Das MAK besinnt sich auf seine Wurzeln. Die Schausammlung zum Wiener Kunstgewerbe um 1900 wurde neu konzipiert – und lässt Raum für das Einschreiten von Gegenwartskunst.
"Wien 1900" - Erster Saal: 1890-1900 (© MAK/Georg Mayer)
Die Überwindung des Historismus prägt den ersten Ausstellungsraum. Alte Ideen in neuer Form - die Mitglieder der Wiener Secession waren gegen einen unzeitgemäßen Ausdruck gesellschaftlicher Bedingungen.
"Wien 1900" - Erster Saal: 1890-1900 (© MAK/Georg Mayer)
Andere Länder waren zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach einem modernen Stil schon weiter fortgeschritten und so sind westeuropäische und japanische Einflüsse noch deutlich sichtbar.
"Wien 1900" - Erster Saal: 1890 - 1900 (© MAK/Georg Mayer)
George Prentiss Kendrick (zugeschrieben) (1850–1919), Vase, Cincinnati U.S.A, vor 1900 Ausführung: Grueby Faience Company
"Wien 1900" - Zweiter Saal: 1901-1914 (© MAK/Georg Mayer)
Tageslicht und transparente Vitrinen in der Miete des Raums – der zweite Schauraum betont die Nähe der Ausstellungsstücke zum Alltag und gegenwärtigen Design.
"Wien 1900" - Zweiter Saal: 1901-1914 (© MAK/Georg Mayer)
Zuerst machte man durch Provokation auf sich aufmerksam, bis sich ein vielfältiger Wiener Stil etablieren konnte, der futuristische Gefäße, neben rustikal-traditionellen Hauben ermöglicht, und verschnörkelten Jugendstil neben geraden Linien und klaren Formen, die bereits den Bauhaus-Stil andeuten, dem paradigmatischen Stil der Moderne.
"Wien 1900" - Zweiter Saal: 1901-1914 (© MAK/Georg Mayer)
Josef Hoffmann, Teeservice, Wien, 1903 Ausführung: Wiener Werkstätte (Konrad Koch)
"Wien 1900" - Dritter Saal: 1914 - 1938 (© MAK/Georg Mayer)
Im letzten Ausstellungssaal wird der Wiener Stil, als inzwischen international bedeutender, Werken aus anderen Ländern gegenübergestellt.
"Wien 1900" - Dritter Saal: 1914 - 1938 (© MAK/Georg Mayer)
Josef Frank, Tischlampe, Wien, 1919 Ausführung: Wiener Werkstätte
"Wien 1900" - Dritter Saal: 1914 - 1938 (© Peter Kainz/MAK)
Oswald Haerdtl, Flasche mit Stöpsel, Trinkservice Nr. 240 „Ambassador“, Wien, 1924 Ausführung: Karlsbader Kristallglasfabriken A.G.
"Darüber hinaus" (© MAK/Katrin Wißkirchen)
Spielzeug, Papierblumensträuße, Typographie, Muster und Ornamente – eine eklektische Sammlung ergab sich durch Pae Whites Fokus auf anonyme Stücke.
"Darüber hinaus" (© MAK/Katrin Wißkirchen)
Unter den ausgestellten Gegenständen befinden sich viele Katagami, japanische Färberschablonen, die einen entscheidenden Einfluss auf europäische KünstlerInnen und DesignerInnen hatten.
"Darüber hinaus" (© MAK/Katrin Wißkirchen)
Angewandte und zeitgenössische Kunst, die Verwurzelung in Wien und ein gewisser Bildungsauftrag – so definierte MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein auf der Jahrespressekonferenz die Zuständigkeiten und Ziele des MAK. Mit der Ausstellung „Wien 1900“ ließen sein Team und er den Worten nun Taten folgen. Am 20. November wurde die Schausammlung „Wien 1900 – Wiener Kunstgewerbe 1890–1938“ eröffnet.
„Eigentlich ist jede Kunst Gegenwartskunst, egal wie alt die Kunstgegenstände selbst sind. Es braucht immer wieder eine neue Annäherung und Auseinandersetzung mit ihr.“ Für diesen Gedanken von Christoph Thun-Hohenstein ist „Wien 1900“ paradigmatisch. Die Ausstellung verläuft in zwei Stufen. Für die aktuelle Anfangsphase plante Kunsthistoriker Christian Witt-Döring drei Schauräume, ein vierter wurde von der kalifornischen Künstlerin Pae White bestückt. Ab Mai werden dann noch mehr ihrer Werke zu sehen sein: eine künstlerische Intervention der drei Galerien, zeitgleich mit einer Einzelausstellung, die vom Kunsthandwerk zur Jahrhundertwende inspiriert ist.
Das künstlerisch-kuratorische Konzept
Bereits in der ersten Phase profitiert die Ausstellung von den verschiedenen Zugängen von White und Witt-Döring, von der Wechselwirkung zwischen kuratorischem und künstlerischem Konzept. Whites Beitrag mit dem Namen „Darüber hinaus“ zeigt unterschiedlichste Gegenstände mit unbekannter Urheberschaft, die – wie sie sagt – „frei von der Tyrannei der Geschichte zu ihren ganz eigenen Bedingungen zur Schau stehen“. Einerseits geht es ihr darum, diese anonymen Schöpfungen aus den Archiven zu holen und ihren Wert hervorzuheben, der der Öffentlichkeit oft verborgen bleibt. Andererseits liefern sie der restlichen Ausstellung einen Kontext, der sinnlich wahrnehmbar ist, aber nicht näher erläutert wird.
Die restlichen Räume mit Deko-Gegenständen, Geschirr, Möbeln und Schmuck sind chronologisch angeordnet. Drei Säle, drei Zeitabschnitte, drei Themen und Stimmungen. Schautafeln zu den einzelnen Jahren liefern geschichtliche, insbesondere kulturgeschichtliche, Hintergründe. Industrialisierung, Weltkriege und Wirtschaftskrise – trotz oder gerade wegen dieser Zäsuren waren die goldenen 20er, wie in vielen anderen Bereichen, auch im Kunsthandwerk eine kurze progressive Phase der Freiheit.
Wiener Moderne
Witt-Döring war es darüber hinaus besonders wichtig die kulturelle Bedeutung von Wiener Werkstätte, Secession und Jugendstil zu zeigen. Ihre Wurzeln, Entwicklungen, Auswirkungen und ihre zeitgenössische Aktualität sollten aber nicht isoliert betrachtet werden. Zum Vergleich finden sich deswegen Ausstellungsstücke aus jüngeren und älteren Epochen zwischen den Vasen, Kerzenständern, Stühlen und Schränken der Jahrhundertwende. Sie veranschaulichen beispielsweise klassizistische oder Rokoko-Einflüsse. Manche davon wurden vom Museum bereits um 1900 als beispielhaftes Anschauungsmaterial aus Ländern wie England, Belgien, Frankreich, Deutschland oder Japan gekauft.
Verdächtigt man hingegen – vor allem im mittlerem Raum – bereits zum zweiten oder dritten Mal ein Artefakt zu Unrecht, sich aus jüngerer Zeit „dazwischengeschummelt“ zu haben, wird deutlich, wie erfolgreich und zukunftsweisend die Suche der Wiener nach einem Stil der Moderne war. Laut Thun-Hohenstein bewusst didaktisch gestaltet, gibt „Wien 1900“ einen strukturierten, umfassenden und vor allem verständlichen Überblick über diese Suche mit ihren vielfältigen Ergebnissen. Erste Eindrücke daraus haben wir in unserer Galerie gesammelt.
Die MAK-Schausammlung „Wien 1900 – Wiener Kunstgewerbe 1890–1938“ ist in der aktuellen Form vom 20. November bis 6. Mai 2013 zu sehen. Ab dem 07. Mai 2013 wird sie ergänzt durch eine künstlerische Intervention und eine Einzelausstellung von Pae White mit dem Titel „ORLLEGRO“.