlüpgt in die Rolle von Maria Lassnig und gibt uns First-Person-Einblicke. Dabei blitzt sie mit der Kamera immer wieder ins Publikum. Als Lassnig sagt Bitzan: »Nicht mal nach der abgeschlossenen Kunstschule nannte ich mich Künstlerin.« Wer entscheidet eigentlich, wer den Begriff »Künstler*in« verwenden darf und wer nicht?

Über das Stück verteilt werden Ausschnitte der Filme »Maria Lassnig: Farbgefühle« (2009) und »Maria Lassnig: Es ist die Kunst, jaja …« (2015) auf die Atelier-Kulisse projiziert. Außerdem werden Stellen aus Lassnigs »Briefe an Hans Ulrich Obrist« humorvoll nachinszeniert. Ob übers Telefon oder etwas zeitversetzt die Filmausschnitte nachsprechend – irgendwann sind so alle Schauspielenden mal Maria Lassnig. Der Struggle, sich in einem männerdominierten Berufsfeld – und einer männerdominierten Gesellschaft – durchzusetzen, bleibt zwar omnipräsent, doch kommt das Publikum viel zum Lachen und die Stimmung ist insgesamt locker.

Im Laufe des Stücks werden die Künstlerinnen auf der Bühne selbst Teil eines neu erzählten Kanons, schreiben ihre Geschichte und man verlässt das Theater mit dem starken Bedürfnis, am besten direkt in eine Ausstellung zu gehen.

»Alte Meisterin« (Bild: Hanna Fasching)

»Alte Meisterin« ist noch bis 30. Oktober 2024 im Kosmos Theater zu sehen.

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