Ein Raum schafft Möglichkeiten – Community-Spaces, offene Bühnen und Studiokollektive

Sendeschluss, Lot und Mark – drei Vereine, die sich zum Ziel gesetzt haben, junge Kunst und Kultur abseits des Kommerziellen, abseits des Mainstreams zu fördern. Eine Geschichte über Community-Arbeit, die Liebe zum Experiment und zur Musik.

© Lukasz Czapski – Eröffnungsfeier im Lot

»A woman must have money and a room of her own if she is to write fiction.« – Vor fast 100 Jahren hat Virginia Woolf auf den Punkt gebracht, was es braucht, um künstlerisch-kreative Arbeit möglich zu machen: einen Raum zur Selbstentfaltung und ausreichend finanzielle Mittel.
Der Mythos von der leidenden Künstler*innen-Seele, die gar nicht anders kann, als Kunst zu produzieren, hält sich seit Jahrhunderten hartnäckig. Dieses gängige Narrativ stellt künstlerisches Schaffen als Bestimmung dar und versteckt so gekonnt, dass hinter Kunstproduktion eine Menge Arbeit steckt. Kunst ist ein Prozess, dem stetiges Experimentieren, Scheitern und Neuprobieren zugrunde liegt. Denn statt der Universalgenie-Erzählung stimmt doch viel eher: Noch keine Meister*in ist vom Himmel gefallen. Doch wo wird geprobt, bevor ein Stück die etablierten Theaterhäuser entert? Wer gibt jungen Bands schon vor dem ersten Album eine Bühne? Welche Räume nutzen Nachwuchskünstler*innen zum Ausprobieren, Proben, Scheitern und Lernen? Wo findet man den room und das money, die ja die Grundbausteine sind, um überhaupt künstlerisch-kreativ tätig sein zu können?

Der Sendeschluss begann als Proberaum, mittlerweile sind Einsatzzwecke und -felder vielfältig. (Foto: Maria Herold)

Einen Raum haben, um Musik machen zu können. Das war der Gründungsgedanke des Kulturvereins Sendeschluss im zwölften Wiener Gemeindebezirk. »Tobi und ich haben gemeinsam angefangen Musik zu machen und dann stand im Raum, dass ein Raum cool wäre«, sagt Maria Herold, Mitbegründerin und Obfrau des Kulturvereins. Aus einem gemeinsamen Freund*innenkreis im Umfeld des Wiener Radia Kollektivs sei dann die Idee zum Sendeschluss entstanden. »Zu Beginn war’s eigentlich ein Proberaum. Es ist dann relativ schnell auch ein Veranstaltungsort geworden«, ergänzt Karl Schönswetter, der sich im Verein um die Finanzen kümmert. Obwohl der Ursprung klar in der Musik liegt, sei der Sendeschluss von Beginn an interdisziplinär orientiert gewesen. Aktuell ist er für zwölf Musiker*innen und Kunstschaffende aus den Bereichen Performance und bildende Kunst Arbeits- und Vernetzungsort. So auch für den Musiker Tobias Dankl, der im vergangenen November als Olgas Boris sein Debütalbum veröffentlicht hat. Er nutzt den Sendeschluss nicht nur als Proberaum, sondern hat hier auch schon Videos gedreht und Musik produziert.

Renovierung in Eigenregie

Mit drei multifunktionalen Werkstatt / Studio / Atelier-Räumen, einer Küche und Zugang zum grünen Innenhof hat das Ganze WG-Charakter. »Es ist ein ziemlicher DIY-Space«, sagt Maria Herold. Während der Pandemie wurde das Souterrain in Eigenregie renoviert: Schimmel entfernt, Fließen verlegt, Studios eingerichtet. Auch die erste Sendeschluss-Eventreihe ist ein Pandemiekind. Als Auftrittsmöglichkeiten extrem limitiert waren, haben die drei Musiker*innen kurzerhand begonnen, selbst Veranstaltungen im öffentlichen Raum zu organisieren. Daraus sind die mittlerweile jährlich stattfindenden »Summer Sessions« entstanden, die mit Musik, Performance und Kunst die Straßen Meidlings bespielen. Auch die Gründer*innen des Lot haben während der Pandemie ihre Räumlichkeiten in Favoriten selbst ausgebaut. Heute ist es ein lichtdurchfluteter hoher Raum in Industrieästhetik: rote Ziegel, eine Galerie und ein multifunktionaler Erdgeschoßraum, der schon zahlreiche Tanzperformances, Installationen, Konzerte und zuletzt auch eine Fotoausstellung beherbergt hat.

Der ehemalige Getreidespeicher der Ankerbrotfabrik wurde als Rohbau übernommen. Das habe dem sechsköpfigen Leitungsteam des Kulturvereins Echolot – neben über einem Jahr Renovierungsarbeiten – auch die Möglichkeit verschafft, den Raum ganz nach den unterschiedlichen Bedürfnissen zu gestalten. Und im Lot sind diese vielfältig: Im Leitungsteam kommen zwar alle aus der Kunst- und Kulturbranche, allerdings aus den verschiedensten Sparten – Tanz, bildende Kunst, Theater, Literatur, Musik und Journalismus. Zusammengebracht hat sie ihr gemeinsames Schicksal als junge Kunstschaffende, frisch vom Studium, die sich in einer von Lockdowns ausgebremsten Kulturlandschaft wiederfanden. »Wir haben uns in der Coronakrise zusammengesetzt und gesagt: ›Lasst uns mal aufhören, uns zu beklagen, und lasst uns selber wieder Täter*innen werden.‹ Dann haben wir eben gesehen, dass es irre viele Galerien und Bühnen gibt, aber keinen Ort, wo unserer Meinung nach diese ganz verschiedenen Disziplinen zusammenfinden können«, erzählt Hans-Christian Hasselmann, Gründungsmitglied und Regisseur.

Partizipation, Austausch und Leistbarkeit

Die transdisziplinäre Ausrichtung des Vereins war also von Beginn an in dessen DNA eingeschrieben. Auch Jana Macks Arbeit als Journalistin wird von dieser Diversität bereichert: »Das Schöne ist, vom Umfeld zu profitieren. Ich kann mich mit einer Tänzerin austauschen, wie sie eine Szene, die ich in einer Reportage unterbringe, für sich interpretieren würde. Dadurch entstehen neue Formate und auch eine Einzigartigkeit dieser Formate.« Das Lot wurde als »durchlässige Plattform und vernetzendes Umfeld« gegründet, wie es auf der Homepage heißt, und soll Ort der Begegnung sein, wo Experimentieren, Sich-Trauen und »einfach einmal ausprobieren« auf dem Programm stehen.

Auch im Kulturhaus Mark am Stadtrand von Salzburg wird dem Gemeinschaftsgedanken ganz explizit Raum gegeben: Veranstaltungen, wie die wöchentlich stattfindende »Community Kitchen«, bei der frischgekochtes Essen um drei Euro ausgegeben wird, oder die soziale Haar- beziehungsweise Radlwerkstatt bieten eine niederschwellige Möglichkeit, sich auszutauschen und zu vernetzen. Der Ursprung des Vereins in der Jugend- und Sozialarbeit bleibt dabei spürbar, jedoch nicht seine kirchliche Vergangenheit. Das Mark ist in den 60er-Jahren als Jugendzentrum im kirchennahen Umfeld entstanden, mit dem Ziel, die Arbeitssituation junger Menschen zu verbessern. Wegen des namensgebenden Veranstaltungssaals, des Markussaals unterhalb der Kirche, waren Konzerte und Events immer schon ein zweites Standbein. Das sei auch nach der Abspaltung vom kirchlichen Elternhaus so geblieben. »Verändert hat sich dieses ganz klar pädagogische und kirchliche Angebot im Bezug auf Entwicklung von Jugendlichen. Es gibt keine Sozialarbeit bei uns. Das Mark ist ein Kulturzentrum zur Förderung von jungen Nachwuchskünstler*innen«, sagt Gerd Pardeller, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Vereins.

Von den Wurzeln des Mark als kirchliche Einrichtung ist kaum noch etwas zu merken. (Foto: Valeria Schollenberg)

Mit Proberaum, Tonstudio und Veranstaltungssaal samt Barbetrieb, stellt das Mark eine umfassende Infrastruktur für junge Bands und Musikschaffende zur Verfügung. Auf 620 m² ist Platz für den gesamten Prozess: Von der ersten Idee über die Probenzeit bis hin zur fertig produzierten Platte kann hier tatsächlich der Grundstein für eine musikalische Karriere gelegt werden. Und das Angebot wird auch angenommen: An den Wochenenden gibt es laufend Veranstaltungen und die Proberäume werden von über 40 Bands genutzt.

Dabei sei es Gerd Pardeller besonders wichtig, ein möglichst diverses Publikum anzusprechen, und den Raum für Austausch zu öffnen. Denn Kunst und Kultur funktionierten nicht ohne den sozialen Aspekt: »Ich finde, dass Kunst und Kultur niederschwellig sein sollen, damit sie erreichen, wen sie erreichen sollen: das breite Spektrum. Der einfachste Weg wäre, den Zugang niederschwellig zu machen. Niederschwellig im Bezug auf finanzielle Grenzen, aber auch niederschwellig in Bezug auf die Inhalte.« Zugang für alle, das bedeute, Partizipation zu ermöglichen, Leistbarkeit sicherzustellen und Vielfalt zu fördern. Im Mark schaut das konkret so aus: soziale Events wie die »Community Kitchen«, um ein Miteinander zu ermöglichen, und niedrig gehaltene Kosten für die Nutzung von Proberäumen und Equipment.

Beim Verein Echolot steckt das Senden und Empfangen ja schon im Namen. Der Austausch sei hier gelebte künstlerische Praxis. Beispielsweise hat das Gründungsteam noch vor Beginn der Umbauarbeiten in Straßeninterviews die Wünsche und Bedürfnisse der in Favoriten lebenden Menschen abgefragt, um diese dann in die Konzeption des Kulturraums einfließen zu lassen und »nicht an den Menschen vorbei zu produzieren«, wie Hans-Christian Hasselmann erklärt. Erst nach diesem Prozess des Empfangens sei es an die Umsetzung gegangen. Mit dem Opening-Event wurde dann die Phase des Aussendens eingeleitet.

Mehrwert für die Gegend

Auch dem Format »Mosaïque«, das gezielt unfertigen Projekten gewidmet ist, liegt der Gedanke des Austauschs zugrunde. Dabei öffnet das Lot seine Türen explizit für Kunstschaffende, die sich mitten im Schaffensprozess befinden. Es gehe darum, den Prozess ins Zentrum zu stellen, Konkurrenzdenken abzubauen und Early-Stage-Feedback zu ermöglichen. Hasselmann: »Das Publikum, das wir auch als Teilnehmer*innen verstehen, kann dann ungefiltert, aber durch uns moderiert, konstruktives Feedback geben.« Auch Maria Herold vom Sendeschluss gehe es bei ihren Events vor allem darum, Kunstschaffende aus unterschiedlichen Sparten zusammenzubringen, das Grätzl zu connecten und eine offene, angenehme Atmosphäre herzustellen. »Die Veranstaltungen, die wir hier machen, dienen dem Zweck, Sachen, die erst im Entstehungsprozess sind, vorzuführen und so ein bisschen Feedback zu kriegen. Da ist der Mehrwert nicht nur das Produzieren, sondern auch der Austausch und das Ermöglichen von Räumen, wo man etwas präsentieren kann.« Bei einer Veranstaltung auf der Meidlinger Hauptstraße im vergangenen Sommer habe man außerdem gemerkt, wie viel Spaß auch die Bewohner*innen Meidlings an Musik und Performances im öffentlichen Raum haben. »Die haben das schon echt gefeiert«, sagt Tobias Dankl. Passant*innen hätten sich spontan den durch die Straße ziehenden Musiker*innen angeschlossen, Kinder hätten gesungen und mitgetanzt.

Eines ist also klar: Kunst dient nicht nur dem Selbstzweck. Sie bleibt nicht in einer elitären Bubble, versteckt in abgeschlossenen Räumen. Kunst erzeugt ein Echo, sie hallt nach, hat das Potenzial, zu bewegen und die Menschen einer Straße, eines Grätzls oder einer ganzen Stadt miteinander zu verbinden. Innovative Kunst- und Kulturevents entstehen eben oft abseits der etablierten Einrichtungen, in unscheinbaren Kellern, auf einem alten Fabriksgelände oder ganz einfach auf der Straße. Denn Kunst braucht vor allem eines: Inspiration und offene Räume, um denken, tun und sich ausprobieren zu können.

Sendeschluss, Echolot und Mark freuen sich jederzeit über Besuch. Der Sendeschluss hat im Sommer eine neue Eventreihe namens »Beats and Breakfast« am Start. Im Lot finden immer mehr Musikveranstaltungen statt, so zum Beispiel das »Technolot« mit dem Wiener DJ-Label Subtract. Das Mark hostet jedes Wochenende Konzerte aus dem Punk-, Rock-, Metal- oder Alternative-Bereich.

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