Das Projekt »Franco«

Eben hätte er fast einen Golden Globe gewonnen, jetzt wird er die Oscars moderieren. Wenn er nicht zu beschäftigt ist. Porträt eines Meta-Stars.

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Die meisten kennen das fein gezeichnete Gesicht noch immer vor allem aus den »Spider-Man«-Filmen. Dort spielte James Franco mit zusammengepressten Lippen Harry Osborn, einen Freund Peter Parkers und Widersacher Spider-Mans. Seither ist der Kalifornier mit dem James Dean-Profil gern gebucht als Aufputz für Hollywood-Schmonzetten wie Arthouse-Dramen. Was man seinen gefälligen Auftritten in »Eat Pray Love« oder »Milk« aber nicht ansieht: James Franco hat sich in den letzten fünf Jahren zu einem der faszinierendsten Filmstars seiner Generation entwickelt hat. Erstens, weil er sich mittlerweile als exzellenter Darsteller abseits makelloser Schmachtblicke bestätigen konnte: zum Beispiel als anhänglicher Drogendealer Saul Silver in der Actionkomödie »Pineapple Express« (2008), als minutiös nachempfundener Allen Ginsberg im sonst eher einfältigen Biopic »Howl«, und derzeit – nominiert für einen Golden Globe – als Bergsteiger Aron Ralston in Danny Boyles Überlebensdrama »127 Hours«.

Noch interessanter ist aber, wie Franco in den letzten Jahren sein Star-Image als versponnenes Kunstwerk in progress betreibt. Seit er 2006 seine Uni-Ausbildung wieder aufnahm (derzeit studiert er postgradual Filmemachen und Fiction-Writing), hat er ein regelrechtes Parallelwerk aus Fernsehauftritten, Internetvideos und Kunstperformances aufgebaut. Dort kommentiert der »Meta-Star« (Ekkehard Knörer) Franco unermüdlich und oft ziemlich lustig die Kontraste und Gerüchte, die sich an seiner öffentlichen Person verdichten: Gucci-Model und Columbia-Student, brütender Charakterdarsteller und gelassener Bubenkomiker, Mädchenschwarm mit queeren Interessen. Zwischen zielstrebigen Star-Maschinen vom Schlage Zac Efrons und dezidierten Anti-Stars wie Jesse Eisenberg gibt er das rare Spektakel eines Stars ab, der seine medialen Spielräume neugierig und mit Vergnügen erkundet.

»We asked James Franco to destroy this room«

Den Durchbruch schaffte James Franco, kein Einzelfall, im Komödienkosmos Judd Apatows: In der von Apatow produzierten, fantastischen Highschoolserie »Freaks & Geeks« (1999-2000; aus dem ORF-Samstagnachmittag als »Voll daneben, voll im Leben« bekannt) gab er mit Anfang 20 den schlitzohrigen rebel without a cause Daniel Desario, der lieber mit Seth Rogen und Jason Segel im Probekeller Krach macht als das Basketballteam anzufeuern. Bereits in dieser Serie wurden Qualitäten entdeckt und schlau herausgearbeitet, auf denen Francos markante Filmpräsenz heute noch aufbaut (Anspieltipp: Episode 5, »Tests and Breasts«): die leicht nuschelnde Stimme, die zeitgleich aufgeregt und ein bisschen weggetreten wirken kann; das intensive Spiel in dramatischen Szenen, hinter dem jäh Unernst hervorlugt; und vor allem dieses superbreite Grinsen, das die ebenmäßigen Züge verzerrt und dem Schönlingsgesicht etwas Dubioses gibt.

Im Gegensatz zu den meisten Kollegen aus dem Apatow-Ensemble hat Franco keinen Hintergrund als Live- oder TV-Komiker. Sein aktueller Erfolg – am 27. Februar wird er gemeinsam mit Anne Hathaway durch die Oscar-Zeremonie führen – hat trotzdem viel damit zu tun, dass er sich nach einer Reihe unbefriedigender Versuche als dramatischer leading man (»Flyboys«, »Tristan & Isolde«) auf Komödien verlegt hat. Manchmal reicht inzwischen ein fünfminütiger Franco-Kurzauftritt, um ein fades Studioprodukt wie »Date Night« vorübergehend aus dem Comedy-Koma zu holen. Und selbst die frische, unsentimental packende Darstellung in »127 Hours« verdankt sichtlich mehr seinem zappeligen Komödienspiel als bisheriger geradlinig seriöser Rollenarbeit.

Das Faible für selbstreflexive Blödel-Improvisationen, von dem man sich auch auf der Comedy-Homepage »Funny or Die« überzeugen kann (lehrreich: die Serie »Acting with James Franco« mit Bruder Dave), verbindet sich überraschend plausibel mit einem Interesse an Performancekunst: Im Video »Erased James Franco« (2008) spielte sich Franco für den renommierten Künstler Carter durch Momente seiner bisherigen Filmrollen, exorziert dabei quasi seine an Reinfällen reiche Filmografie. Ein anderes Vernichtungsexperiment führte Franco für Autor Dave Eggers durch: »We asked James Franco to destroy this room«, beginnt ein Trailer für Dave Eggers’ »The Room Before And After, Part 1« (2009): »He agreed.« Worauf Franco – im Anzug und mit perfekt sitzenden Locken, als käme er vom Shooting eines seiner Gucci-Werbefotos – ein aufgeräumtes Schlafzimmer betritt und Mobiliar und Mauerwerk fröhlich zu verwüsten beginnt.

Wunderkind im Hospital

Solche Ausflüge in die Kunstwelt (samt eigener Multimedia-Ausstellung in der Clocktower Gallery in New York) sind nur ein Bruchteil von Francos Output. Der kolportierte Eifer, mit dem er seit 2006 neben der Filmkarriere an bis zu vier Unis gleichzeitig sein Film- und Literaturstudium betreibt, sorgt für allerhand Spekulationen: Hat man es mit einem hyperaktiven Genie zu tun, mit dreister Hochstapelei oder vielleicht doch einfach mit einem Anzeichen dafür, dass Hollywood seine spannendsten Jungstars derzeit mit flachen Rollenangeboten zu Tode langweilt (siehe Joaquin Phoenix)? Auf jeden Fall können die Ergebnisse von Francos Studien – Filme, Kurzgeschichten, Installationen – mit reger Aufmerksamkeit rechnen. Der halten sie nicht immer stand: Seine längeren Regiearbeiten – etwa das eitle Wunderkind-Drama »Good Time Max« (2007) und eine dem Vernehmen nach eher unabsichtlich aufschlussreiche Doku über das Treiben hinter den Kulissen der Sketchshow »Saturday Night Live« – sind über merkliches Bemühen wenig hinausgekommen. (Gerüchte über anstehende Faulkner- oder Cormac McCarthy-Bearbeitungen machen trotzdem neugierig.)

Eine Belastung, wie man aus vorauseilendem Celebrity-Mitleid meinen könnte, ist Francos Prominenz für seine Ambitionen nicht: Im Gegenteil ist sein Schaffen gerade dort am interessantesten, wo es seine Star-Persona zum Einsatz seiner Kunst macht. Von zusätzlichen Abspielflächen wie Sketch-Videos und Galerien profitiert freilich nicht zuletzt der Marktwert des Stars. Über das findige Generieren von Aufmerksamkeit ist das Projekt Franco aber inzwischen weit hinausgewachsen.

Selbstironische Cameos wie ein Auftritt in der Sitcom »30 Rock«, wo Spekulationen über Francos sexuelle Orientierung aufgegriffen wurden, entsprechen noch durchaus der Norm von Öffentlichkeitsarbeit im aktuellen Medienbetrieb. Ungewöhnlicher ist die Gastrolle, in der Franco seit über einem Jahr durch die US-Seifenopern-Institution »General Hospital« geistert: Er verkörpert darin den undurchsichtigen Künstler »Franco«, der mit seinen makaberen Werken – Nachbauten von Mordschauplätzen – die Intrigen und Paarwechsel des Schauplatzes Port Charles aufmischt. Wie »Franco’s« Kunstwerke in Port Charles die Trennung zwischen Kunst und Verbrechen, Schein und Sein nachhaltig durcheinander bringen, so schlingert Francos Spiel in dieser hochstandardisierten Daily Soap permanent zwischen Parodie und straighter Interpretation, zärtlicher Aneignung und Meta-Experiment, ohne je ganz aus dem Rahmen zu kippen. »Franco« ist das vorläufige Meistwerk des Konzeptkünstlers Franco. Aber ohne dieses breite, betörende Grinsen des Filmstars Franco wäre es nur ein schlechter Witz.

»127 Hours« startet am 18. Februar im österreichischen Kino.

»127 Hours«: Bergsteiger in der Klemme

Es war eine eher unwahrscheinliche Wahl: Ausgerechnet Danny Boyle (»Trainspotting«, »Slumdog Millionaire«), der rast- und atemloseste von Großbritanniens Filmemachern, hat sich an die wahre Geschichte des Aron Ralston gewagt. Der End-20er steckte nach einem Unfall bei einer Canyonwanderung mit dem rechten Arm unter einem Felsbrocken fest. Nach fünf Tagen, die er allein in einer Felsspalte ausharrte, befreite er sich durch Amputation des Arms. Vergleichbare Ausdauer beweist Boyle nicht: Ihm ist jede Kranfahrt und Fantasiesequenz recht, um sich für ein Weilchen ins Freie zu retten. Nach einer ersten Hälfte, deren Rhythmus sich plausibel an die Wahrnehmung des Draufgängers und anschließend Eingesperrten koppelt, begräbt Boyle den Film schließlich unter banalen Assoziationsblitzen. James Franco Hauptpartie überlebt trotzdem fast unbeschadet: Auch sein Ralston hat noch in der schlimmsten Klemme etwas seltsam Sonniges, Aufgekratztes. Aber diese Stimmung erweist sich in seiner energischen Darstellung nicht als Ablenkung, sondern als Kraftvorrat, um der eigenen Situation ins Auge zu blicken.

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