Wenn in der Klimakatastrophe die Welt untergeht, wird trotzdem alles gut? Was machen dann die Maschinen? Kunst etwa? Und wie gehen wir mit unseren schwächsten Mitmenschen um? Vor einer Woche begann die Ars Electronica 2017.
Drinnen, in der Abteilung Artificial Intimacy, sitzt eine bedingt smarte Gummipuppe. Frauen und Männer begrapschen sie gleichermaßen, drücken, steicheln, massieren, fühlen. Samatha stöhnt auf, spricht mit den Besucherinnen und Besuchern. „Das taugt mir ja weniger, dass sie bei dir so aufstöhnt“, sagt eine Frau schmunzelnd zu ihrem Freund, der Samatha gerade durchknetet.
Draußen, am Vorplatz der POSTCITY, hat das Ars Electronica Futurelab einen Bagger geparkt. Jeder, der sich traut, ihn zu bedienen, muss mit der Schaufel einen Traktorreifen in einen Kinderpool heben. Klingt leichter, als es ist, denn man setzt sich nicht einfach in die Kabine, sondern zieht ein paar Meter weiter eine EEG-Kappe an. Der Bagger wird per Gedankenkraft gesteuert. Ein Bursche ist recht schnell im Lernen, er schreckt auf, als der Baggerarm einen schnellen Halbkreis zeichnet. Ein FM4-Kollege wiederum zappelt vor der Konsole, das Aufnahmegerät in der Hand, und ruft aufgeregt: „Yeah! Smash the tyre! Smash the tyre!“ Der Arm fährt sanft auf und nieder. Daneben stehen lächelnd ein paar Gäste aus Japan. Wenn man das Festivalprogramm studiert und dieser Tage aufmerksam durch Linz geht, fallen einem viele Ostasiaten auf, die einen Ars-Electronica-Pass vom Hemd runterbaumeln lassen.
Gerfried Stocker glaubt, dass es vor allem die Wertschätzung fürs Handwerk ist, die Technologie in Japan so populär macht. In Nippon habe es einfach seinen traditionellen Stellenwert behalten. Außerdem sei noch die Vorstellung erhalten geblieben, dass einem jeden Ding eine Seele innewohnt. „Diese alte Kultur des Animismus ist ja dort nie verloren gegangen“, behauptet der Festivalleiter. Im Gegensatz zu Europa, wo man für solche Ansichten als „esoterischer Spinner“ belächelt werde. Dabei seien die Japaner, und Stocker klopft zur Untermalung auf den Tisch, „alles knallharte, trockene, super Wissenschaftler, rationale Ingenieure, aber es ist eine unbeschwerte Selbstverständlichkeit, auch über das nachzudenken.“ Darin, dass man über das Internet der Dinge nachdenkt und mit sprechenden Haushaltshilfen wie Alexa oder Siri redet, sieht Stocker diesen Trend auch langsam im Westen einziehen.
Wir haben keinen Planeten B
Trotz aller erschreckenden Maschinen und beängstigenden Datenfresser sind sich alle einig: Mit ihrer Arbeit wollen sie die Zukunft mitformen. Shah etwa sagt zum Abschluss: „Ich habe mir immer gewünscht, dass mein Beitrag einen direkten, positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat.“ Katwesigye hofft, dass die Menschen lernen werden, mit dem Druck, der durch den technologischen Wandel kommt, umzugehen und ihn zu gestalten wissen.
Wir machen einen letzten Abstecher nach Turnton. „Das mag äußerst naiv klingen“, bestätigt Tina Auer von Time‘s Up. Dennoch wollte das Kollektiv „aus tiefster Brust einmal sagen: Lassen wir mal die Angst vor der Zukunft außen vor und probieren wir es mal mit Lust auf Zukunft.“ Ähnlich wie Amy Karle setzt das Kollektiv dabei auf Signale, die bereits heute erkennbar sind, von NGOs, Aktivistinnen und Aktivisten, Firmen aus aller Welt ausgehen.
In der Turnton Gazette etwa wird eine Revolution im Handel angepriesen: Statt schwerfälliger Öltanker schippern jetzt, das heißt 2047, solarbetriebene Frachtsegler über die Weltmeere. 2047 wurde bewusst gewählt, war ein überschaubarer Zeitraum, in dem „auch noch einige innerhalb unserer Crew die Chance“ haben, den Wandel zu erleben, hofft Auer.
Warum titelt die Turnton Gazette eigentlich mit Flüchtlingen aus Friesland, Frau Auerr? „Wir gehen davon aus, dass diese Wetterkapriolen keine Einzelfälle mehr sind und das auch für uns Europäerinnen und Europäer alle klarer wird, dass wir nicht immer da leben werden können, wo wir leben wollen. So werden auch wir zu neuen Nachbarn, es dringt endlich durch: Wir haben keinen Planeten B, den gibt‘s nicht, Punkt.“
Interessierte können Turnton noch bis zum 22. Oktober im LENTOS in Linz besuchen. Die Drohnenaufnahmen, die im Text eingestreut wurden, gehören zum Kunstprojekt „A Study Into 21st Century Drone Acoustics“ vom Komponisten Gonçalo F. Cardoso und Designer Ruben Pater. Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass Überwachung allgegenwärtig ist; während wir früher die Stimmen und Formen von Singvögeln zu unterscheiden lernten, müssten wir in einer immer unruhigeren, von Kriegen ununterbrochen geprägten Zeit lernen, Drohnen zu unterscheiden. Ihre destruktive Kraft könnte auch uns treffen. Auf ihrer LP haben Cardoso und Pater vom Quadrocopter bis zur Tötungsmaschine die Geräusche von 17 verschiedenen Drohnen festgehalten.