Die Rückkehr eines Unverwüstlichen

In den 80er-Jahren, der Blütezeit des Post-Punk, war Edwyn Collins als Vorstand der Band Orange Juice einer der wichtigsten Songwriter seiner Generation. Als Solokünstler feierte er dann Mitte der 90er mit „A Girl Like You“ einen kleinen Indie-Soul-Welthit – ehe seine Karriere 2005 von zwei Schlaganfällen abrupt unterbrochen wurde. Ein Interview mit dem unverwüstlichen Schotten am Rande des diesjährigen Blue Bird Festivals.

Beim Philosophieren über die heutige Download-Generation wird Collins ein wenig wehmütig: „Ich habe immer in Alben gedacht, nie in einzelnen Songs. Klar ist es schade, dass die Leute heute nur noch einzelne Tracks runterladen und nicht mehr das ganze Album als eine Einheit betrachten. Das gute alte Vinyl liegt mir immer noch am Herzen.“ Plötzlich brandet hinter uns ein verhaltener, aber inniglicher Jubel auf, und Grace berichtet uns – passend zum Thema Vinyl –, dass sie gerade einen Newsletter über ihre Label-Website aedrecords.com rausgeschickt habe, in dem der Vorverkauf für das zu seinem 30-jährigen Jubiläum wiederveröffentlichte Aztec-Camera-Debütalbum „High Land, Hard Rain“ angekündigt wird. Und dass prompt auch schon die erste Bestellung reingekommen sei.

Eine zweite große Leidenschaft Collins’ war und ist immer noch das Zeichnen. Hier brachte er es schon in frühen Jahren zu großer Könnerschaft und auch der Versuch, an das mit der linken Hand wieder anzuknüpfen, was er mit seiner gesunden rechten schon einmal geleistet hatte, war Teil der Therapie. „Grace hat immer wieder zu mir gesagt: ‚Du musst etwas zeichnen. Komm, zeichne etwas!‘ Und ich sagte immer: ‚Grace, dräng mich nicht.‘ Aber es war gut so und ich begann zunächst mit ganz einfachen Kreisen. Gleich danach kamen Enten.“ Heute zeichnet Collins wieder hervorragend – am liebsten immer noch Tiere.

Harmonien als Herausforderung

Was war aber im Bezug auf die Musik die größte Herausforderung? „Am schwersten war es natürlich anfänglich die Harmonien wieder so hinzubekommen, wie sie klingen sollten“, gesteht er. Eines der ersten Lieder, die ihm wieder in den Sinn kamen, war sein früher Hit „Falling And Laughing“, dessen erste Demo-Fassung er bereits mit 17 Jahren geschrieben hatte. Dieses Lied war es auch, mit dem er 2007 seine ersten Schritte auf der Bühne wagte.

Ob er denn heute vor Auftritten noch nervös sei? „Nein!“, kommt es entschieden retour. „Weshalb soll ich denn nervös sein? Zugegeben, beim ersten Konzert war ich bei den ersten beiden Songs noch unsicher, aber ab dem dritten Lied, hatte ich nur noch Spaß, und so ist es bis heute geblieben“ – was wohl jeder bestätigen wird, der Collins ein paar Stunden später auf der Bühne des Porgy & Bess erleben durfte. „Ich war früher vermutlich auch eine Spur arroganter als heute, aber das hat sicherlich auch mit dem Alter zu tun“, lächelt er abermals entwaffnend schelmisch.

Und wie war es für ihn damals, als er nach mehr als 15 Jahren im Musikbusiness plötzlich mit „A Girl Like You“ einen weltweiten Hit landete? „Ach, weißt du“, sagt er ohne Wehmut. „Das ist uns einfach so passiert“, und lächelt dabei seine Frau an. Die bestätigt, dass am Tag nach der ersten öffentlichen Ausstrahlung des Songs, das Fax und das Telefon nicht mehr stillstanden – jeder wollte Edwyn Collins buchen oder interviewen. Man kam mit dem Plattenpressen gar nicht mehr nach …

Freiheiten und Rücklagen

Ob das auch dazu führte, dass sich der künstlerische Druck auf Collins erhöhte? „Nein. Ich habe immer gemacht, was ich wollte. Und nun hatte ich einerseits die künstlerische Freiheit und andererseits die finanziellen Rücklagen, um mein Studio auszubauen und meinen musikalischen Weg weiterzugehen. Ich habe dabei niemals auf die Charts geschielt.“

Collins erklärt auch, dass ihn Kritiken, wenn sie einmal nicht so gut sind, heute nicht mehr ärgern. „Aber natürlich freue ich mich darüber, wenn Menschen das gefällt, was ich mache.“ Über die Jahre scheint es, dass Edwyn Collins mit seinen Songs dem Northern Soul das zurückgegeben hat, was ihm dieser zu Beginn seiner Karriere vorgeschossen hatte. Denn es war schon ungewöhnlich, in welch souveräner Form sich Collins mit seiner Band Orange Juice in Zeiten des Post-Punk diesem mit Soul-Elementen entgegenstemmte und diese beiden Antipoden schlussendlich sogar bestens zu verknüpfen wusste.

Trotz all der Erfahrungen der letzte Jahre, sieht sich Collins aber ganz und gar nicht als „role model“. So uneitel und unverblümt er aber mit seinem Schicksal umgeht, kann man ihn schon als Vorbild für vielerlei Dinge im Leben sehen.

Als ich mich nach fast einer Stunde von Collins und seiner Frau verabschiede, nehme ich neben freundschaftlichen Umarmungen noch eine riesige Portion Herzlichkeit mit, die man heutzutage im Showgeschäft eher vermisst. Ich verlasse die beiden, im Wissen, dass mir eine besondere Erfahrung geschenkt wurde und noch ein spannendes Konzert bevorsteht.

Als ich später in die Konzert-Location komme, treffe ich Grace beim Merchandising-Stand wieder, wo sie neben T-Shirts und LPs auch Postkarten verkauft, die Edwyn Collins’ selbst gezeichnete Motive zieren. Sie erzählt von ihrem gemeinsamen Sohn, der auch ein talentierter Gitarrist und Bassist sei, aber zurzeit noch nicht ganz wisse, wo er hinwolle. Manchmal macht es den Eindruck, dass mittlerweile eher Edwyn Grace pusht und sich das Kräfteverhältnis ein wenig umgekehrt hat. Darauf angesprochen lächelt mich Grace an, blickt mir lange in die Augen und gesteht mit einem zufriedenen Lächeln, dass sie sich nach dieser Österreich-Tournee, die sie gemeinsam von Vorarlberg, über Innsbruck und Linz bis nach Wien führte, endlich auf ein ruhiges Wochenende zuhause sehnt.

In der Zwischenzeit ist auch der Star des Abends eingetroffen. Collins bahnt sich in aller Bescheidenheit und ganz konzentriert mit seinem Stock den Weg durch die Menschenmenge. Als ich ihm auf der Treppe nochmals begegne, begrüßt er mich freundlich und wünscht mir noch ein schönes Konzert. Und ich weiß, dass das nur die Zugabe sein wird, zu dem, was mir dieser Mensch im Laufe der Jahre mit seiner Musik und mit dem beeindruckenden Interview ein paar Stunden zuvor schon längst gegeben hat.

Allen Interessierten sei an dieser Stelle noch die BBC-Doku aus dem Jahr 2008 über Edwyn Collins’ Comeback ans Herz gelegt – „Edwyn Collins: Home Again“, so deren Titel, ist auch auf YouTube zu finden. Sowie der Besuch der Website littlebigbeat.com, wo eine erst kürzlich aufgenommene, tolle Live-Session von Edwyn Collins und seinen beiden Bandkollegen zu sehen und zu hören ist.

Bild(er) © (1) Lawrence Watson, (2) Armin Rudelstorfer
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