Die anstehende Europawahl ist entscheidend für vieles – vor allem auch für jene Themen, die unsere Zukunft und damit nicht zuletzt die Jugend Europas betreffen: Klima, Migration, soziale Gerechtigkeit. Doch wer interessiert sich wirklich dafür, was junge Menschen zum politischen Geschehen zu sagen haben? Welches Mitspracherecht haben sie?
Gesellschaftlicher oder politischer Wandel äußert sich oft am schnellsten bei denen, die ihre Position in der Welt noch finden müssen, sprich: bei der Jugend. Die anstehende Europawahl wird wichtiger denn je, um Weichen für die Zukunft Europas und seiner Bevölkerung zu stellen. Doch nimmt die Politik das gesellschaftliche Barometer Jugend überhaupt wahr? Werden junge Menschen in ihren Wünschen und Bedürfnissen gehört?
Laut der SORA-Jugendstudie »Junge Menschen und Demokratie in Österreich 2023« fühlen sich 54 Prozent der 16- bis 26-Jährigen vom österreichischen Parlament kaum oder gar nicht vertreten. Bei jenen in ökonomisch prekären Verhältnissen sind es gar 67 Prozent. Tendenz steigend – auch weil über ein Drittel der Befragten angab, dass sich ihre finanzielle Lage im letzten Jahr verschlechtert habe. Weniger Geld heißt weniger Ressourcen für (politische) Bildung, weniger Zeit sich zu informieren und politisch zu partizipieren. Ein Teufelskreis also. Aber Hauptsache ein Hamburger von McDonalds geht noch – oder, Herr Nehammer?
Demokratie lernen
Hermann Niklas vom gemeinnützigen Verein Sapere Aude will diesen Teufelskreis durchbrechen. Er engagiert sich für politische Bildung und will junge Menschen dabei begleiten, demokratische Prozesse zu reflektieren. Er wünscht sich mehr Unterstützung für die Arbeit mit den Nachwuchswähler*innen: »Jugendliche sollten mehr das Gefühl bekommen, dass sie als Europäer*innen gebraucht werden. Dass sie dieses Europa sind.« Das könne vor allem durch Mobilitätsprogramme, Netzwerke, gute Kommunikation und natürlich mehr finanzielle Mittel von der EU gefördert werden. Gerade auch für junge Menschen, die in solchen Settings oft übersehen werden, wie z. B. Lehrlinge oder Menschen mit Lernschwierigkeiten, solle mehr getan werden. Formate wie Erasmus+, die ein europaweites Netzwerk von beruflichen und bildungsfördernden Projekten anbieten, zeigen, welche Chancen im Projekt Europa liegen.
Eine Studie der TUI Stiftung mit Menschen zwischen 16 und 26 Jahren zeigt jedoch ähnliche Tendenzen in ganz Europa auf: Rund die Hälfte aller Befragten ist unzufrieden mit der Politik im eigenen Land und wünscht sich vermehrten Fokus auf die Interessen von unter 30-Jährigen, von Minderheiten und Menschen mit niedrigem Einkommen. Was sind diese Interessen? Am häufigsten angegeben wurden Wirtschafts- und Finanzpolitik, Klimakrise, Asyl und Migration, Wohnen sowie die ungleiche Verteilung von Vermögen. Viele der Befragten sind sogar bereit dazu, den eigenen Lebensstandard beispielsweise für die Bekämpfung der Klimakatastrophe einzuschränken.
Verwunderlich ist das nicht, denn genau diese Themen entscheiden über die Zukunft, in der die junge Generation leben und alt werden soll. Und davor noch, wem es überhaupt ermöglicht wird, an europäischer Politik und Gesellschaft teilzuhaben. Denn wir sollten bei der Diskussion um die Jugend Europas nicht jene jungen Menschen vergessen, die vor EU-Grenzen die ganze Härte und Feindseligkeit unserer Institutionen erleben, und jene, die zwar bereits in Europa sind, aber aus verschiedensten Gründen vom gemeinsamen Leben ausgeschlossen werden.
Eine gute Aussicht ist, dass es die Bereitschaft zu handeln gibt: Die Mehrheit der Studienteilnehmer*innen setzt auf Wahlen als Mittel für Veränderung und in allen teilnehmenden Ländern ist das Vertrauen in EU-Institutionen größer als das in deren heimische Pendants. Und das, obwohl die EU als langsame oder auch mangelhafte Demokratie verschrien ist. Jede*r zweite Befragte identifiziert sich als europäisch. Das Projekt Europa also als Wunsch nach überregionaler Gemeinschaft?
Das Europäische Jugendforum YFJ bietet jungen Menschen eine Plattform für Diskussion und Partizipation. Larissa Lojic´ ist Studentin der Politikwissenschaft in Wien und bei der BJV, der gesetzlich verankerten Jugendvertretung Österreichs, aktiv. Sie war auch beim Europäischen Jugendforum schon dabei: »Neben der Lobbyarbeit bei Entscheidungsträger*innen organisiert das YFJ verschiedene Workshops und Trainings, um jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, am politischen Leben zu partizipieren. Es ist eine der größten Plattformen für junge Menschen weltweit und dadurch ein riesiges Sprachrohr für unsere Anliegen. Die meisten großen Entscheidungen werden heutzutage auf EU-Ebene getroffen, daher ist es wichtig, seine Meinung auch auf dieser Ebene kundzutun.« Was sich mitunter als schwierig erweisen kann, denn in längst nicht allen EU-Ländern gilt ein Wahlrecht ab 16 Jahren. Auch unsere deutschen Nachbar*innen genießen es erst seit heuer.
Das YFJ setzt sich unter anderem für eine einheitliche Regelung zur Teilnahme junger Wähler*innen in den EU-Ländern ein. Doch junge Menschen, die nicht wählen dürfen, sich nicht gehört fühlen, werden eben andere Wege finden, an einer Politik zu partizipieren, die über ihre Zukunft entscheidet. Teilweise bejubelt und von anderen belächelt zieht es sie zum Aktivismus, zu Demonstrationen und Blockaden für die Themen, die ihnen am Herzen liegen.
Back to the Future
Was dabei offensichtlich wird: Als Gesellschaft können wir die Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen nicht länger übergehen. Und wir müssen Anreize und Möglichkeiten dafür schaffen, dass junge Menschen sich wahrgenommen fühlen und am politischen Geschehen teilnehmen können, gerade bei einem Ereignis von so breiter Relevanz wie der anstehenden Europawahl. Statt die Jugend auf Tiktok mit peinlichen Populismusschmähs zu bombardieren, wie es die neue Rechte immer wieder versucht, wäre eine unvoreingenommene Aufmerksamkeit für tatsächliche Bedürfnisse der jungen Wähler*innen ein guter Anfang. Larissa Lojić schaut jedenfalls mit Tatendrang auf die bevorstehende Wahl: »Österreich, die EU und Europa sind alles andere als perfekt – genau deshalb müssen wir aktiv werden.«
Der Verein Sapere Aude hat seinen Sitz in Wien. Das Team bietet ein breites Programm von Workshops und Weiterbildungsmöglichkeiten für Jugendliche und Erwachsene an. Das Europäische Jugendforum YFJ ist eine Plattform für nationale Jugendorganisationen und NGOs aus den EU-Ländern, die sich für die Vertretung junger Interessen in Europa einsetzen. Informationen und Partizipationsmöglichkeiten.