Paranoia als Widerstand – »Do Nothing, Feel Everything« in der Kunsthalle Wien Karlsplatz

Die Ausstellung »Do Nothing, Feel Everything« verdeutlicht, dass es einen anderen Lebensrhythmus braucht, um mit Ausnahmesituationen emotional abschließen und »überleben« zu können – anhand von Werken, die sich mit Affekten, Bestrebungen und Risiken auseinandersetzen. Wahnsinn wird dabei als weitverbreitete Lage und dynamische Wissensform mit heilendem Potenzial verstanden.

© Ausstellungsansicht »Do Nothing, Feel Everything«: Patricia Domínguez, »Green Irises«, 2019, Kunsthalle Wien 2021, Foto: www.kunst-dokumentation.com

Nichts tun, alles spüren – die international besetzte Gruppenausstellung »Do Nothing, Feel Everything«, noch bis 24. April bei freiem Eintritt in der Kunsthalle Wien Karlsplatz zu sehen, beschäftigt sich mit dem Krisenmodus, in dem sich die Welt seit einiger Zeit befindet. Katastrophe um Katastrophe, Bedrohung um Bedrohung nagt ohne Unterlass an unserer psychischen Gesundheit. Mit dem Ergebnis einer einlullenden Lethargie und einer emotionalen Überforderung, die sich zu Apathie auswachsen kann.

Intensiv wahrnehmen

Mit dem Ausstellungstitel nehmen die beiden Kuratorinnen Laura Amann und Aziza Harmel auf den Slogan aus einer Tamponwerbung Bezug, der aber noch das Gegenteil versprach: »Do Everything. Feel Nothing.« Nichts zu spüren als ein fragwürdiges Ideal – das erachten Amann und Harmel als symptomatischen Aspekt unserer Zeit. Mit der Umkehrung des Werbeslogans postulieren sie die Notwendigkeit von Rahmenbedingungen, die es uns erlauben, intensiv wahrzunehmen und emotional verarbeiten zu können: nämlich, das, was in der Zeitlichkeit eines »endlosen Endes der Welt« um uns herum geschieht.

Rahima Gambo, »Doing Lalle in a classroom«, aus der Serie »Tatsuniya II«, 2019, courtesy die Künstlerin und Tatsuniya Art Collective

Vertreten sind Werke, Kommentare, Erfahrungen und Konzepte von Künstler*innen verschiedener Generationen. Für die Kuratorinnen war dabei der Wahnsinn und seine Beziehung zur Kunstgeschichte inhaltlicher Ausgangspunkt. Während dieser in der Gesellschaft als Kriterium des Ausschlusses funktioniert, werden in der Kunst »verrückte Genies« häufig hochgehalten – sofern sie ihre Rolle als Außenseiter*innen annahmen. Man denke etwa an die Art Brut oder den Begriff »Outsider Art«.

Indem künstlerische Praktiken aus einer Gesellschaft, die sie nicht akzeptiert, Gehalt filtert, wirken sie »reparativ« oder wiederherstellend. Diese Vorstellungen des »Paranoiden« und des »Reparativen« gehen zurück auf Eve Kosofsky Sedgwick, eine führende Theoretikerin der Gender Studies und Queer Theory. Paranoia kann so als eine Form von Widerstand verstanden werden und über Wiederherstellung als Bewältigungs- und Überlebensstrategie.

Anders sehen

Sedgwicks Arbeit habe ihnen geholfen, so Laura Amann und Aziza Harmel, »zu verstehen, was es heißt, Kunst zu machen, obwohl man im Verhältnis zu dem, was als ›Kunstgeschichte‹ bezeichnet wird, ein*e Outsider*in ist; und was es heißt, auf eine Veränderung hinzuarbeiten, von der man nicht glaubt, dass sie tatsächlich irgendwann eintritt. Anders gesagt, bietet das Hin und Her zwischen diesen beiden epistemologischen Systemen – dem reparativen und dem paranoiden – die Möglichkeit, ein Verständnis des Wahnsinns als Koexistenz widersprüchlicher Erkenntnisse in ein und demselben Kopf zu entwickeln. Wenn man Paranoia als eine Wissensform ansieht, geht es jedoch nicht darum, etwas zu beweisen, das wir bereits zu wissen fürchteten; es geht vielmehr darum, zu wissen, dass wir anders gesehen werden und dass wir anders sehen.«

Yesmine Ben Khelil, »Tout devient rose … 3« [»Alles wird rosa … 3«], 2020, Courtesy die Künstlerin und Galerie Maïa Muller, Paris

Wenn »Do Nothing, Feel Everything« nun eine Wiederherstellung, eine Heilung thematisiert, bedeutet dies nicht, etwas zu reparieren, das die hegemoniale Kultur für kaputt erklärt hat, oder Möglichkeiten zu finden, wie etwas »Kaputtes« wieder im Sinne der Gesellschaft funktionieren kann. Vielmehr ist Heilung ein Prozess der Beruhigung und des Aushaltens, aber auch ein Entscheidungsprozess, wie man sich beruhigt und etwas aushält.

Die Ausstellung »Do Nothing, Feel Everything« ist verlängert worden und noch bis 24. April – bei freiem Eintritt – in der Kunsthalle Wien Karlsplatz zu sehen. Vertreten sind Arbeiten von Laila Bachtiar, Sophie Carapetian & Jakob Jakobsen, Tony Cokes, Henry Joseph Darger, Patricia Domínguez, Rahima Gambo, Yesmine Ben Khelil, Stanislava Kovalcikova, Niklas Lichti, Opoku Mensah, Shana Moulton und Tom Seidmann-Freud. Am 15. Februar können Besucher*innen die Ausstellung mit Kunstvermittler*innen der Kunsthalle Wien entdecken und Zusammenhänge und Hintergründe der ausgestellten Werke besprechen. Beginn: 17 Uhr.

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