Die Kunstgattung Musik ist wie vieles im Patriarchat übersättigt von Misogynie – mal sehr unterschwellig, mal in your face. Wie häufig sind frauenfeindliche Songtexte und haben sie einen Einfluss darauf, wie wir als Gesellschaft mit Femiziden umgehen?
Die weiblich gelesene Person ist häufig das Augenmerk der hohen Künste – und das seit eh und je. Gerade in Österreich ist das Feminine oft Objekt literarischer, musikalischer und malerischer Werke. Ob Klimt, Zweig oder Bilderbuch – alle haben die Frau als eine Figur im Schaubild ihrer Ideale fixiert.
Spätestens seit Laura Mulveys feministischer Filmtheorie »Visuelle Lust und narratives Kino« (1975) gibt es einen Begriff für diese Fixation aus männlicher Perspektive: Male Gaze. It’s a man’s world – und zwar wortwörtlich. Wir bewegen uns bekanntlich in patriarchalen Systemen. Vieles wird aus einer männlichen und heteronormativen Perspektive erzählt. Was außerhalb dieses Blickfeldes steht, wird ausgelassen oder gar bewusst gestrichen. Bestes Beispiel dafür: die Originalfassung der österreichischen Bundeshymne. Als einer Zeile auch große Töchter hinzugefügt wurde, war man(n) empört. In den letzten Jahren wird das vielgeliebte Österreich auch als Land der Femizide tituliert. Inwiefern hat das auch was mit ebenjener Kunst und Kultur zu tun?
Rigide Geschlechterrollen dominieren noch immer unser Weltbild. Ein ikonisches Foto der Neuzeit trägt den Titel »The Most Beautiful Suicide« und zeigt die Leiche von Evelyn McHale. Es entstand, kurz nachdem sie von einer Aussichtsplattform des Empire State Buildings gesprungen und auf einem Autodach gelandet war. Das Foto diente unter anderem Andy Warhol als Inspirationsquelle, der den Selbstmord Evelyn McHales in seinem Werk »Suicide (Fallen Body)« aufgriff. In der Musik wurde das Motiv des »schönen Suizids« auch mehrfach wiedergegeben. Unter anderem von Pearl Jam, Radiohead – und David Bowie: Das Musikvideo zu »Jump They Say« zeigt den auf ein Auto gestürzten Musiker. Eine Hommage an das berühmte Bild.
Im Bereich der Rockmusik stammt die ultimative Erkundung des Motivs der toten Frau von Nick Cave. »Ich habe immer schon gerne Songs über tote Frauen geschrieben«, gestand er 1986 in einem Interview. »Das hat immer noch etwas Mysteriöses, auch für mich.«
Der Dead-Girl-Kult
Die Frau muss schön und still sein. Schweigen bedeutet Schönheit und umgekehrt. »Wir haben in sehr vielen Strukturen noch immer eine weibliche und männliche Hierarchie«, sagt die Musikwissenschaftlerin Irene Suchy zu genderspezifischer Musik in Österreich. »Diese Strukturen wurden vor allem durch den Austrofaschismus zementiert, auch im Musikleben. Denken wir an die Reichsmusikkammer, die nationalsozialistisch-konforme Musik förderte. Frauen war vieles verwehrt, vor allem die hohe symphonische Musik. Es blieben ihnen jedoch die Kinderlieder. Genau solche Diskrepanzen sind heute noch zu beobachten und zu spüren.«
Im Buch »Lust am Töten: Eine feministische Analyse von Sexualmorden« meinen Deborah Cameron und Elizabeth Frazer, dass »ein ultimativer existentialistischer Blick auf [die Gewalt] von Sexualmördern« diese als »die ultimativen Rebellen, die Erotizismus in seiner reinsten Form ausüben«, offenbare. Mord sei in dem Sinne der absolute Ausdruck der Leidenschaft, ein Liebesbeweis. Siehe: »Alles aus Liebe« von den Toten Hosen.
Mord als Konsequenz von Besitzdenken und Kontrollanspruch. Der Mörder kontrolliert die Sterblichkeit und die Unsterblichkeit. Die tote Frau stellt keine Bedrohung für das fetischisierte Bild der Weiblichkeit des Male Gaze dar. Das Idealbild der Frau bleibt still und friert ein. Der Liebhaber bleibt jedoch als heroische Figur zurück und tritt durch den Tod der Frau in den Vordergrund.
Dieses Leitmotiv der schönen toten Frau zieht sich durch jede Epoche der Musikgeschichte. Irene Suchy: »Die klassische Musik ist voll mit der Pretty-Dead-Girl-Trope – und das vollkommen unreflektiert. Ein gutes Beispiel dafür ist das von Franz Schubert vertonte Volkslied »Heidenröslein« mit dem Text: ›Und der wilde Knabe brach’s Röslein auf der Heiden / Röslein wehrte sich und stach / Half ihm doch kein Weh und Ach / Musst’ es eben leiden.‹«
Nicht nur volkstümliche Lieder sind von misogynen bis mörderischen Inhalten durchtränkt: »Auch die Opernbühne ist voll von vergewaltigten und ermordeten Frauen.« Tosca wird vergewaltigt. Gilda wird in »Rigoletto« vergewaltigt, ermordet und ihr Vater bekommt ihre Überreste in einem Sack zurück. Pamina muss etliche Proben bestehen, die sie gar nichts angehen. »Wenn ich einen Mann will, muss ich doch nicht durchs Feuer laufen«, meint Suchy. Für sie ist klar: Viele Frauen können sich nicht mit morbiden Musikstücken identifizieren, in denen sie ständig selbst die Opfer sind.
Kunst wörtlich nehmen?
Auch in der Musiklandschaft des deutschsprachigen Raumes wird der weiblich gelesenen Person oft wenig Respekt entgegengebracht. Zwar spiegeln sich in den meisten Liedern nicht dieselben Mordlüste und Gedanken wie bei Nick Cave und Co wider, jedoch ist ein Übermaß an misogynen Texten auszumachen. Einen der größten Skandale des deutschsprachigen Pops hat Falco ausgelöst. Im Text von »Jeanny (Part 1)« wird Gewalt an Frauen nie explizit erwähnt, liest man allerdings zwischen den Zeilen, lässt sich die vermeintliche Perspektive eines Vergewaltigers und Verschleppers gegenüber seinem Opfer (das im Wahn getötet wird) erkennen.
Auch in den letzten Jahren tauchen immer wieder deutsche Songtexte auf, die von toten Frauen handeln. In dem Lied »Leich in da Donau« von Seiler und Speer geht es um den Leichnam eines unbekannten Mädchens, das nachts in der Donau treibt. Die Zeilen »Sie is jo söwa schuid / Wos gehtsn a so spät no leischn / Weu nur da Tod is sicher« suggerieren, dass die leblose Frau im Wasser für ihr Schicksal selbst verantwortlich ist. In der vorletzten Strophe heißt es noch: »Jetzt foah i ham zu meiner Frau / Druck ihr a Bussal auf die Stirn / Und putz mei Woffn.« Eine Anspielung darauf, dass Gefahren überall lauern, auch im eigenen Heim, wenn nicht gar innerhalb der Ehe.
Aber wie viel Ernst und wie viel Satire, wenn nicht Alter Ego, steckt hinter solchen Zeilen? Kunst muss nicht für bare Münze genommen werden. Sie zeigt auf, sensibilisiert ihre Rezipient*innen. Klarerweise lässt sich aus dem Text von Seiler und Speer nicht schließen, dass diese Wasserleichen goutieren, jedoch lässt sich eine typisch männliche Erzählperspektive herauslesen. Um es deutlich auszudrücken: Spät draußen zu sein und einen Rock zu tragen, wie es im Songtext heißt, sollten keine Gründe dafür sein, tot in der Donau zu enden. Musiker*innen, die sich als weiblich identifizieren, produzieren solche Stücke weniger oft. Auch mit der klaren Benennung der Waffe im Text wird eine Drastik transportiert, die erahnen lässt, wie sich die Handlung noch entwickeln wird.
»Für mich ist die Musik das Zentrum der Gesellschaft und der Gesellschaftspolitik. Wir haben mit der Musik etwas in der Hand, das weit über die bildende Kunst hinausgeht. Ein Tool, mit dem wir etwas verändern können und aufregen können«, erläutert Musikwissenschaftlerin Suchy. Musik soll für Aufruhr sorgen, jedoch kann das auch nach hinten losgehen. Vor allem, wenn man(n) lapidar-normalisierend über Frauenmorde singt.
Die Liedtexte, die sich explizit den Tod der Frau herbeiwünschen, sind in der Unterzahl, jedoch ist Misogynie in der deutschsprachigen Musikszene en masse vorhanden. Während Faber sein Liebesobjekt und Felix Kummer von Kraftklub seine Exfreundin als »Hure« bezeichnen, rennen Von Wegen Lisbeth für eine »Bitch« den ganzen Weg allein. »Misogynie comes in all shapes and sizes. Es wäre viel zu verkürzt zu sagen, dass Deutschrap das misogyne Musikgenre schlechthin ist. Man muss es viel nuancierter sehen. Frauenfeindlichkeit zieht sich durch viele Schichten, da wir alle mit misogynen Vorstellungen aufgewachsen sind, die tief in uns verankert sind«, sagt Musikjournalistin Theresa Ziegler dazu. Es existiere ein gewisses Klima des Hasses, um Machtpositionen und Strukturen aufrechtzuerhalten. Diese Narrative werden auch durch frauenfeindliche Lyrics reproduziert.
»Kunst ist ein Sprachrohr – sowohl für unterdrückte als auch für unterdrückende Gruppen. Als Konsument*in wiederum braucht man eine riesige Portion an Selbstreflexion, um misogyne Songtexte nicht zu internalisieren. Life imitates art and art imitates life, dabei wird vor allem von marginalisierten Artists oft ein Umkehreffekt angewendet, um gewisse Dinge aufzuzeigen – to make a point with art«, so Ziegler weiter. Oft verstecken sich männliche Musiker hinter einer Kunstfigur, die sie von ihrer eigenen Person und Ansichten trennen. Aber kann das künstlerische Alter Ego im Land der toten Töchter als Entschuldigung für reproduzierte Misogynie gelten?
Wir wissen: Österreich ist a man’s world. Die Musikindustrie ist dabei keine Ausnahme. Von den Chefetagen der Labels bis hin zu den Songwritern, die über »Bitches«, »Huren« und Leichen in der Donau schreiben. Wo bleibt der Space für FLINTA*-Musik?
»Stirb, Patriarchat, stirb!«
»Es beginnt schon beim Soundcheck mit viel Mansplaining«, erzählen Margarete Wagenhofer und Lili Kaufmann von der Band Zinn über ihre Erfahrungen in der Branche. »Von uns wird erwartet, dass wir uns eh nicht mit Technik und Instrumenten auskennen, obwohl wir schon jahrelang als Musiker*innen tätig sind. Uns wird gesagt, wir müssen lauter singen, wir müssen wie ein Mann singen. In der Berichterstattung wird oft über die Outfits gesprochen. Wir wurden sogar beim Popfest ausgebuht.«
Nach dem Motto: Was Falco, Wanda, Voodoo Jürgens können, können wir schon lange, singen Zinn über das Morbide, das Schiache im Leben – ohne das weiblich gelesene Menschen ins Gras beißen müssen. Was bei Zinn aber schon sterben soll, ist das Patriarchat und dessen Unterstützer. »Bashing ist eine solidarische Therapie. Die brachiale Art soll als Warnung und Drohung gelten, ganz im Sinne von: ›Nehmt ihr uns eine, antworten wir alle.‹ Hier liegt wohl der Unterschied zwischen der Gewalt in unseren Texten, die an Männer beziehungsweise das Patriarchat gerichtet ist, und der Gewalt an Frauen in Texten, die von Männern vorgetragen werden«, erklärt die Band, der einmal sogar von einem Ethikprofessor vorgeworfen wurde, dass sie durch ihre Texte »junge Mädchen vom Feminismus abschrecken« würde. Auslöser für diesen Vorwurf war ihr Text »Stirb, Patriarchat, stirb!«, der sich am Patriarchat und all dessen Verbündeten durch explizit gewaltvolle Sprache für dessen Opfer rächt.
Wenn man durch Nachrichtenseiten scrollt, poppen die Zahlen im Zweiwochentakt auf: 27, 28, 29. So viele Femizide zählte Österreich laut der Statistik der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser allein im Jahr 2022. Nach Angaben der APA ist Österreich eines jener EU-Länder, in denen mehr als 50 Prozent der Mordopfer weiblich gelesen sind. Auch das Bundeskriminalamt erfasst Daten zu Femiziden – mit rassistischem Anstrich: Bei näherer Betrachtung der Statistik springen sofort eine Reihe von Nationalflaggen ins Auge. Erst in der nächsten Zeile wird erläutert, dass zwei Drittel der Tatverdächtigen österreichische Staatsbürger sind. Also: ein heimisches Problem.
Es wäre zu drastisch zu behaupten, dass misogyne Texte und vor allem Texte, die von Frauenmorden handeln, einen festzumachenden Einfluss auf unser kollektives Bewusstsein und auf die derzeitige frauenfeindliche Lage haben. Dafür sind die Wechselwirkungen zu komplex. Aber wie ein feministischer Slogan so schön sagt: »The pen is a metaphorical penis.« So auch die Kunst und damit die Musik. Wer als männlich gelesen wird, gibt in der Regel (noch) den Ton an.
Zum Thema Musikgeschichte aus feministischer Perspektive gibt es vielfältige Literatur. Etwa »These Girls, too: Feministische Musikgeschichten« von Juliane Streich, erschienen 2022 im Ventil Verlag.