Down Under

Mit dröhnendem Schädel und zufallenden Augen sitzt Andreas Klinger, Co-Gründer von Lookk, umzingelt von Maßanzügen und massig Miniröcken in einem der besten 5-Sterne-Hotels von Melbourne. Die Welt ist auf den Kopf gestellt. Willkommen in Australien.

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Das hier ist definitiv nicht East London. Irgendwie dreht sich alles nach drei – oder waren es vier? – Nächten Jetlag. Nachts nie mehr als eine Stunde Schlaf, aber dafür viele Stunden wach – unfreiwillig, alleine, nüchtern, trocken –, kurz gesagt, ziemlich gelangweilt im Zombiemodus. Vielleicht ist es eben dieser Jetlag, der meine Wahrnehmung verzerrt und mich halluzinieren lässt, aber ich bin hier in einer Parallelwelt gefangen, in der ich in der Luxus-Gesellschaft lebe. King Andi von und zu Lookkenstein. Ich wache auf in einem riesigen Bett in meiner Suite im 47ten Stock eines Hotel-Wolkenkratzers, blicke über die Stadt in drei Himmelsrichtungen, während ich morgens auf Edelkeramik pinkle, gehe in das Arbeitszimmer, bevor ich mir noch einen frischen Kaffee im Maxibar Schrank im anderem Raum meines Suiteapartments mache. Das Personal spricht mich nur mit Sir an und ich fliege in einer Business-Klasse, in der man Steak à la carte bestellt. Ich werde hier mit Perfektion bis ins Detail nahezu belästigt. Zwischen Industriekonferenz und Fashionshows bringt mich der private Fahrer vom Continental-Frühstück zur VIP-Bar. »Hallo du viel zu hübsches Ding … ja, schenk mir Champagner nach, bitte«. Das Ganze ist ein starker Kontrast zum üblichen grauen East London-Alltag. Wo zum Geier bin ich hier? Und warum ist der Rest meiner Firma irgendwie vom Erdboden verschwunden?

Key Notes

Ich wurde zu einer der weltweit größten Consumer Fashion-Shows eingeladen, zum L’Oreal Fashion Festival in Melbourne. 2.000 Leute auf Stühlen und mehre Dutzend Models am Laufsteg. »Hell yeah« wechselt mit »Ooh nice« und Bier mit Champagner, aber ansonsten ist es Wrestling oder Superbowl für Frauen in High Heels. Warum genau ich dem dazugehörigen Industry Forum zugesagt habe, ist mir mittlerweile unklar. Eine Mischung aus Urlaubsverlangen, Selbstlüge und Überredungskünsten der Veranstalter ist meine aktuelle Theorie. Fakt ist, dass ich plötzlich im Zwei-Tagesflieger saß, um weit außerhalb der mir bekannten Welt und mir bekannten Comfortzone auf einem Fashion Finance Panel als Keynote Speaker aufzutreten. Wie teuer mich eine Woche Gratis-Luxus in Down Under kommen würde, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.

Bad Dreams

Meine Hoffnungen, hier parallel auch noch zu arbeiten, wurden sehr schnell begraben. Wie viel elf Stunden Zeitunterschied wirklich sind, wird einem erst bewusst, wenn man es selbst erlebt hat. Morgens löst meine E-Mailbox ein kleines WTF aus. Tagsüber erreiche ich niemanden. Abends kriege ich mitten in der Event-Hektik alle wichtigen Antworten und stehe in der Ecke wie ein iPhone-Junkie. Nachts liege ich dann im Halbschlaf wach und überlege, ob ich mich in E-Mail-Diskussionen wirklich nochmal einmischen soll, nachdem mein letztes Drive-by-Management eher danebenging. Aktuell gibt es zuhause derart viel zu tun, dass mir ja schon schlecht wurde beim Gedanken an die Abreise. Nun kriege ich aber von London kaum etwas mit. Das hinterlässt bei mir nur zwei mögliche Alpträume: Entweder gibt es derart viele Probleme, dass kaum noch jemand Zeit findet, mich upzudaten. Oder … die Dinge laufen ohne mich einfach runder. Beides eine grauenvolle Vorstellung.

Gleichzeitig kann ich hier aber auch keine eigenen Tasks anfangen: Lokale Australien- oder Asia-Kontakte sind in unserer aktuellen Phase noch überflüssig. Auf der Konferenz sind die sonstigen Vorträge eher Selbstvermarktung von halbstarken Agency CEOs. Kurz gesagt – diese Woche ist nichts anderes als angenehm gemachter Arbeitsverlust.

Normalerweise lehnen wir derartige Einladungen ab und ich rate es auch jedem. Jeder Trip, der länger als 20 Minuten dauert und für das eigene Business aktuell nicht relevant ist, ist nur eines: teuer – egal, wie gratis er ist. Ich hätte mich von dieser Einladung nicht überreden lassen sollen. Aber nun ist es zu spät. Fokus und Effizient musste ich im Zoll abgeben und gegen Luxus-Leben tauschen. Und so akzeptiere ich, dass ich die letzten Tage hier in Australien ohne jegliche beruflichen Ambitionen verbringen werde und nenne es Arbeitsurlaub … also weg vom Laptop und zurück zu den Miniröcken und Models. Verdammt – Job ist Job und irgendwer muss es ja tun.

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