Der bescheidene Fädenzieher

The XX waren eines der Highlights auf dem diesjährigen FM4 Frequency Festival. Hatte man schon im Vorhinein das Vergnügen mit Producer Jamie Smith aka Jamie XX, sagt sich dies noch leichter. Warum die Band Main-Slots auf Festivals ablehnt, Remixes der Entspannung dienen und das mit dem Hype so eine Sache ist, erklärte er ganz in Schwarz im klimatisierten Tourbus.

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„Coexist“ erscheint am 11. September. War der Aufnahmeprozess anders als beim ersten Album?

Wir waren dieses Mal vollkommen auf uns alleine gestellt – also ja, er war anders. Obwohl wir auch beim ersten Album schon relativ unabhängig waren, hatten wir einen Tontechniker und nahmen in den Büros des Labels auf. Es waren also dauernd jede Menge Leute da, die unsere Musik gehört haben. Dieses Mal habe ich ein Apartment gefunden, ein paar Lautsprecher hinein gestellt, Vorhänge aufgehängt und da sind wir schließlich sechs Monate geblieben

Hattet ihr zeitliche Einschränkungen?

Ja, hatten wir. Wir wollten das Album eigentlich im Sommer rausbringen, sodass die Leute die Songs schon kannten, wenn wir auf Festivals spielten. An dem Punkt, an dem wir das Album übergeben sollten, dachten wir uns aber dann, dass wir noch nie etwas übereilt hatten – warum also jetzt damit anfangen? Wir haben uns dann noch ein paar Monate mehr Zeit genommen, um das Album richtig fertigzustellen und zu mixen. Darüber bin ich sehr froh.

Was kommt zuerst in eurem kreativen Schaffensprozess? Die Lyrics, die Instrumente, die Beats?

Die Lyrics als eine Art Gedicht. Meistens entstehen sie getrennt zwischen Romy und Oliver und werden danach zusammengemischt. Bei vier Songs auf diesem Album kamen die beiden aber tatsächlich zusammen und haben gemeinsam etwas niedergekritzelt. Meiner Meinung nach sind das die besten Songs geworden.

Den Rest macht ihr dann alle zusammen?

Ja, dann kommen wir zusammen und spielen uns stückweise alles zu. Manchmal beginnt Romy mit einfachen Gitarrenakkorden, dann kommt eine Idee von mir dazu und so weiter.

Das neue Album scheint sehr gut produziert und obwohl es immer noch diese für The XX charakteristische unaufdringliche Sexiness hat, kommt es mir ein Stück selbstbewusster vor. Ist das eine rein subjektive Empfindung?

Wir waren auf jeden Fall selbstbewusster, was die technische Seite und die Instrumente angeht. Auch war unser musikalisches Wissen viel breiter gefächert. Während beim ersten Album noch jeder in seiner eigenen musikalischen Welt lebte und wir lediglich ein paar Knotenpunkte hatten, war das bei „Coexist“ viel gemeinschaftlicher. Auch generell als Personen sind wir erwachsen geworden, denke ich. Wir waren 18, als wir angefangen haben, das erste Album zu schreiben und nun sind wir 23 und halten unser Leben nicht mehr getrennt von der Musik – es ist nicht mehr, was wir machen, sondern alles, was wir sind.

Wenn man euch als Band sowie als Individuen sieht und hört, scheint ihr sehr ruhig und bescheiden und auch etwas schüchtern. Man fragt sich, ob es denn irgendetwas gibt, dass euch ärgert.

Wir sind eigentlich nicht besonders schüchterne Menschen, aber wenn man uns vor eine Kamera oder auf eine Bühne stellt, ist das eine vollkommen andere Situation, als eine alltägliche und private Unterhaltung. Ich glaube, wir kommen schüchterner rüber, als wir wirklich sind. Und ja, es gibt Dinge, die uns ärgern, wir schauen ja auch oft recht ärgerlich drein.

Was ist es also, das euch auf die Barrikaden bringt?

Ich würde sagen, belanglose Dinge, aber Romy, Oliver und ich kennen uns schon so lange und so gut, dass, auch wenn wir Differenzen haben, welche sich meist um die Musik drehen, diese innerhalb von ein paar Minuten wieder geschlichtet sind. Da haben wir großes Glück. Ich könnte es mir nicht vorstellen, mit Leuten in einer Band zu spielen, die man kaum kennt.

Denkst du, dass dieses introvertierte Image einen Teil des Hypes um The XX ausmacht?

Ich denke, dass wir nicht unbedingt gegen dieses Image arbeiten. Wir tragen immer Schwarz, sehen auf Fotos mürrisch aus. Dieses Mal versuchen wir aber ein bisschen mehr von unserer Persönlichkeit zu zeigen, da wir das Gefühl haben, mehr Kontrolle über das, was passiert, zu haben und wir mittlerweile besser Bescheid wissen, was wir tun. Anstatt von Backsteinmauern wählen wir beispielsweise nun schönere Kulissen für Pressefotos und versuchen, uns auch sonst etwas von dieser düsteren Seite zu distanzieren. Immerhin gibt es auf diesem Album neben den dunklen auch helle Momente.

Ist dieser Hype beängstigend? Denkst du, dass es für eine junge Band sogar gefährlich sein kann, derart gehyped zu werden?

Das habe ich gedacht, als wir das erste Album aufgenommen haben. Wir waren brandneu und es gab zur selben Zeit viele Bands um uns herum, bei denen der ganze Hype plötzlich verblasste oder ganz verschwand – deswegen haben wir uns auch Sorgen gemacht. Wir haben aber immer schon versucht, die Dinge entgegen aller Erwartungen herunterzuspielen und unserem eigenen Tempo nicht vorauszueilen. Ich denke, das hilft in dieser Beziehung. Man wird nicht gerne ins kalte Wasser geworfen, ohne darin schwimmen zu können. Wir versuchen also immer noch, alles Schritt für Schritt zu machen.


Du bist als Producer auch als Solokünstler unterwegs. Wie bist du in erster Linie dazu gekommen?

Ich habe ja als Producer angefangen. Ich habe schon eine Weile Instrumente gespielt und mit neun oder zehn Jahren angefangen, elektronische Musik zu hören. Irgendwann wollte ich wissen, wie das gemacht wird. Ich habe mir also Turntables besorgt, dann einen Computer und Software und mir eine Zeit lang selbst beigebracht, Musik auf diese einfache Weise zu machen. Bis ich 16 war, habe ich aber nichts wirklich Gutes fabriziert.

Ungewöhnlich, sich als 10-Jähriger schon für die Tiefen der elektronischen Musik zu interessieren. Ich habe wohl Girlbands und Britney Spears bevorzugt.

Britney Spears ist elektronische Musik. Heutzutage ist alle Popmusik elektronisch. Die meisten hören dabei wahrscheinlich nur auf die Stimme und nicht auf die Musik selbst – besonders in diesem Genre. Ich höre niemals auf die Lyrics, ich wollte einfach wissen, wie das Drumherum gemacht wird.

Du machst dir also gar nichts aus Lyrics?

Nein. Ich habe besonders bei diesem Album versucht, mich auch auf das Schreiben von Romy und Oliver zu konzentrieren, aber das ist es einfach nicht, was mich inspiriert. Es ist eher der Klang oder eine Soundidee.

The XX war wohl die erste Band, die diesen eigenwilligen Sound aus MPC, klassischen Instrumenten und puren Vocals geprägt hat. Was steckt dahinter?

Naja, ich habe zu meinem 18. Geburtstag einen MPC bekommen und wollte damit spielen. Ich wusste nicht wirklich, wie man ihn verwendet, da ich ihn nur im Zusammenhang mit Hip-Hop-Produktionen kannte. Eigentlich weiß ich immer noch nicht, wie man ihn verwendet. Ich habe also irgendwann angefangen, etwas aufzunehmen und ihn zu Rehearsals mitgenommen, weil ich etwas damit machen wollte. Als wir schließlich angefangen haben, gemeinsam zu spielen, habe ich den beiden bloß Beats auf CD zusammengestellt, weil ich nicht auf der Bühne stehen wollte und ohnehin nicht wusste, wie das alles live funktionieren sollte. Bald aber ging auch das.

Hast du auch Hip-Hop gehört?

Ja. Das war die erste Annäherung an elektronische Musik. RJD2 und DJ Shadow haben da interessante Platten herausgebracht.

Welche Musiker und Producer inspirieren dich?

Im Moment befinde ich mich in einer Art Rausch, neue Musik zu finden. Als wir „Coexist“ gemacht haben, haben wir es vermieden, neue Dance-Musik zu hören, weil gerade all dies sehr überpräsent war und ich wollte nicht, dass das Album in die Zeit dieser Überpräsenz hineinfällt. Jetzt allerdings, wo es fertig ist, kaufe ich die ganze Zeit neue Platten und versuche, Neues zu entdecken. Ich mag derzeit Techno und House sehr und war auch vor kurzem zum ersten Mal im „Berghain“, was wirklich inspirierend war.

Und was inspiriert dich neben der Musik? Irgendwelche versteckten Leidenschaften?

Wenn ich Zeit habe, skate ich – wobei ich eigentlich keine Zeit habe. Aber auch das ist durch die Musik bedingt. Musik ist alles.

Du produzierst auch jede Menge Remixes. Was ist so interessant daran, einen Song zu remixen?

Zum Teil mache ich das, weil mein eigenes und das The XX-Material so viel Zeit in Anspruch nimmt und Remixes eine nette Entspannung darstellen. Man ist nicht zu sehr involviert und es ist auch nicht so wichtig, wie die eigenen Tracks. Es ist eine gute Möglichkeit, schnell Musik zu machen. Ich mochte Remixes auch schon, bevor ich selbst Musik gemacht habe. Ich denke, es ist die Idee, dass ein Track von jemandem anders interpretiert wird, die ich amüsant finde.


Was macht einen Track für dich interessant für einen Remix? Wie suchst du diese aus?

Als ich damit anfing, habe ich Remixes von großen Songs gemacht, beispielsweise von Adele oder Florence. Es ging mir damals darum, dass die Songs ein massives Wiedererkennungspotenzial hatten und Leute sie auch erkennen und schätzen würden, wenn sie völlig für sich alleine dastünden – das aber in einer anderen Umgebung. Jetzt allerdings habe ich andere Ansprüche. Ich habe zum Beispiel ein Angebot von Four Tet bekommen. Kieran Hebden war immer so etwas wie ein Idol für mich. Das klingt jetzt wahrscheinlich ein wenig kitschig, aber ich habe zugesagt, bevor ich überhaupt die Musik gehört habe – einfach, weil er so gut ist. Solche Dinge stehen jetzt vermehrt im Vordergrund.

Zur nahen Zukunft – freust du dich auf den Auftritt hier auf dem FM4 Frequency Festival später?

Auf jeden Fall. Die fünf Tage, die wir jetzt zuhause waren, haben mich ziemlich aufgebaut. Zuvor haben wir wirklich jeden Tag gespielt.

Wie fühlt es sich an, den Slot vor dem Headliner zu belegen? Vor ein, zwei Jahren war das alles noch anders, da habt ihr noch nachmittags gespielt.

Es ist sehr schmeichelhaft und sehr erschreckend. Besonders, weil – wie ich vorhin auch gesagt habe – wir immer versucht haben, die Dinge herunterzuspielen. Aber seitdem wir das Album fertig gestellt haben, hat sich alles von alleine und ohne, dass wir etwas getan haben beschleunigt. Es fühlt sich an, als würden wir uns selbst ein bisschen hinterherhinken, weil wir noch nie auf derart großen Bühnen gespielt haben. Ich denke, wir müssen uns wohl an solche Dinge gewöhnen.

Ich denke, es war Romy, die einmal gesagt hat, dass es etwas vollkommen anderes ist, im Dunkeln zu spielen. Besser vermutlich?

Ja, es ist schön, wir bekommen meistens die Sonnenuntergangs-Slots. Darauf zielen wir auch ab. Wir haben auch schon einige Headliner-Slots angeboten bekommen, aber bisher haben wir diese abgelehnt. Wir wollen nicht zu übereifrig sein.

Nach der Show hier auf dem FM4 Frequency Festival fährst du gleich nach Wien, um in der „Pratersauna“ aufzulegen.

Darauf freue ich mich auch schon sehr. Heute ist Romy’s Geburtstag. Ich denke, das wird eine nette Party. Wir fangen schon auf dem Weg nach Wien an zu feiern und machen dann dort weiter.

Was erwartest du dir von der Wiener Clubkultur?

Eigentlich habe ich keine Ahnung. Ich kann nur raten, aber in letzter Zeit war es überall, wo ich war, sehr Techno-beeinflusst – sogar in den USA steuerten viele in der Szene in eine relativ harte und auch sehr UK-beeinflusste Richtung der Dance Musik.

Wo fühlst du dich generell wohler? Auf Festival-Bühnen oder in Clubs?

Wohler ist nicht das richtige Wort. Es ist etwas ganz anderes, ein anderer Ort und vor allem kommt es immer auf das Publikum an. Unser größtes Festival-Publikum waren geschätzte 50.000 Menschen in Brüssel und alle waren sehr nett und auch leise, was bei dieser Anzahl eigentlich unglaublich ist. Das hat uns sehr gefallen. In einem Club allerdings sind die Menschen laut und wollen tanzen und eine gute Zeit verbringen. Auch das gefällt mir sehr gut. Es ist schwer zu sagen. Wobei ich denke, dass wir ohnehin noch nicht an dem Punkt angelangt sind, an dem wir uns auf der Bühne wirklich wohl fühlen.

Zum Schluss – welche Bedeutung misst du der Musik von The XX und generell der MPC-Instrumente-Vocals-Kombination in Zukunft bei?

In unserer eigenen Umgebung wird sich alles ganz natürlich entwickeln. Ich kann nicht sagen, wie es enden wird, aber wahrscheinlich wird unsere Musik sehr ähnlich bleiben. Das ist auch gut so, denn ich denke, wir haben einen Sound mit großem Wiedererkennungswert gefunden. Wir können immer wieder verschiedenste Dinge einarbeiten und weiterentwickeln und es wird immer noch nach uns klingen. Was die Umwelt betrifft – ich habe mir sagen lassen, dass es mittlerweile auch schon Bands gibt, die sich von uns beeinflussen lassen, aber wir haben das gar nicht mitbekommen. Wir stecken eben sehr tief in unserer eigenen kleinen Welt und das ist es auch, was wir wollen. Wir wollen gar nicht zu viel von anderen übernehmen.

„Coexist“ erscheint am 11. September via Young Turks / XL Recordings.

Bild(er) © Jamie James Medina
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