Die hohe Kunst der Verweigerung

Das Zehn-Mann-Musikerkollektiv Wu Lyf aus Manchester führt mit seinem Debütalbum »Go Tell Fire To The Mountain« vor, welche Musik die zeitlose Moderne spielt.

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Anfang des Jahres machten Berichte über ein mysteriös anmutende Band mit dem kryptischen Namen Wu Lyf die Runde: Es wurde von furiosen, in den Pop-Kanon eingehenden Live-Konzerten erzählt, die ein wunderliches Musikerkollektiv, das eigentlich niemand kannte, zu einem Eintrittspreis von einem Pfund pro Ticket in stillgelegten Outlets in Manchester unter dem Credo »Heavy Pop« veranstaltete.

Die Gruppe, die sich mit vollem Namen World Unite Lucifer Youth Foundation nennt, wurde binnen kurzer Zeit zu den neuen Underground-Heroen der Manchester Indie-Szene stilisiert. Die mit Vorschusslorbeeren nie sparsame britische Musikpresse versuchte sogleich, Wu Lyf durch ihre geölten Hypeschleifen zu ziehen, und auch die Musikindustrie zeigte sich interessiert – doch die Gruppe verweigerte sich Journalisten wie Plattenlabel-Vertretern. Es wurden keine Interviews gegeben und keine Verträge unterzeichnet. Nicht einmal die Namen der mitwirkenden Musiker waren bekannt. Als einziges mediales Sprachrohr nutzte die Band ihre eigene Webseite – und schrieb dort über sich selbst: »Wu Lyf is nothing. They are not for sale, they have no cash flow or value«.

Manchester-Kapitalismus-Verweigerung?

Das nordenglische Manchester ist alles, nur nicht hübsch. Trotzdem gelang es der industriegrauen Schornsteinmetropole im Laufe der Dekaden immer wieder, als Biotop für große und wichtige Popmusik zu fungieren. Die Stadt war die Reifeprüfung und Spielwiese für Bands wie The Smiths, Joy Division, oder The Verve, die hier –lange bevor sie in den gediegenen Konzerthäusern der britischen Hauptstadt gefeiert wurden – bereits die örtlichen Clubs bespielten.

Das von Wu Lyf beackerte Biotop scheint besonders von der als »Madchester« titulierten Phase der musikalischen Stadtentwicklung beeinflusst worden zu sein. Ende der 80er galt die Stadt als das Mekka für neuartige Klänge: Die Stone Roses veröffentlichten mit »Fools Gold« eine stilprägende, auf Synthesizer-Drum-Beats basierende Single. Die nicht weniger eloquent modernistischen Happy Mondays besangen derweil mit dem Album »Pills n Thrills n Bellyaches« die Anfangstage der Rave-Kultur. Das Konglomerat aus kühlen, elektronischen Loops und melodisch-psychedelischem Gitarrenpop sollte zum akustischen Wahrzeichen von Manchester werden – ein Wahrzeichen, das auch dem Sound von Wu Lyf tief innewohnt.

Wu Lyf zeigen sich auf Pressefotos als vermummtes Kollektiv ohne Ranghierarchie: zehn Jungs, die zusammen Musik machen, nicht mehr und nicht weniger. Auch wenn die Rollen innerhalb der Band klar akzentuiert zu sein scheinen, dringen diese nicht nach außen – die Musik soll für sich selbst stehen und nicht von einem Gesicht abhängig gemacht werden.

Als Aufmerksamkeitsverstärker ist das ja nicht neu. Gerade die Verweigerung führt zu noch mehr medialen Vereinnahmungsversuchen. Aufgrund der kritischen Haltung der Band gegenüber den Vermarktungsmechanismen der Popindustrie schien es dennoch bis zuletzt so, als ob das Streben nach künstlerischer Autonomie unvereinbar mit einer kommerziellen Albumveröffentlichung sei – bis sich Wu Lyf im April überraschend auf ihrer Homepage zu Wort meldeten und die Aufnahmen für ihr erstes Album als vollendet erklärten. Um der Einflussnahme der Kulturfabriken so weit wie möglich zu entgehen, entschloss sich das Klangkollektiv allerdings, »Go Tell Fire To The Mountain« auf dem selbst gegründeten Label herauszubringen – mit allen damit verbundenen Risiken und Chancen.

Zeitlos referentiell

Der Arbeitsethos der eloquenten Engländer hat sich musikalisch bezahlt gemacht: Wu Lyf ist mit »Go Tell Fire To The Mountain« eines der epochalsten und vielleicht auch wichtigsten Debütalben der letzten Jahre gelungen. Es gibt kein einziges Lied, das man auf der Reise durch die Platte überspringen möchte. Der euphorisch-sakrale Opener »L_Y_F«, bringt nicht Luzifer, sondern Aphrodite ins Spiel: »Keep it good ’cos you know I love you I love you forever« singt Ellery Roberts, das Sprachrohr der Band, repetitiv und mit markant unverwechselbarer Stimme zu hymnischen Gitarrentürmen nach der Bauart von Arcade Fire.

»Such A Sad Puppy Song« erinnert mit elegischem Bassspiel und depressiv-verstimmtem Tempo an die späten Joy Division. »Summer Bliss« lässt die Sonne strahlen und umgibt sich dabei mit einem new-wavigen Kokon aus Synthesizer-Rhythmen und Drumlines. Die Stone Roses-Reminiszenz »Concrete Gold« kann man indes nur als uneingeschränkt schön beschreiben, so rund und wohlfühlend nistet sich der Song im Ohr ein.

Den dramaturgischen Höhepunkt erreicht »Go Tell Fire To The Mountain« dort, wo alles begann: Im Closer »Heavy Pop« kommt noch einmal die Essenz der Band in ihrer Gesamtheit zu tragen. Das Lied übt eine starke emotionale Verbundenheit aus, was vielleicht der klug eingearbeiteten stilistischen Referenzialität, vielleicht aber auch der perfekt aufeinander eingespielten Musikalität der Bandmitglieder zuzuschreiben ist – der Song wirkt jedenfalls so, als ob man ihn eigentlich schon vor Jahren ins Herz geschlossen und gerade eben im Plattenregal wiederentdeckt hätte. Die Musik von Wu Lyf ist trotz aller Nostalgie im Hier und Jetzt verankert, ist aktuell und zeitgemäß, dabei aber auch auf eine magische Art und Weise zeitlos: ein schöner Ort zum Sein.

Ellery Roberts, Sänger von Wu Lyf, im Interview:

Wu Lyf geben nicht gerne Interviews, wie zu vernehmen war – hat sich euer Verhältnis zu Medien in letzter Zeit verändert, oder habe ich einfach nur Glück, dich ans Telefon zu kriegen?

Ellery Roberts: Du hattest Glück (lacht). Nein, das war keine geplante Verweigerungshaltung. Wir haben bis zuletzt keine Interviews gegeben, da wir keinen Hype um etwas kreieren wollten, das noch nicht fertig ist. Wir wollten während der Zeit, an der wir am Album arbeiteten, einfach keine Aufmerksamkeit.

Wir hatten Angst, die Erwartungen und damit auch den Druck, der auf uns lag, ungerechtfertigt hochzuschrauben. Ich bin auch jetzt, wo das Album bald draußen ist, noch kein Fan von Interviews. Dieses »Hört-Was-Ich-Zu-Sagen-Habe« ist nicht mein Ding. Ich will ganz einfach nicht, dass Leute glauben, sie müssten mir zuhören.

Was hältst du vom Medienhype, der sich um Wu Lyf manifestiert? Der NME nannte euch letztens »the next big thing in pop history« … Machen dich solche Prophezeiungen stolz, unsicher oder wütend?

Keines von alledem, es ist mir schlechtweg egal. Die britische Musikpresse ist bekannt dafür, ständig auf der Suche nach einem neuen Medienhype zu sein. Zur Zeit sind wir im medialen Rampenlicht – aber mir ist egal, was der NME oder andere Blätter über Wu Lyf schreiben. Unser Anliegen ist es, Musik zu schaffen, die unseren eigenen Definitionen von Substanz und Qualität gerecht wird. Gute Musik zu machen – das ist alles, was uns am Musikbusiness interessiert.

Man weiß kaum etwas über Wu Lyf – ist die Anonymisierung im Bandkontext eine Art Statement?

Wenn du Musik machst, gibst du viel von dir in diesem Prozess frei – trotzdem ist die Musik nicht über dich persönlich. Wir sehen uns als Schauspieler, die Geschichten erzählen, ein Spiel spielen. Unsere Musik ist kein Statement über unser Leben. Wir machen nicht Musik, damit die Leute uns kennenlernen. Wir betreiben Musik als dramaturgisches Konzept, als Schauspiel – es geht um die Kunst an sich und nicht um das Gesicht des Künstlers.

Worin liegt deiner Meinung nach das kreative Potenzial deiner Heimatstadt Manchester?

Das kreative Potenzial stammt jedenfalls nicht von dem, was die Stadt zu bieten hat – sondern von dem, was sie nicht bietet. Großstädte wie London haben ein Überangebot an Kunst, Kultur und Möglichkeiten – dort kann man sich komplett in alle vorstellbaren Arten von Ablenkungen verlieren. In Manchester gibt es kaum Ablenkungen, es ist einfach nichts los. Deshalb verbringen die jungen Leute dort ihre Zeit eher damit, in Bands zu spielen oder in irgendeiner anderen Art und Weise selbst künstlerisch tätig zu werden, anstatt in Clubs oder Galerien abzuhängen.

Wie unterschied sich die Aufnahme von dem Album »Go Tell Fire To The Mountain« zu dem Spielen der Songs bei Livekonzerten?

Die gesamte Studioerfahrung war eine Meisterlektion in Sachen kreative Erfahrung. Wir haben das Album in einer leerstehenden Kirche in Ancoats, einem Innenstadtviertel von Manchester eingespielt, was den Aufnahmen eine Art von sakraler Note verlieh. Die Aufnahme-Sessions haben mir sehr viel Spaß gemacht –doch wenn ich die Wahl habe, Live oder im Studio zu spielen, dann bevorzuge ich die Atmosphäre eines intimen Gigs.

Für mich bedeutet Musik Performance: Das Zusammensein mit Menschen, eine direkte Reaktion vom Publikum zu erhalten und neue Sachen auszuprobieren. Ein Live-Konzert ist eine viel menschlichere Erfahrung als das Arbeiten im Studio, wo es im Wesentlichen um die richtige Technik und die richtige Aufnahme geht.

Was ist dein Lieblingssong auf dem Album?

Ich bin stolz darüber, was aus dem Song »Such A Sad Puppy Dog« geworden ist. Dem Track wohnt eine Art von intensiver Detailversessenheit inne, was ich sehr gerne mag. Aber im Grunde gibt es kein hervorzuhebendes Lied – ich sehe unser Album als Ganzes. Jeder Song ist ein essentieller Teil des Albums, jedes Lied steht in Bezug zu einem anderen. »Go Tell Fire To The Mountain« ist die Platte, die wir machen wollten.

Was denkst du über die Studentenproteste in England? Hast du an Demonstrationen teilgenommen?

Mein Vater, meine Schwester und ich waren am 26. März beim großen Protestmarsch in London. Obwohl ich voll und ganz hinter der Sache der Studenten stehe, habe ich mittlerweile gemischte Gefühle zu den Protesten, da deren Anliegen zu limitiert verliefen, denn das Bildungsproblem ist nur eines von vielen. Ja, es darf nicht sein, dass Bildung in Gefahr läuft, für die meisten Menschen unerschwinglich zu werden. Ja, es ist gut, dass die Leute endlich wieder anfangen, sich für etwas einzusetzen – aber man sollte sich eher die Frage stellen, wie es von hier aus im großen Kontext weitergehen soll, wie wir als menschliche Individuen in einer marktgetriebenen, durch und durch materiellen Gesellschaft überleben können. Und ich bin pessimistisch, was einen Wandel zum Positiven betrifft: Die Studentenbewegung hat nicht genug Kraft, um Dinge zu verändern, die Linke vergräbt sich hinter denselben alten klischeehaften Ansagen, die sie immer trug – ohne Taten folgen zu lassen. Das Traurige ist: Es gibt in England weit und breit keine charismatische, aktive politische Opposition.

Was beschäftigt dich gerade außerhalb der Musik?

Die Netzkommunikation ist ein Phänomen, das mich schon länger beschäftigt. Je mehr die Menschen auf Internet basierende Kommunikation setzen, desto schneller scheint auch die Realität der Dinge zu entschwinden. Mir kommt es vor wie eine Art von Membran, die sich über die Oberfläche der Wahrnehmung gestülpt hat. Und die Dinge, die wir wahrnehmen, werden von dieser Membran mehr und mehr selektiert und bestimmt. Ich bevorzuge in der Realität zu leben, die Welt mit meinen Augen zu erfahren, und nicht über Twitter oder Facebook. Alles dreht sich heute um künstlich erschaffene Spektakel, und nicht um das, was man poetisch als das Echte, Wahre, Unverfälschte bezeichnen würde.

Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus?

Die Zukunft besteht aus kontinuierlicher Arbeit (lacht). Wir arbeiten bereits an einem zweiten Album. Außerdem steht eine große Tour an.

"Go Tell Fire To The Mountain" ist bereits am 10. Juni via Lyf Recordings (Rough Trade) erschienen.

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