Der Bürgerkurator: Marlene Engel im Porträt
Mit Hyperreality erhalten die Wiener Festwochen ein Clubformat, das Regeln brechen will. Seine Kuratorin macht schon länger vor, wie das geht.
von Amira Ben SaoudEin Festival-Lebenslauf
»Marlene sammelt ja keine Feinde. Absichtlich hat sie sich’s ja mit niemandem verscherzt.« – Rana Farahani
Engel stammt aus Krems, studierte in Wien kurz Französisch, sattelte dann auf internationale Betriebswirtschaft auf der WU um und ließ im Wissen, dass sie bei etwas, das nunmal nichts für sie ist, auch nicht das Nötige leisten kann, das Studium nach drei Jahren bleiben. Ein Nebenjob bei HIAS, einer Organisation, die politische Flüchtlinge betreut, sorgte für ein kleines Einkommen. Sie arbeitete am Soundframe mit, bis sich ihre Vorstellungen für das Festival zu sehr von jenen der Gründerin Eva Fischer entfernt hatten, was beide heute aber entspannt sehen. »Wir sind beide starke Persönlichkeiten; jede wollte ihr Ding durchziehen. Im Nachhinein betrachtet, ist viel Positives dabei entstanden«, so Fischer. Einen Tag nach der Kündigung bot Zierhofer-Kin Engel einen Job beim Donaufestival an. Parallel zu ihrer Arbeit in Krems gründete sie mit Rana Farahani a.k.a Fauna, Matteusz Najder und Johanna Mayr-Keber das Label Moun10. Die ersten Bliss-Partys, die damals noch nicht so hießen, gingen über die Bühne, finanziell war die Lage schwierig. „Bei den ersten Veranstaltungen haben wir viel Geld verloren, das konnte auf Dauer nicht so weitergehen. Auch wenn man gutes Feedback auf die Releases aus dem Ausland bekam, war es schwierig, in Wien voranzukommen, vor allem mit einer Musik, die damals nicht clubtauglich war. »Für unsere Nerven war das nicht gesund«, erinnert sich Farahani an die Anfangsphase. Najder und Mayr-Keber, die ihr eigenes Kollektiv V Are gründen sollte, verließen Moun10, Farahani und Engel versuchten es noch länger, bis die Sache dann doch einschlief. Die Arbeitsweise, nämlich eine kollaborative, sollte Engel aber beibehalten. »Sie erstellt gemeinsam mit Leuten Ideen und setzt sie dann auch gemeinsam um. Es ist kein Top-Down-Konzept; Sie holt unterschiedliche Positionen rein, das zieht sich durch bis zu den Festwochen«, so Bernhard Staudinger, der Engel seit einigen Jahren kennt und nun als kuratorischer Assistent in ihrem Team bei Hyperreality mitarbeitet. »Wenn ich an sie denke, denke ich immer an Solidarität und eine totale Begeisterung für die Arbeit von anderen Leuten. Ich kenne viele Leute in der Kunstszene, die neidisch sind. So ist sie nicht«, sagt Jessyca R. Hauser, die zusammen mit Lilly Pfalzer als »Blissquad« bei und mit verschiedenen Bliss-Bookings performt. Pfalzer und Hauser werden auch bei Hyperreality ein Projekt namens Sub Rosa verwirklichen. Zusammen mit Staudinger richtete Engel die riesige Radio Orange 15-Jahres-Feier, bei der Werk und Grelle Forelle bespielt wurden, aus und holte dafür Acts wie Inga Copeland, Lotic und MikeQ nach Wien. Ein damals noch fast unbekannter Arca, der wenig später mit seinem Debütalbum »Xen« einen Meilenstein der neueren Musikgeschichte hinlegen sollte, musste kurzfristig absagen. Die Programmierung der Feier in der Größenordnung mit diesem Gespür für außergewöhnliche und im besten Sinne zeitgemäße Acts soll bei der damaligen Radio Orange-Chefin nicht nur auf Gegenliebe gestoßen sein; doch auch diese Meinungsverschiedenheit dürfte eine inhaltliche, keine persönliche gewesen sein. »Marlene sammelt ja keine Feinde. Absichtlich hat sie sich’s ja mit niemandem verscherzt. Und wenn, geht es bei ihr auch nie um etwas Privates«, so Farahani.
»Der Job, den ich jetzt habe, musste erst erfunden werden.« – Marlene Engel
Idealismus und Realität
Es sind tatsächlich inhaltliche Fragen, um die sich Engels Welt dreht, wobei sie Realistin bleibt: »Ich stehe für nicht binäre Konstrukte ein, alle systematischen Kategorisierungen, die man nicht braucht. Zwischen schwarz und weiß, schwul und hetero, Mann Frau. Aber ich muss mir auch eingestehen, dass das idealistisch ist. Die Realität ist eine andere und wie gehe ich damit um? Laut Wiener Veranstaltungsgesetz darfst du zum Beispiel keine gemischten Klos haben. Die Kategorisierung wird dir ja aufgezwungen. Und mit dieser Realität muss ich arbeiten.«
Engel arbeitet gut mit der Realität. Das Line-up von Hyperreality ist in sich und für sich nicht nur stimmig, konsequent und qualitativ hochwertig, es ist natürlich vor allem ein Statement, dass das, was wir unter einem Club, unter Clubkultur verstehen, auch anders aussehen kann. Und nein, diese Ansage kommt nicht von oben. Sie wird nicht von jemandem gemacht, der wie ein neureicher Investor sein Geld in ein eco-friendly Start-Up steckt und dann allen erzählt, dass man eh ganz einfach nachhaltig wirtschaften kann. Sie wird von jemandem gemacht, der seit Jahren privat und beruflich Communities, Menschen und Visionen unterstützt, begleitet, featured. Ob sie eigentlich je darüber nachgedacht hat, Erfolg haben zu wollen, frage ich Marlene Engel, oder ob sie einfach nur ihr Ding machen wollte? »Ich glaube eher Letzteres. Ich erinnere mich an Diskussionen mit guten Freunden zurück, als es bei mir mit den Veranstaltungen schlecht gelaufen ist, die dann sagten ‚Was willst du damit? Den Job, den du willst, gibt es einfach nicht‘. Und das stimmte auch. Denn der Job, den ich jetzt habe, musste erst erfunden werden.«
Hyperreality – Festival for Club Culture by Wiener Festwochen wird von 24.–27. Mai im Schloss Neugebäude stattfinden. Wir haben mit Engel zu einem sehr frühen Zeitpunkt über das Projekt gesprochen – zum Interview mit Hörproben einiger Acts geht es hier.