Der Sommer so nah

Animal Collective Mastermind Noah Lennox aka Panda Bear veröffentlicht dieser Tage sein drittes Soloalbum “Tomboy“. Führt die Suche nach dem ewigen Sommer in den Pop-Olymp?

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Unter Fankreisen munkelte man schon, “Tomboy“ würde Noah Lennox Äquivalent zu “Smile“ werden – Brian Wilsons unvollendete “Teenage Symphony To God“, ein gescheiterter Geniestreich, der den zerbrechlichen Musiker letztendlich in den Wahnsinn trieb. Vor über einem Jahr angekündigt, zog sich der Release des Albums immer wieder nach hinten. Eine Serie von 7“ Singles – bestehend aus kruden Demos, die Lennox im Heimstudio in dessen Wahlheimat Lissabon aufgenommen hatte – wurde zwischenzeitlich veröffentlicht. Parallel dazu tauchten auf Youtube ominöse Livemitschnitte neuer, namenloser Songs auf. Es schien fast so, als ob Lennox den künstlerischen Druck, der nach dem vielgelobten Panda Bear Album “Person Pitch“ auf ihn lag, durch ein semi-öffentliches Work-In-Progress Projekt zu kanalisieren versuchte.

Nun ist “Tomboy“ tatsächlich fertig geworden – und der Künstler nicht dem Wahn verfallen. Das Album öffnet mit “You Can Count On Me“, einer zwei Minuten kurzen, fast sakral anmutenden Pop-Perle. Ein Kokon von unzähligen Texturen umgibt ausufernde, an die Beach Boys erinnernde Chorbögen. Alles schreit: Sei naiv, sei liebevoll, sei glücklich! Der kategorische Imperativ findet auch in den Tracks “Tomboy“ und “Slowmotion“ Gebrauch, dazu nisten sich düstere Dub-Elemente in die sonnengebräunten Strandmelodien ein. Eine Brücke zwischen Leichtigkeit und Melancholie schließt sich in “Surfers Hymn“ – der Titel ist Programm, beginnt sogar mit Meeresrauschen, ist aber trotz der offenkundig zitierten Referenzen ein Höhepunkt des Albums. Nach dem anmutigen “Last Night At The Jetty“ zeichnet sich ein Sonnenuntergang am Horizont an: “Now I See“ singt Lennox repetitiv in dem von wiederhallenden Synth-Lines getragenen “Drone“ – von hier aus geht die Reise ins Innere, und die das Sakrale und Unschuldige stets begleitenden Zweifel gewinnen überhand.

Der verträumte Rhythmus von “Alsiatian Darn“ schwelgt zwischen Rückzug und hymnischen Aufbegehren und kulminiert in der Frage “Say What It Is I Want To Say To You?“. Die Pianogetragene Ambient-Collage “Scheherezade“ bildet den einzigen hörbaren Bruch in dem konzeptuell sehr geschlossenen Album. Sinister ist der Übergang zu “Friendship Bracelet“, einem Song-Loop, der musikalisch noch am ehesten mit “Person Pitch“ verwandt ist. Im hypnotisch-pulsierenden “Afterburner“ beginnen die Chöre, die Lennox im Kampf gegen sich selbst anstimmt, allerdings wieder zu frohlocken. Es ist die Stelle, an der “Tomboy“ sein Klimax erreicht. Das endgültige Heilsversprechen wird im Album-Closer „Benfica“ erteilt: Der post-psychedelische Afterglow mündet mit dem kumulativen Effekt der Freude – oder dem, was kalifornische Hippies eine ozeanische Selbstentgrenzung nennen würden.

Nostalgischer Meeres-Songzyklus

“Tomboy“ funktioniert als wiederkehrendes, periodisches Ereignis: Die Platte verrauscht wie ein Tag am Meer – Ebbe und Flut, Rückzug und Preisgabe, die Seele als Tropfen im kollektiven Ozean. Der Song-Zyklus vermittelt das Gefühl, dem endlosen, weiten Wasser ganz nahe zu sein. Die Erinnerungen, die sich darin spiegeln, sind die Erfahrungen der Kindheit und Adoleszenz. Verschrieb sich Brian Wilson in “Smile“ noch einer Beschwörung aller vier Elemente, so ist “Tomboy“ ganz klar eine Ode ans Wasser: Wasser, das die Sandburgen der Kindheit formte, Wasser, auf das die Tränen der Liebe fielen. Auch lyrisch ist die coming-of-age Thematik Konzept: Es geht darum, anders zu sein, als von einem erwartet wird – der Begriff “Tomboy“ ist in diesem Zusammenhang eine Bezeichnung für Mädchen, die sich entgegen ihrer anerzogenen Geschlechterrolle wie Jungen verhalten.

Anders als erwartet ist auch der Zugang zu den Songs ausgefallen: Im Vergleich zu dem fast vollständig auf Loops und Samples basierenden “Person Pitch“ gibt sich “Tomboy“ melodieverliebter und um einiges reduzierter, was den Einsatz von elektronischen Fragmenten, Soundschnipseln und Klangartefakten angeht. Damit steht das Album dem musikalischen Output des Animal Collectives – im spezifischen deren vorjähriges Werk “Merriweather Post Pavillion“ – näher als alles, was Lennox bisher unter dem Namen Panda Bear veröffentlichte. Dies mag auch dem Wirken der Dreampop-Legende Sonic Boom (Spacemen 3) zuzuschreiben sein, der den Sound im Vergleich zu den 7“ Mixes der Singles eine Spur weit in Richtung kantenfreie Popmusik dirigierte. Die Psychedelia der späten Beach Boys und Van Dyke Parks in Synthese mit Chillwave-Electronica zwischen Flying Lotus und Washed Out dienen als Blaupause zur kontextuellen Einordnung.

Die Referenzen sind aber in keiner Weise als Zitatebrei zu verstehen, sondern als Einflüsse in ein Werk, das inspiriert und inspirierend zugleich ist. Was es wichtig macht? “Tomboy“ hinterlässt ein Gefühl, das erzeugt wird, wenn ein Album mehr zurück lässt als die Summe seiner Teile. Es produziert ein eigenes Bild, einen eigenen Geschmack – und wird somit zur Referenz für sich selbst. Musik für einen Sommer, in dem wir nie wieder alt werden wollen.

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