In der dramatischen Komödie »Victoria« stellt Virginie Efira eine ambivalente und komplexe Frau dar, die an ihrer Stärke beinahe zugrunde geht. Wir trafen die belgische Schauspielerin zum Gespräch.
In Belgien und Frankreich ist der Name Virginie Efira schon längst kein unbekannter mehr, war die 39-Jährige doch in Filmen wie »It Boy«, »Birnenkuchen mit Lavendel«, »Mein ziemlich kleiner Freund« und zuletzt an der Seite von Isabelle Huppert in Paul Verhoevens »Elle« zu sehen. Um »Victoria«, ihren neuen Film über eine Frau, die privat und beruflich so einige Probleme zu jonglieren hat, zu promoten, hat die ehemalige Moderatorin erstmals Pressetermine im deutschsprachigen Raum wahrgenommen. Wir haben die Gelegenheit genutzt und mit ihr über die Hauptfigur des Films, einen unberechenbaren Affen als Schauspielkollegen und Zukunftspläne zu sprechen.
Bevor Sie mit der Schauspielerei begonnen haben, haben Sie als Moderatorin gearbeitet. Was hat Sie daran gereizt, ins Schauspielfach zu wechseln?
Ich bin draufgekommen, dass das Leben viel zu kurz ist, und ich hatte einfach noch Wünsche und Lust, etwas auszuprobieren. Seit ich fünf oder sechs Jahre alt war, wollte ich eigentlich Schauspielerin sein, aber ich hatte einfach nicht den ausreichenden Mut und das Selbstvertrauen. Es wurde mir angeboten, dass ich als Moderatorin im Fernsehen arbeite, und das habe ich dann auch gemacht. Später bin ich ins Kino gewechselt, weil ich diesen Wunsch eben schon immer hatte.
Welche Charaktere spielen Sie besonders gerne und warum?
Am liebsten mag ich Charaktere, die komplex sind. Wo es eine Bandbreite und immer auch einen Widerspruch gibt.
Was hat Sie an der Rolle der Victoria gereizt, als Sie das Drehbuch zum ersten Mal gelesen haben?
Ich mochte ihre Stärke, ihre Härte, aber auch wie lustig sie eigentlich ist. Und dass sie immer kurz vor dem Zusammenbruch steht. Sie bricht ja dann auch zusammen, aber sie lässt es eigentlich nicht zu. Ihre Sprachgewalt hat mich ebenso fasziniert.
Der Film lässt Genregrenzen hinter sich. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ja, das tue ich. Frankreich wurde ja als depressives Land bezeichnet. Und ich denke, dass dieser Film wirklich berührt und ganz unterschiedliche zeitgemäße Themen anspricht, wie zum Beispiel die Gewalt in menschlichen Beziehungen oder die zeitgenössische Einsamkeit oder diese Erfolgsgier und das damit zusammenhängende Scheitern.
Der Film verhandelt auch Themen wie Sexualität und Depression und das auf eine lockere Weise. Zudem werden die Beziehungen der Hauptfigur zu drei Männern gezeigt. Was hat Victoria von diesen Beziehungen und was lernen die Figuren voneinander?
Die Frage ist, ob sie überhaupt etwas voneinander lernen (lacht). Justine Triet (die Regisseurin; Anm. der Red.) ist von einer ganz einfachen Idee ausgegangen, nämlich das Ende einer Freundschaft und den Beginn einer Liebe zu erzählen. Sam (Vincent Lacoste; Anm. der Red.) verkörpert eine gewisse Reinheit und Klarheit, während Victoria in einem Hamsterrad gefangen ist und denkt, immer etwas erfüllen zu müssen. Sie ist permanent im Stress und entkommt diesem nicht. Das verdammt sie ja auch. Victoria kann bei Sam ihre Waffen niederlegen. Für sie ist das Leben ein Kampf, sie hat nichts anderes gelernt als zu kämpfen. Victoria ist permanent auf der Suche, um sich klar ausdrücken zu können, auch in ihrem Leben – das ist auch eine total psychoanalytische Komponente. Im Grunde geht es darum, dass sie einmal loslässt und sich fallen lässt. Sie muss verstehen, einfach zu sein.
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet? Gab es konkrete Vorbilder aus Ihrem Leben?
Es gab zum Beispiel den Film »Opening Night«, der ein Vorbild für mich war und den ich mit Justine gemeinsam gesehen habe. Dort haben wir uns etwa Inspiration für Victorias Style geholt. »Opening Night« ist auch insofern speziell, weil es ein umfangreiches Werk ist, aber die Figurenzeichnung – wo es zum Beispiel um die zweite Frau geht, wo immer irgendetwas in der Luft liegt – die war ganz spannend als Atmosphäre einzufangen. Justine wollte überhaupt nicht, dass wir textnah arbeiten, es ging ihr vielmehr darum, die Scham und Zurückhaltung bezüglich der Rollen zu verlieren und daran zu arbeiten. Das Einzige, auf das wir uns wirklich vorbereitet haben, waren die Szenen, in denen Victoria ihre Krisen und Ängste durchlebt, da wollten wir schauen, wie weit wir in der Darstellung gehen können.
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