Disclosure sind die neuen Dance-Popstars. Sie schaffen es, ihre Songs in wirklich jeden Kopf zu bringen, mit cleverer Entschleunigung.
Man kann sein letztes Hemd verwetten, mindestens die Hälfte aller englischen Bass-Produzenten hatten dieses Album als Impulsgeber: Burials Meisterwerk »Untrue« von 2007. So auch die Brüder Guy und Howard Lawrence alias Disclosure. Der eine ist 21, der andere 18 Jahre alt. Vor ein paar Jahren haben sie beschlossen, elektronische Musik zu machen, weil sie Burial hörten. Wie viel sich in sechs Jahren tun kann, zeigt »Settle« nun eben eindrucksvoll. Disclosure haben sich an die elektronischen Geräte gesetzt und mal eben alles, was sie an Einflüssen aus ihrer Kindheit und Jugend hatten, in elektronische Tanzmusik gepackt. HipHop, Soul, House, UK-Garage der 90er, R’n’B und Dubstep. Das gefiel erst Moshi Moshi Records und später dann Greco Roman, dem Label des Hot Chips-Frontman Joe Goddard – sicher nicht die schlechtesten Hypemaschinen. »The Face EP« war die erste Platte, mit der die beiden Brüder aus Südlondon ihren signifikanten Disclosure-Sound festlegten. Und weil beide noch etwas Babyspeck im Gesicht hatten, sind ihre Fotos stets unscharf und über ihre Gesichter wurden skizzierte Kanten gelegt. Da verschwanden zwei Menschen hinter Linien wie Feieranten im Puls der Nacht.
Es ist einfach Pop
Erst spielten das natürlich nur die Radio- und Club-DJs, dann später aber auch die DJs der Dorfdiscos und jene der Teenie-Pool-Partys. Entgegen dem üblichen Lauf der Dinge haben aber die DJs, die den Shit zu erst hatten, nicht aufgehört, die Disclosure-Tracks zu spielen. Es ist ein kleines Phänomen, das bei der Musik der beiden zu beobachten ist. Es ist schlichtweg ziemlich gute, einwandfrei produzierte Musik.
Klar, es ist Dance. Aber es ist weder Minimal Techno, noch Elektro, House und schon gar nicht EDM. Es ist irgendwie alles. Vor allem aber ist es tanzbar und voller Pop. Es ist Clubmusik im Songformat. Mit den typischen Brüchen und Filtern, maximal entschlackt, sofort wiedererkennbar. Ihr Rezept: Ein drückender Bass, der den Rhythmus vorgibt, mal Garage, House oder 2Step. Abgerundet mit einer schönen, klaren R’n’B-Stimme, wahlweise von Mann oder Frau, sehr oft prominent: Jessie Ware, Jamie Woon, Eliza Doolittle und ganz aktuell AlunaGeorge. Pitchfork gab über 9 Punkte. Das killt natürlich die derbste Kritik. Zu viel Pop, zu stromlinienförmig, zu gefällig … ja ja, kapselt euch nur weiter ab.
»Latch«, Disclosures Chart-Hit des letzten Jahres mit diesem charakteristischen Bass-Schaffel, besteht aus genau diesen Zutaten. »White Noise« war Nummer Zwei in den USA. Das Besondere an den Songs ist aber dieses einzigartige Gefühl – ein Gefühl von Einfachheit, unbeschwerter Nächte, Sex, Freiheit. 16-jährige Mädchen aus Chelsea können »Latch« als Liebeshymne hören, junge Erwachsene gehen zu »White Noise« und »Stimulation« joggen, tanzen, essen oder feiern, Erwachsene verziehen nicht das Gesicht, weil das Duo im Vergleich zu Madonna und Psy ja entspannt und clever klingt. Es ist Musik unserer Zeit. Viel zu perfekt. Komplett aus dem Computer. Voller kleiner Spuren und Hinweise. Und was für Melodien. Dabei möchten wir den Beat vorgeben. Doch eigentlich tut es der Computer. Er sagt uns, was gut ist, er sagt uns, was schnell ist und uns weiterbringt. Disclosure lassen sich zwar auch vom Computer den Beat vorgeben, aber sie haben ganz unterschiedliche Freunde mit wunderbaren Stimmen, die dem Sound noch Entschleunigung, Unordnung und eine gewissen Universalität geben – so absurd das bei Dance Music klingen mag.
»Settle« von Disclosure ist bereits via Universal erschienen.