Gabber und Gabberbitches

Glatzköpfe mit Bomberjacken, die in Nike-Turnschuhen zu Hardcore abgehen. Sind die nicht schon längst ausgestorben? Ja, sind sie – aber nicht in der Kunst.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Da sieht man sie zum ersten Mal. In Wien zumindest. Die niederländischen Künstler Ari Versluis und Ellie Uyttenbroek begaben sich vor fast 20 Jahren auf die Suche nach besonderen Menschen. Personen, die einen modischen Kult betreiben, ein gemeinsames Ideal haben oder einfach nur gerne bei Topshop einkaufen. Ihr erstes Projekt waren die Gabber.

»Ghetto Fabs«, »Latte Lovers« und »Yummie Mummies«

Ob Leute, die einer Szene angehören, sich von der Masse unterscheiden möchten oder können, wird in der Fotoreihe »Exacitudes« thematisiert. »Exact« und »attitudes« ist eine fotografische Sammlung von »Yummie Mummies«, »Baristas«, »Latte Lovers«, »Gabberbitches« und 140 anderen Gruppierungen.

Das Besondere an den Bildkompositionen ist, dass jede Person aus der gleichen Perspektive abfotografiert wurde. Nebeneinandergereiht sind sie sich alle sehr ähnlich. Wie bei einem Foto-Mosaik können wir erst beim näheren Hinsehen Unterschiede wahrnehmen. Versluis und Uyttenbroek bringen die originalen Gabber aus den 90ern in die Galerie 12-14. Sie beschäftigen sich auch allgemein mit Ausgrenzung und Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Zusammenhänge zu heutigen Clubszenen werden hergestellt – visuell unterstützt wird die Vernissage mit einem kurzen Dokumentarfilm über die hakkenden Hardcore-Liebhaber.

Die Ausstellung ist ein Auftakt einer künstlerischen Auseinandersetzung der Niederländer mit dem Thema »Clubbing als Organismus«, die in den nächsten Jahren entstehen soll.

Hippies auf Speed

Das »Hakken« ist das Markenzeichen der Gabber. Es ähnelt einem russischen Volkstanz – nur in ur schnell mit durchschnittlich 160-220 bpm. Ob zu »Terrorcore«, »Speedcore« (ab 300 bmp!) oder zu »Cybergrind«. Die Moves müssen sitzen. Ein echter Gabber zappelt nicht einfach unkoordiniert im Club umher. Er muss den »Furzbreaker«, den »Brotschmierer«, die »Gabberpyramide« oder den »Holländer auf Koks« beherrschen. Dass alle diese Tanzschritte eine mordsmäßige Kondition verlangen, ist bei diesen bmp-Raten nicht verwunderlich. Tanzen ist auch Sport. Um da auch mithalten zu können, steht schon mal die eine oder andere Speed-Pille am Speiseplan – allgemein nichts Unübliches in der Clubszene.

Dass eine hakkende Horde Gabber für einen Außenstehenden etwas unheimlich aussehen kann, da es ein bisschen so wirkt, als ob sie gegen einen epileptischen Anfall ankämpfen will, ist klar. Aber Gabber (hebräisch für Freund) wollen uns nichts Böses. Obwohl sie kampflustig aussehen können, haben sie grundsätzlich mit Gewalt nichts am Hut. Auch darf man sie nicht mit »Skins« verwechseln. Gabbern gegen Rassismus und Faschismus lautet die Ansage. Verurteile niemanden und liebe deinen Nächsten ist eine wichtige Regel des Gabbertums. Sehr sympathisch.

Gabbern ist eine Lebenseinstellung

Und auch eine Sache der Mode. Eigene »Gabberware« hat sich während der Blüte dieser Bewegung in den 90ern etabliert. »Cavello« oder »Australian« (aka gemütliche Sportkleidung) sind bekannte Modelabels. Nicht nur die Outfits, sondern auch die Liebe zur »Musik« (hier ein Klassiker von den Euromasters) haben sie gemeinsam. Dass der Gabbersound mehr als nur »Bumm Bumm« sein soll, wird dadurch begründet, dass es viele Abstufungen dieser Musikrichtung gibt. Genauer gesagt sei beispielsweise »Happy Hardcore« mit friedlichen und lustigen Vocals versehen. Wie man sieht, hat Gabber mehr zu bieten als nur monotone Bässe, die einem den Magen umdrehen. Es sollte musikalisch nicht unterschätzt werden, denn Melodien kommen ja auch vor.

Höchstwahrscheinlich mit einem »Gabbergruß« haben sich die Kreise in den letzten Jahren so gut wie verabschiedet. Übrig geblieben ist die Hardcore-Szene, deren Anhänger bei Events wie dem »Hypnotic« in der Pyramide Vösendorf feiern. Europaweit hält sich noch immer die die Partyreihe »Masters of Hardcore«. Gegabbert wird bei uns zwar nicht mehr viel, sondern eher gehoused oder getechnoed mit höchstens 160 bpm.

Die Ausstellung ist in der i>Galerie 12-14 zu sehen, sie läuft von 06.06.2014 bis 28.06.2014.

exactitudes.com

galerie12-14

facebook/1. gabbers opening

Bild(er) © Tom Nijhuis  Meinke Klein Ari Versluis & Ellie Uyttenbroek/ Exactitudes Luca Marchi
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...