Sou Abadis Film „Voll verschleiert“ betrachtet das medial viel diskutierte Thema Verschleierung mit Humor und aus weiblicher Perspektive. The Gap traf die Regisseurin und Drehbuchautorin zum Gespräch.
Zugegeben: Der deutsche Titel „Voll verschleiert“ (im Original: „Cherchez la femme“) lässt einen zuerst an eine schlechte deutsche Komödie denken, man sieht beinahe schon das Plakat mit Iris Berben/Senta Berger/Veronica Ferres etc. vor sich und auch das erste Lesen der Synopsis (Mann muss sich als Frau in Niqab verkleiden, um den zum radikalen Muslim gewordenen Bruder eben jener zu besänftigen, und natürlich beginnt dieser sich in die vermeintliche Frau zu verlieben) wird bei manchen nicht sofort den Reiz auslösen, ein Kinoticket für diesen Film zu erwerben. Aber französische Komödien sind – zum Glück – keine deutschen und der aus dem Iran stammenden und mittlerweile lange in Paris lebenden Regisseurin und Drehbuchautorin Sou Abadi ist mit „Voll verschleiert“ ein durchaus humorvoller Film mit vielschichtigen Charakteren gelungen. Mit The Gap hat Sou Abadi über den Vorbilder für ihren ersten Spielfilm, die verschiedenen Bedeutungsebenen eines Schleiers und die Möglichkeit, sich durch Kultur mit der Welt zu versöhnen, gesprochen.
Es heißt ja immer, dass vor allem Komödien schwer zu schreiben sind und der Film behandelt ja auch ein heikles Thema. Was war die größte Herausforderung beim Entstehungsprozess des Films?
Ich habe davor noch nie an einem fiktiven Drehbuch geschrieben, da ich aus dem Dokumentarfilm komme und in diesem Bereich viel geschrieben habe, daher war es für mich schwierig, das Drehbuch zu diesem Film zu schreiben. Man kann es wie eine schwierige Geburt bezeichnen. Ich hatte diese Idee im Kopf und wusste dabei, dass vor allem eine Komödien eine große Herausforderung darstellt. Eines Tages habe ich mich dann aber auf sehr natürliche Art und Weise in dieses Projekt hineingestürzt – ohne zu zögern. Ich habe so schnell und flüssig daran gearbeitet, als wäre diese Geschichte schon immer in mir drinnen gewesen.
Dem Film gelingt die Gratwanderung zwischen Komödie und ernstem Background, die Figuren sind vielschichtig. Welche Aspekte waren Ihnen besonders wichtig? Hatten Sie im Laufe des Prozesses einmal Angst, in Klischees zu verfallen oder ähnliches?
Von der Form her ist es eine Komödie, aber mir war wichtig, dass es ebenso einen ernsten Hintergrund gibt. Ich wollte eine politische Komödie machen, ich wollte, dass die Leute aus dem Film gehen und zum Nachdenken angeregt werden. Ich hoffe, das ist mir gelungen. Bisher lief der Film vor allem in Frankreich, wo es sehr viele Debatten im Anschluss an den Film gegeben hat, und das hat mir durchaus gezeigt, dass ich mit „Voll verschleiert“ etwas in Gange gebracht habe. Als Vorbild haben mir etwa Filme wie „The Full Monty“ oder „Doctor Strangelove“ gedient, bei denen auch ein ernstes Thema als Grundlage diente. Ich möchte auch betonen, dass es sehr viel Skepsis bei diesem Projekt gab – vor allem von Seiten der Fördergeber und des Fernsehens. Sie haben mir geraten, den Komödien-Aspekt zu behalten, aber das Politische außen vor zu lassen. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich glaube auch, dass genau diese Haltung, also immer alles Politische ausradieren zu wollen, dazu geführt hat, wo wir heute – zumindest in Frankreich – politisch hingekommen sind. Oder auch in Deutschland, wo die extremen Rechten bei der letzten Wahl viel dazugewonnen haben.
Der Film spielt auf mehreren Ebenen mit dem Thema Verschleierung, auch in der Hinsicht, dass es erst die Verschleierung Armands ist, durch die Mahmoud emotional erreicht wird, die ihn damit auf einer anderen Ebene trifft. Wie sind Sie zu diesem zentralen Thema des Films gekommen?
Der Schleier gibt Armand eine Art von Freiheit, weil er dadurch seine Freundin treffen kann, er gibt ihm auch Macht über Mahmoud. In dem Moment, in dem sich Mahmoud in Armand als Sheherezade verliebt, wird seine Sprache zu einer nahezu göttlichen Sprache. Weiters ist der Schleier ein beunruhigendes Objekt, ein Objekt, das auch Macht auslöst, er löst aber ebenso bei manchen Angst aus. Ich wollte zeigen, dass der Schleier nicht nur ein eingleisiges Element ist, sondern eine komplexe Serie von Elementen mit sich trägt. Vor allem geht es darum, dass er bei den einen Verachtung und bei den anderen Respekt auslöst. Der Blick ist einfach verschieden. Das zeigt sich auch in der Szene in der U-Bahn, in der das Kind sagt: Schau Mama, ein Gespenst!
Wie gestaltete sich das Casting? War es ein langer Prozess?
Nein, es hat nicht allzu lange gedauert. Die Hauptdarsteller habe ich in ungefähr zwei Monaten gefunden, für die restlichen Nebendarsteller hat es etwas länger gebraucht, alles in allem hat der Casting-Prozess fünf Monate gedauert. Am längsten habe ich gebraucht, um den Darsteller des jüngeren Bruders zu finden. Ich wollte einfach auch schöne Menschen finden.
Gab es besondere Momente vor allem hinsichtlich der Szenen, in denen Armand eine Niqab trägt oder die Schlussszene am Flughafen?
Felix, der den Armand spielt, ist genauso ein Klaustrophobiker wie ich selbst, die Kleidung wurde zwar extra für ihn angefertigt, aber es war dennoch sehr heiß darunter und er litt sehr darunter. Er selbst entschied sich dazu, Schuhe mit Absätzen zu tragen, um quasi wirklich in die Rolle einer Frau zu schlüpfen, aber alles in allem war es für ihn sicherlich eine harte und schwierige Erfahrung. Das wirklich Schwierigste war die Arbeit am Flughafen, da dort viele Passagier waren, es war ein ständiges Kommen und Gehen. Wir konnten für die Dreharbeiten natürlich nicht den gesamten Flughafen sperren lassen. Viele bemerkten – trotz unserer Schilder – nicht, dass hier gedreht wurde, und als diese dann plötzlich den Aufmarsch und eine Person in Niqab sahen, hat das bei manchen wirklich Angst ausgelöst. In ein, zwei Moment sieht man erschrockene Gesichter – das waren echte Reaktionen, wir hatten keine Statisten in diesen Szenen. Das waren drei sehr teure und schwierige Drehtage, unter anderem auch, weil es Bauarbeiten am Flughafen zu diesem Zeitpunkt gab. Es war alles sehr intensiv und auch physisch sehr hart, aber ich war im Endeffekt so glücklich und zufrieden mit unsere Arbeit und damit, was die Schauspieler und die Crew alle geleistet haben.
Welchen Bezug haben Sie zum österreichischen Film und zur österreichischen Kulturlandschaft?
Leider kenne ich – außer Michael Haneke – das österreichische Kino nicht. Aber ich mag die Malerei und diesen österreichischen Geist, der über die Malerei und die Literatur transportiert wird.
Sie meinten, die Geschichte des Films ist die Geschichte einer Versöhnung. Wie kann Kultur dazu beitragen, dass Menschen sich mit der Welt versöhnen?
Das ist eine schwierige Frage, aber natürlich: Zu lesen und sich etwa der Poesie gegenüber zu öffnen, das öffnet uns auch dem Anderen gegenüber und eröffnet uns neue Horizonte. Es gibt einen iranischen Dichter, der folgendes geschrieben hat: Alle Menschen zusammen bilden einen Körper. Das ist über dem Eingang der Vereinten Nationen in New York geschrieben und es sagt mehr oder weniger aus: Wenn nur ein Glied dieses Körpers verletzt ist, dann ist der ganze Körper verletzt.
„Voll verschleiert“ ist seit 28. Dezember 2017 in den österreichischen Kinos zu sehen.