Ist die Ausstellung »Protest/Architektur« im Wiener MAK gut gemeint oder genial? Paul Buschnegg macht sich auf die Suche nach der Bedeutung von »gutem« Protest in Zeiten von verschwimmenden politischen Grenzen.
Es sind die Fenster, die auffallen. Ungewöhnlich, dass sie nicht verdeckt sind, wie sonst immer. Sonnenlicht durchströmt das Obergeschoß des MAK und taucht die Ausstellung »Protest/Architektur« in helle Farbtöne. Durch die Fenster sieht man Wienfluss, MAK-Garten und Bäume, die sich im Wind wiegen. Irgendwie total romantisch, denke ich – genau wie die Ausstellung selbst, denke ich später, als ich gehe. How come?
Die monumentale Schau zur Materialität von Protest traut sich was: Das Ausstellungsdesign besteht nur aus umfunktionierten Tischen und Stellwänden des MAK, die wie Barrikaden den Raum verstellen. Texte finden sich nur in Plakatform – im Raum verteilt hängen A0-Poster und erzählen von unterschiedlichen Protestbewegungen und ihren Materialitäten. Ringsum finden sich unzählige, in liebevollster Kleinarbeit hergestellte 1:10 Modelle von Zeltlagern, Baumhäusern und anderen ephemeren Architekturen des Widerstands. Daneben bedecken Laptops, Hämmer, Seile, Säcke, Sägen und Planen den Boden. Die Ausstellung ist gleichzeitig selbstreferenziell, smart und niederschwellig. Und: politisch, – im wahrsten Sinne des Wortes – plakativ politisch. Schlupfloch für eben dieses Politische ist der eigentliche Kern, das »Material«. Die Materialität macht die Protest-Schau in einer durchwegs eher unpolitischen Design-Institution nämlich möglich.
Von Civil Rights zu Lobau
Oliver Elser, der normalerweise im Frankfurter Architekturmuseum kuratiert, ist mit »Protest/Architektur« ein smarter Blockbuster gelungen, der ein breites Publikum anzieht und einen detailreichen Bogen von der jüngeren Lobau-Bleibt-Bewegung in Wien zu US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen der 60er-Jahre spannen kann. Dabei werden zahllose Protestbewegungen vorgestellt und miteinander in Beziehung gesetzt. In der Mitte des Raumes steht ein großer LED Screen, der Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt zeigt; das euphorische Aufbegehren einer nach mehr Mitbestimmung strebenden Zivilgesellschaft – rund um die Welt und quer durch die letzten Jahrzehnte.
»Diese Ausstellung ist gut. Diese Ausstellung ist gut. Diese Ausstellung ist gut. Diese Ausstellung ist gut. Diese Ausstellung ist gut.« Das murmle ich, als ich zwischen den Objekten im Raum (z. B. unterschiedlichen Polizeischildern, eines aus Bambus), den Postern, den Barrikaden und den Modellen herumschlendere und in historische wie zeitgenössische Bewegungen eintauche – bis, ja bis ich auf ein Poster treffe, dass mich nachdenklich stimmt. Vom matten Plakatpapier schaut ein nur zu gut bekanntes Motiv zu mir herunter: ein oberkörperfreier, tätowierter Mann im Pelz, das Gesicht in den Farben der US-amerikanischen Flagge bemalt. Es handelt sich um den Verschwörungstheoretiker, Trump-Supporter und selbsternannten Schamanen Jake Angeli, im unrühmlich bekannt gewordenen Büffeloutfit. Hmmm … Auch der Sturm auf das Kapitol, den das FBI als inländischen Terrorismus, und viele internationale Beobachter als versuchten Staatsstreich Donald Trumps bezeichnen, wird hier als Protestbewegung inszeniert. Etwas versteckt und ein bisschen unbeholfen. Und trotzdem gar nicht so verkehrt.
Bürger*innenproteste haben in den vergangenen Jahren einen neuen Beigeschmack bekommen. Die digitalen Echoräume, algorithmisch personifizierten News-Feeds und daraus resultierenden Bubbles, haben neue Formen des Widerstands in die Welt gesetzt. »Rechts« und »Links« sind weniger klar unterscheidbar, Verschwörungstheorien und Alternative-Facts befeuern Misstrauen gegen demokratisch gewählte Regierungen und den Rechtsstaat. Social Media hat Bürger*innenbewegungen verändert. Was vor fünfzehn Jahren im Arabischen Frühling als Demokratiebringer gefeiert wurde, zeigt jedoch seit wenigen Jahren seine Kehrseite. Nicht erst die Corona-Demonstrationen in Wien, Berlin und anderen Großstädten lassen die Grenzen von »vertretbarem« und »problematischem« Protest verschwimmen. Schon der Skandal um den holocaustverharmlosenden Mitbegründer der Klima-Protestbewegung Extinction Rebellion machte 2019 klar, dass eine nicht unwesentliche Schnittmenge im Gedankengut von linken und rechten Initiativen existiert. Vielmehr war der Sturm aufs Kapitol nur der prominenteste Augenblick, indessen sich eine rechte antidemokratische Gruppe die Ästhetik von linkem Protest aneignete bzw. diese in eine rechte Erzählung einweben konnte. Dass Protestkultur heute also immer öfter antiliberal und demokratiefeindlich auftritt und sich ursprünglich linke, liberale mit ursprünglich rechten, illiberalen Weltanschauungen einfacher verbinden lassen, sollte kaum zu übersehen sein. Welche Rolle das aber für die Ausstellung »Protest/Architektur« im MAK spielt, bleibt leider etwas unklar. Und das Bild vom Sturm aufs Kapitol wirkt eher wie eine vergessene Fußnote – eine versehentlich nicht entfernte Randnotiz – als der Versuch einer Auseinandersetzung.
Romantisierter Protest
Für die Ausstellung scheinen die Widersprüche, die ziviler Ungehorsam und Protestbewegungen in einer von Social Media geprägten Gegenwart mit sich bringen, nicht so wichtig zu sein. Es überwiegt vielmehr eine euphorische Präsentation von »gutem« Protest. Dass Protest aber vermehrt von Verschwörungstheorien, Religion und Fundamentalismus angetrieben wird und sich im Streben nach Freiheit auch der Erfolg Donald Trumps widerspiegelt, lässt »Protest/Architektur« unkommentiert. Und das scheint eine bewusste Entscheidung zu sein. Hier im MAK ist the medium the message. Und was die »Material-Schau« hier sendet, ist vor allem eines: Romantik.
Romantisierter Protest ist aufregend und nicht umsonst oft in der Popkultur zu finden – »Star Wars«, »Matrix«, »Die Tribute von Panem«, »Total Recall«, »Avatar«, »Planet der Affen«; vor allem in der Science-Fiction ist der Konflikt zwischen einer unterdrückten, nach Freiheit strebenden Gruppe gegenüber einem totalitären Establishment häufig zu finden. Protest wird dabei gern abstrahiert und als gemeinhin »gut« und »liberal« inszeniert. Das hängt nicht unbedingt mit der US-amerikanischen Herkunft dieser Filme zusammen, die es schon früh verstanden haben, die Identität von gesellschaftlich Benachteiligten zu kommerzialisieren (»Titanic«, »Dirty Dancing«, »Pretty Woman«). Auch der indische Blockbuster »RRR«, der sowohl Kosten- als auch Publikumsrekorde brach, verkitscht die Unabhängigkeitsbewegung Indiens gegen die Kolonialherrschaft des British Empire; und »verkitscht« ist noch eine Untertreibung: In über drei Stunden wird Protest hier als euphorisch fraternisierendes Blutbad ästhetisiert. Das ist vielleicht interessant für Fans von Quentin Tarantino, man kann sich aber fragen, wem eine solche Inszenierung nützt. Im Fall von »RRR« sicherlich der nationalistischen Regierung Indiens unter Premier Narendra Modi.
Der kürzlich erschienene Film »Dune: Part Two« kann hingegen als interessantes Gegenbeispiel betrachtet werden: Der Neo-Science-Fiction-Film zeigt auf, wie Religion und Personenkult Bürger*innenrechtsbewegungen in extremistische Richtungen treiben können. Gut, im Hintergrund versucht eine mysteriöse Gruppe aus weiblichen Verschwörerinnen die Stränge zu ziehen, aber abgesehen davon geht es doch eigentlich recht ideologiekritisch zu. Anders als bei »Der Herr der Ringe«, »Star Wars« oder »Harry Potter« verlässt man den Kinosaal nach dem finalen Gemetzel, das die ursprünglichen Tyrannen in die Schranken weist, diesmal mit gemischten Gefühlen – und mit der Frage, ob die »Guten« vielleicht doch nicht so gut waren, wie man anfangs dachte. Gerade durch den sich zuspitzenden geopolitischen Konflikts zwischen Ost und West und der anhaltenden Eskalation in Gaza wirkt »Dune: Part Two« traurigerweise klug.
Ich stehe lange vor einer originalgroßen, frei im Raum hängenden Holzbrücke aus dem Hambacher Wald. Die Brücke stammt von einem der Baumhäuser, die von Protestierenden gegen die Rodung des ca. 500 Hektar großen Forstes zwischen Köln und Aachen errichtet und bezogen wurden. Seit den 1970er-Jahren rodet der Energieversorger RWE den Wald zur Erweiterung seines Braunkohle-Tagebaus. Länglich geknüpfte Knoten verbinden das Geländer mit Seilen, die die Brücke auf Augenhöhe schweben lassen. Einst hing sie 15 Meter über der Erde im Geäst der Bäume. Hier waren keine studierten Ingenieur*innen am Werk, keine Sicherheitsfirma, keine gelernten Bauarbeiter*innen. Und dennoch verband die Konstruktion ein Baumhaus mit einem anderen. Über 40 Stück soll es davon gegeben haben. Menschen lebten hier, aßen, schliefen – und erreichten durch die von ihnen bewirkte Verzögerung schließlich einen politischen Beschluss gegen die Rodung.
»Wo ist die Euphorie?«
Es könnte sein, dass »Protest/Architektur« sich die Romantik zurecht angeeignet hat. Es macht hier durchaus Sinn, naiv nach Utopien zu fragen und den Fokus auf Euphorie und Empowerment anstatt Verunsicherung und Dekonstruktion zu setzen. Die Ausstellung vermittelt eine Idee von Hoffnung, indem sie die Zerrüttetheit der Linken ignoriert. 2014 sang die Indie-Band Trümmer »Wo ist die Euphorie« und stellte damit eine Frage, die prophetischer kaum hätte sein können. »Ist das alles? / Wo ist die Euphorie? / Alles oder nichts / Jetzt oder nie.« Wir finden uns heute inmitten eines sich radikalisierenden Europas zusehends ratlos wieder – nicht zuletzt emotional. Möglicherweise gelingt es der Ausstellung »Protest/Architektur« Antwort auf diese Ratlosigkeit zu geben. Und obwohl diese Antwort romantisch oder verklärend wirken kann, indem sie verschwimmende politischen Grenzen bewusst ausklammert, ist sie – zumindest hier im MAK – mehr genial als gut gemeint.
Zwischen den Zeilen, Objekten und Architekturen gelingt es der der Ausstellung, Hoffnung und Euphorie zu erzeugen; Euphorie für Protestierende in Hong Kong, die die Straßen mit Steinen auslegen, um der Exekutive die Durchfahrt zu erschweren; Euphorie beim Anblick der Pyramide der Lobau-Bleibt-Bewegung in Wien, die im tiefen Winter Unterschlupf bietet, und Empathie beim Anblick ihrer behördlich angeordneten Zerstörung. So realitätsverzerrend die Pose der Romantik auch sein mag, »Protest/Architektur« im MAK macht vieles richtig. Denn die Reflexion über eine Vermischung der Symbole und Inhalte von »Links« und »Rechts« wird eine Wiederwahl Trumps nicht verhindern. Empathie, Euphorie und romantische Utopien vielleicht auch nicht, aber wir sollten sie nicht den Schwurbler*innen, Verschwörungstheoretiker*innen und Neonazis überlassen.
Die Ausstellung »Protest/Architektur« ist noch bis 25. August im Wiener MAK zu sehen.