Seit 40 Jahren ist die Cselley-Mühle im Burgenland ein fruchtbarer Boden für Kunst und Kultur abseits großer Ballungszentren. Wie schafft sie das?
Als sich Bilderbuch und Wanda im Frühjahr 2015 zum ersten Mal eine Bühne teilen, tun sie das nicht auf einem der großen Festivals, sondern in der 1.000-Seelen-Gemeinde Oslip zwischen Eisenstadt und dem Westufer des Neusiedler Sees. Kurz vor den burgenländischen Landtagswahlen spendiert das Kulturreferat hier das Aufeinandertreffen der Giganten. Ein denkbar passender Ort: die Cselley-Mühle hat seit mittlerweile vier Jahrzehnten Kunst, Kabarett und Musik im Programm – und was sonst so dazu passt.
Verständnis statt Verstehen
Eine gewisse Unschärfe ist Teil der Philosophie. Als der damalige Unterrichtsminister Fred Sinowatz zur Eröffnung anreist, nimmt er mit seinen Worten »Ich weiß nicht, was ich eröffne, aber ich eröffne es!« die Ausrichtung des Aktionszentrums vorweg, das der Keramiker Robert Schneider und der Maler Sepp Laubner 1976 gründen. »Ich weiß heute noch nicht, was es ist«, bleibt Schneider auch 40 Jahre später vage. Den Sinowatz-Sager versteht er als Ausdruck von Vertrauen: »Es ist um ein Verständnis gegangen und nicht um ein Verstehen.« Dieser Leitsatz gilt in der Mühle nach wie vor, auch wenn er manchmal Spannungen mit sich bringt. Die sind ohnehin das Thema der Arbeiten Schneiders. »Den Riss zu zeigen, den jeder Mensch in sich trägt« ist sein Leitmotiv. »Beim Riss hast du das Links und das Rechts. Das ist alles immer die Materie. Eigentlich geht es aber um das Nichts, und alle streiten sich um das Andere.« Der existentialistische Unterbau gilt auch für sein Gesamtkunstwerk Cselley-Mühle, mit dem er den fruchtbaren Boden für lebendige Kunst- und Kulturformen abseits eines großen Ballungsraumes schafft.
Ein Strapazieren des Materials
»Es bleiben Leute weg, es kommen neue dazu. Hauptsache, es bewegt sich was«, charakterisiert Eveline Lehner die letzten 40 Jahre. Die Künstlerin ist seit 1980 mit Schneider liiert und seither im Haus aktiv – wenn auch nie in der ersten Reihe. Aus dem Bedürfnis heraus, Struktur ins kreative Chaos zu bringen, nahm sie sich zunächst höchst erfolgreich der Küche an und brachte zuletzt Poetry Slams nach Oslip. Vor allem aber koordiniert sie die Aktivitäten der privat geführten Kulturstätte. Auch Lehner überträgt ihre künstlerischen Erkenntnisse auf die Arbeit in der denkmalgeschützten Mühle. »Die Keramik ist ein ständiges Ausgleichen auf der Töpferscheibe, du musst andauernd korrigieren und stabilisieren. So habe ich mich immer gesehen. Irgendwann habe ich die getöpferten Formen zerschnitten und etwas Neues daraus gemacht. Es ist ein Strapazieren des Materials.«
Dass die Cselley-Mühle Neues zulässt und fördern kann, gibt Leuten wie Thomas »Kantine« Pronai die Chance, ihre Ideen zu verwirklichen, sich also etwa ein Tonstudio in der Mühle aufzubauen. Neben seinen eigenen Projekten The Beautiful Kantine Band und Bo Candy & His Broken Hearts mischt und produziert er im Laufe der Zeit Alben von Garish und Ja, Panik bis Der Nino aus Wien. Möglich machen das Menschen, die finanzielle Aspekte im Hinterkopf behalten und Träumen eine Erdung verpassen, die wissen, worum es Kunstschaffenden geht und gleichzeitig eine Portion Realismus einbringen. Auch wenn sie diese Rolle eigentlich nicht für sich vorgesehen hatten. Oder wie Robert Schneider zusammenfasst: »Wir wollten eigentlich auch Musik machen auf einer Bühne und sind bis heute mit dem Bühnenbauen nicht fertig geworden.«
Der Name ist Programm
Für David Kleinl, Künstler und Kopf der Band Tanz Baby!, ist Schneider ein »Ermöglicher«. Robert Pinzolits, heute Hochschullehrer an der FH Burgenland, charakterisiert die Cselley-Mühle als »Werkstatt«. Die beiden haben gemeinsam mit Pronai und dem heutigen Sounddesigner Andreas Berger den Ort mit ihrem Bandprojekt Charmant Rouge geprägt. Im Sommer 1997 eignen sie sich das Kellertheater an, malen es schwarz aus und veranstalten das Cabaret Charmant, benannt nach dem dadaistischen Cabaret Voltaire. Von einer aus den Fugen geratenen Realityshow bis zu Konzerten von Fuckhead und Hans Joachim Roedelius wird schräges, sperriges und schwer verdauliches Programm aufs Land geholt. Ob das Konzept aufging? »Es hat nicht nicht funktioniert.«
Das Minus, das bei den anspruchsvollen Produktionen entsteht, gleicht das Kollektiv mit den legendären »Flash«-Partys aus. Wie beim London Calling im Wiener Flex legen Alternative-DJs auf; billiger Tequila lockt zusätzlich Publikum. Die Kommerzialisierung nimmt durch Impulse der beiden späteren Festivalmacher Andreas »Kotti« Kalaschek und Harry Jenner ihren Anfang und feiert schnell große Erfolge. Charmant Rouge macht mit – allerdings nicht, ohne bereits mit dem absichtlich »ganz blöden« Namen ein Statement zu setzen. Bald jedoch zieht man sich vom Goldesel aus moralischen Gründen zurück, wie Pinzolits erklärt. »Es war ein Takeover. Es hat so gut funktioniert, dass nur mehr das sichtbar war.« Der Umzug der jugendlichen Veranstalter in die eine Autostunde entfernte Hauptstadt, wo es derlei Programm ohnehin gibt, tut sein Übriges.
Absolutes Experiment
Neues Publikum zu erschließen und die an der Mühle Beteiligten wieder ans Objekt zu bringen, das hat man sich für das heurige Jubiläumsjahr vorgenommen. Am 28. Mai, auf den Tag genau 40 Jahre nach der Eröffnung, findet die zweite Ausgabe des Festivals C’est la Mü statt. Hannes Tschürtz, Geschäftsführer der Agentur Ink Music, hatte die Idee dazu und plant auch heuer wieder, »den Zauber des Orts Cselley-Mühle mit all seinen Bausteinen und Möglichkeiten konzertiert vor den Vorhang zu holen«. Für Schneider ist das C’est la Mü ein Anlass, Menschen zu treffen, die einen Bezug zum Ort haben. »Die gibt’s in Wien, die gibt’s dort und da, nur komischerweise in der Mühle selbst meistens nicht. Das Schwierige ist, die Leute an das Objekt zu binden. Sie wollen alle eher frei sein. Aber es braucht einen Background.« Diesen Background hat die Mühle in ihrer 40-jährigen Geschichte überraschend vielen geboten. Wie soll es aber nach den Jubiläumsfeiern weitergehen? Pinzolits sieht den Ort vor allem als Katalysator: »Die Cselley-Mühle ist wieder dort angekommen, wo sie begonnen hat, nämlich im absoluten Experiment.« Neue Programmpunkte wie der Rot-Gold-Markt für Kunsthandwerk, regelmäßige Poetry Slams und das C’est la Mü sind für David Kleinl ein Anzeichen für Erneuerung. “Mit dieser Philosophie ist die Cselley-Mühle immer gut gefahren, dass Sachen einfach passieren können. Wenn das erhalten bleibt, ist es schon sehr viel wert.«
Am 28. Mai findet die zweite Ausgabe von C’est la Mü in der Cselley-Mühle mit Acts wie Tanz Baby!, Fijuka und Attwenger statt.