Echter Wiener Schnitzler im Tanker

Der Urlaub ist vorbei. Die Studierenden müssen zurück an die Uni und auch die Intendanten zurück ans Theater. Für die freie Szene scheint es eine spannende Spielzeit zu werden. Thomas Frank (Brut) und Wolfgang Schlag (Hundsturm) sprachen mit uns über Arbeitsbedingungen, Geld und diese Sache mit dem "postmigrantischen" Theater.

Wie seid ihr mit eurer eigenen Finanzierung zufrieden?

TF: Die künstlerische Produktion ist unglaublich gefräßig. Ich fänd‘s natürlich auch toll, über ein größeres Budget verfügen zu können. Letztlich steht und fällt der Erfolg eines Hauses wie Brut aber mit den Künstlerinnen und Künstlern. Wichtiger fände ich daher erstmal den Künstlerinnen und Künstlern mehr Geld zu geben. Über welchen Weg das geschieht, ist mir eigentlich Schnuppe.

WS: Ich rechne mich ja überhaupt nicht dem Thema Theater zu, ehrlich gesagt. Ich habe ein Haus, an dem ich schaue, dass Künstler, die mit spannenden und realisierbaren Projekten kommen, gute Bedingungen vorfinden. Das interessiert mich eigentlich am meisten. Ob da jetzt das Etikett Theater, bildende Kunst, Musik oder was auch immer draufsteht, ist mir ehrlich gesagt Schnuppe, um den Kollegen zu zitieren. Wichtig ist, dass Politik Künstler ernst nimmt und sich immer wieder die Realität der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstlern vergegenwärtigt.

Wie sehen die Arbeitsbedingungen der Künstlerinnen und Künstlern bei euch aus?

TF: Künstlerinnen und Künstler, die bei uns arbeiten, sind gar nicht am Haus angestellt. Das sind freie Projekte. Und das ist ja auch unser Auftrag, mit freien KünstlerInnen hier zu arbeiten. Da gibt es durchaus auch Menschen, die davon ganz ok leben können.

WS: Das ist halt auch immer eine Verhandlungssache. Jeder von uns versucht natürlich die Künstler fair zu behandeln. Das gehört auch irgendwie zum Kunstbetrieb. Gerade wenn man Themen wie Kapitalismuskritik auf der Bühne spielt, kann man nicht hinter der Bühne die Künstler ausbeuten. Nicht, dass das nicht trotzdem irgendwo vorkommen würde.

Versucht ihr mit der Programmierung ein spezifisches Publikum anzusprechen, oder ein möglichst großes Publikum für Theater zu begeistern?

WS: Ich programmiere nicht so, dass ich bestimmte Gruppen mit bestimmten Künstlern ansprechen möchte. Ich schaue eher, dass das künstlerische Angebot so offen ist, dass sich unterschiedliche Bevölkerungsschichten dort einfinden und treffen. Das funktioniert bis jetzt eigentlich sehr gut. Das Jugendthema beschäftigt mich sehr und über die Workshops – also Musikproduktion, Rap, Geschichten, die interessanterweise in Wien relativ wenig angeboten werden – erreichen wir ein total interessantes Publikum. Lehrlinge und Jugendliche aus der Gegend. Wir arbeiten auch mit Flüchtlingsinstitutionen zusammen. Das ist ein extrem interessant.

Verbindest du damit einen pädagogischen Anspruch?

WS: Ich bin überhaupt nicht daran interessiert, dass die irgendwann mal im Volkstheater spielen, oder Volkstheater-Abonnenten werden. Mich interessiert der Begriff Volkstheater und was das noch sein kann. Was bedeuten Begriffe wie Arbeiter oder Peripherie überhaupt noch? Ich sehe unseren Auftrag aus der Geschichte des Hauses abgeleitet: Es ist ja ein altes Arbeiterwohnheim von Eisenbahnern. Früher war das ein Versammlungs- und Verhandlungsraum, Kino und Kabarett-Bühne für Eisenbahner. Nur das Theater ist übrig geblieben.

Im Brut kennt ihr wahrscheinlich euer spezifisches Publikum?

TF: Wir haben natürlich ein Stammpublikum und kennen ungefähr dessen Erwartungslage. Gleichzeitig kann man auch im Brut kaum von "dem" Publikum“ reden. Das Publikum weiß schon relativ spezifisch, was es will. Es gibt dann für verschiedene Formate verschiedene Interessensgruppen. Wenn wir ein tanzlastiges Programm machen, dann kommen andere Leute als bei einem theaterorientierten Programm. Dann gibt es die Pop-Schiene mit Clubs und Konzerten, die sicher wieder andere Leute anspricht. Und dann gibt es eine Schnittmenge zwischen alledem. Aber es gibt nicht "das" Brut-Publikum.

Und die thematischen Schwerpunkte sollen als Klammer zwischen den im Ausdruck recht unterschiedlichen Produktionen funktionieren?

TF: Als explizit interdisziplinär ausgerichtetes Haus ist es eben sehr wichtig, nie mit dem Bemühen aufzuhören, die Gleichberechtigung der verschiedenen Formate immer wieder zu betonen. Das geht am besten über eine inhaltliche Vermittlung und die Inbezugsetzung der unterschiedlichen Produktionen aus den unterschiedlichen Ecken, die wir programmieren. Das schafft natürlich auch eine Orientierung im Programm. Anders als ein Stadttheater sind wir in der Situation, dass wir immer wieder unbekanntere Sachen zeigen. Von Künstlerinnen und Künstlern, von denen man noch nicht gehört hat, zu Inhalten, die manchmal etwas abstrakt klingen. Ein Burgtheater verlässt sich darauf, dass die Leute bei einem Schnitzler ihren Schnitzler bekommen.

Seit ein paar Jahren geistert ja auch das Adjektiv „postmigrantisch“ im Theaterkontext herum. Hat diese dieses Konzept für euch programmatisch irgendeine Relevanz?

WS: Den Begriff hat Shermin Langhoff vor ein paar Jahren irgendwo gelesen und damit in den deutschen Medien reüssiert. Aber das war es dann auch schon. Denn wenn man diesen Begriff im theoretischen Kunstkontext verwendet, dann wird man nie wieder zu einem Vortrag eingeladen. Dieser Begriff ist so etwas von post-post. Oder? Was bitte heißt postmigrantisch? Bei einer Diskussion über den Begriff war ein in Wien lebender afroamerikanischer Schauspieler dabei, der dann meinte: „In Wien hab ich es eh schon so schwierig, weil ich so ausschaue, wie ich ausschaue und immer als Othello eingeladen werde. Und dann sagt man zu mir noch, ich bin Migrant. Und jetzt bin ich plötzlich auch noch Postmigrant. Mir reicht‘s jetzt."

TF: Dieser Begriff ist auch eher politisch heiß gelaufen, dahinter stehen nur einige wenige Leute, die damit kulturpolitisch etwas einfahren wollen.

Bild(er) © Thomas Frank: Florian Rainer, Wolfgang Schlag: Miguel Dietrich, Essen: Matthias Hombauer
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