Wenn Feiern zur Protestform wird – Queere Partys zwischen Safe Spaces und Sichtbarkeit

Queere Partys sind nie unpolitisch. Sich als marginalisierte Gruppe Raum zu nehmen, sichtbar zu werden, ist immer ein Akt des Protests – und daher auch mit Risiken verbunden. Welchen Zweck erfüllen queere Partys im politischen Kontext? Wie greifen Repräsentation und Safe Spaces ineinander und welche Bedeutung kommt dem Stolz-Sein zu?

© Martin Darling – Pride Vienna

Die Pride ist die größte jährlich stattfindende Demonstration in Österreich. Seit 1996 ziehen jeden Juni Hunderttausende Menschen den Wiener Ring entlang. Die Regenbogenparade will auf queere Existenzen und Realitäten aufmerksam machen und queeres Leben feiern. Dabei wird die Bandbreite von Queerness für eine größere Öffentlichkeit sichtbar. Das sieht dann so vielschichtig aus, wie die queere Community selbst, und hat der Pride Parade ihr Image als quietschbunte Party der Vielfalt eingebracht. Manchmal droht daher die politische Ebene in den Hintergrund zu rücken: Die Pride sei doch nur ein weiterer Anlass, sich mal wieder so richtig gehen zu lassen.

Dabei wird jedoch vergessen, dass sich selbst zu feiern nicht für alle Menschen bedeutungsleeres Spaßhaben ist. Feiern steht in der queeren Community in einem politischen Kontext. Clubs, Nachtlokale und Pubs sind seit jeher ein wichtiger Vernetzungsort für queere Menschen. Selbst die oft als Gründungsmoment der modernen Queer-Rights-Bewegung bezeichneten Stonewall Riots sind nach einer – vorwiegend queeren – Bar benannt: dem Stonewall Inn in der Christoper Street in New York. Aber wie steht es abseits der Pride um die queere Partyszene in Wien? Welche Rolle spielt queere Clubkultur im Kampf für mehr queere Rechte und was hat all das mit Stolz zu tun?

Clubszene als Zufluchtsort

Clubs waren immer schon Orte, an denen Subkulturen entstanden sind, wo subversive neue Ideen aufblühen konnten und progressive Gesellschaftsentwürfe ihren Ursprung nahmen. Für die queere Community können Clubräume außerdem eine Art Zufluchtsort darstellen. Einige DJ-Kollektive in Wien konzentrieren sich deshalb darauf, Konzepte zu entwickeln, um sicheres Feiern für LGBTQIA*-Personen zu ermöglichen. So zum Beispiel das Techno-Kollektiv Ärger, zu dem unter anderem Jakob aka DJ Afro Ninja, Susanne aka DJ Schande und Esti aka Esti.d gehören.

Durch Awareness-Teams und Gespräche mit allen Besucher*innen vor Betreten des Clubs sollen Partys zu einem Safe Space für queere Menschen werden. Genauer gesagt zu einem Safer Space, denn das Kollektiv ist sich bewusst, dass es keine vollkommen sicheren Räume geben und immer etwas passieren kann. Ziel sei es daher nicht eine strikte Selektion der Besucher*innen vorzunehmen, sondern vielmehr auf gewisse Problematiken aufmerksam zu machen und so ein Umfeld zu schaffen, in dem Solidarität, respektvoller Umgang und Achtsamkeit herrschen. Jakob: »Es geht auch nicht darum, dass unser Team die ganze Party reglementiert, sondern eigentlich sollte jede teilhabende Person zu diesem Safer Space beitragen. Unser Team ist eine Anlaufstelle, wenn etwas Konkretes oder Schwierigeres passiert.«

Das Kollektiv Ärger (v. l. n. r.: Jakob, Esti, Susanne) versucht, (queere) Safe Spaces in Clubs zu etablieren. (Fotos: Franz Quitt / Susanne Reiterer, Vanessa Kügerl)

Was beim Kollektiv Ärger Safer Space heißt, nennen Gi und Filipa Soft Space. Als DJ-Kollektiv Acht Brüste veranstalten sie Partys explizit für FLINTA*-Personen. Die »Funkadonas« spielen vor allem Musik aus ihrer Heimat Brasilien beziehungsweise Portugal: Funk, Hip-Hop und Reggaeton. Der Begriff Soft Space soll den Raum für Diskurs öffnen, anstatt eine utopische perfekte Parallelwelt zu schaffen.
»Auch wir selbst haben Sexismus, Rassismus, Trans- und Homophobie etc. internalisiert. Auch wir reproduzieren das«, meint Filipa. »Deshalb brauchen wir einen Soft Space, der uns ermöglicht, darüber Gespräche zu führen, andere Menschen zur Rede zu stellen und auch selbst zur Rede gestellt zu werden. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem wir gemeinsam herausfinden können, wie ein respektvolles Miteinander aussehen kann.«

Rest is resistance!

Indem sich Awareness-Teams um das Wohlbefinden der Besucher*innen kümmern und im Ernstfall einschreiten, exekutieren sie gewissermaßen die anvisierte Nulltoleranz gegenüber diskriminierendem Verhalten. DJ Peter Pünktlich, der unter anderem bei der queeren Eventreihe Rhinoplasty auflegt, nennt das auch »No-Bullshit-Policy« und erklärt, wie sich das Etablieren solcher Richtlinien auf die Party auswirkt: »Es ist wichtig, um abzuschalten und einfach einmal die Gesellschaft zu vergessen. Jede Person aus der Community erlebt permanent irgendeinen Bullshit: Homophobie oder Queerphobie im Alltag und leider auch im Nachtleben. Ich wünschte, es bräuchte nicht mehr so viele Queer-Safe-Spaces.«

DJ Peter Pünktlich hat u. a. die erste Pride in St. Pölten mitorganisiert. (Foto: Susanne Reiterer)

Besonders relevant ist das für weiblich gelesene Personen und queere Menschen, die in der Öffentlichkeit aus Angst vor Übergriffen oft nicht entspannen können. »Ich merke: Wenn ich mal nicht in einem expliziten Safe Space feiern bin, kann ich mich nicht so hundertprozentig entspannen. Es ist immer ein grundsätzlicher Alarm angeschaltet«, sagt Susanne vom Kollektiv Ärger.

Ständige Alarmbereitschaft, immer auf der Hut zu sein vor potenziell gefährlichen Situationen, ist enorm kräftezehrend. Vor diesem Hintergrund wird Entspannung zum Luxus und damit zum Privileg. »Rest is resistance«, bringt Filipa vom Kollektiv Acht Brüste dieses Konzept auf den Punkt. »Es braucht Orte, an denen man sich von dieser Angst entkoppeln kann. Das ermöglichen queere Clubs: einen Platz, wo man einfach sein kann, wo man entspannen kann.«

Sicherheit trotz Sichtbarkeit

Durch queere Schutzräume haben sich queere Menschen ein Grundbedürfnis zurückerobert, das ihnen die Gesellschaft nach wie vor verwehrt, nämlich Sicherheit. Das macht Safe Spaces unverzichtbar und trotzdem ist ein Verlassen dieser Räume notwendig, um breiteren gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Denn das gesellschaftliche Bild von Queerness ist noch immer von Fremdzuschreibungen geprägt, die die Mystifizierung queeren Lebens weiterhin aufrechterhalten.

Erst durch die Anwesenheit von queeren Menschen in allen Teilen des gesellschaftlichen Lebens können Vorurteile und Mythen abgebaut werden. Gi vom Kollektiv Acht Brüste: »Sichtbarkeit ist so verdammt wichtig! Je mehr man gesehen wird, desto eher wird es normalisiert. Und es ist normal, deshalb muss es normalisiert werden.«

Damit breite Repräsentation möglich wird, braucht es aber zuerst Safe Spaces, in denen erste Gehversuche mit Sichtbarkeit stattfinden können. »Es stellt sich immer die Frage, was wir wie sichtbar machen wollen. Es gibt zu viele Strukturen, wegen denen queere Menschen es sich nicht leisten können, sichtbar zu sein. Deswegen sind wir sehr selektiv, was wir nach außen sichtbar machen und was nicht. Aber es ist natürlich wichtig, dass die Leute sehen: Okay, queer people exist!«, betont Esti vom Kollektiv Ärger.

»Wenn man sich mehr nach außen traut, statt versteckt im Club zu bleiben, ist man mehr exposed und dann entwickelt sich manchmal ein Kampf um Öffentlichkeit«, beschreibt Peter Pünktlich die Diskrepanz von Sicherheitsbedürfnis und Repräsentation.

Sichtbarkeit von queeren Lebensrealitäten ist auch notwendig, um Identifikationsprozesse zu erleichtern. Coming-out ist oft deshalb so schwierig, weil es kaum Vorbilder gibt. Aufklärung über Genderidentität und sexuelle Orientierung ist in Schullehrplänen leider nach wie vor Mangelware, weshalb Bewusstsein über die Vielfalt des Begriffs Queerness immer noch vor allem in der Community selbst vorhanden ist. Wer noch nie von Bisexualität oder nichtbinärer Geschlechtsidentität gehört hat, wird sich schwertun, diese an sich selbst zu erkennen.

In puncto Sichtbarkeit spielt die Pride als größtes LQBTQIA*-Event des Jahres eine wichtige Rolle: »Ich habe das für mein 15-jähriges Ich gemacht«, sagt Peter Pünktlich über die erste Pride Parade in seiner Heimatstadt St. Pölten, an deren Organisation er vor zwei Jahren mitgewirkt hat. »In St. Pölten hat es nie Vorbilder gegeben. Und zu sehen, wie lauter 13- und 14-jährige junge queere Kids auf die Pride Parade kommen, ihnen zu zeigen, dass wir an diesem einen Tag gemeinsam mit Stolz auf die Straße gehen und dass, wenn wer deppert ist, alle gemeinsam dagegenstehen, war sehr fulfilling. I cried a lot that day!«

Subversive Selbstakzeptanz

In queeren Safe Spaces geht es darum, sich frei von jeglichen gesellschaftlichen Zwängen ganz so zeigen zu können, wie man ist, und auch die vermeintlich fehlerhaften Seiten an sich selbst zu akzeptieren. In gewisser Weise stellt diese radikale Selbstakzeptanz bereits eine Subversion der Gesellschaft dar. Denn in unserer kapitalistisch-produktivitätsorientierten Welt ist kaum Platz, um über Gefühle nachzudenken, besonders nicht über schlechte, die womöglich auch noch unser Ego infrage stellen.

»Wir hassen es, falsch zu liegen, wir hassen es, Fehler zu machen. Ich glaube, Menschen schämen sich wahnsinnig dafür, nicht perfekt zu sein«, erläutert Gi. Doch wer internalisierte Phobien ablegen möchte, muss diese zunächst an sich selbst erkennen. Das bedeutet Selbstkritik, sich selbst eingestehen können, eben nicht perfekt zu sein. Ein schwieriger Prozess, den die queere Community von straighten Allys einfordert: »Der erste Schritt ist, den eigenen Platz in der Gesellschaft zu verstehen, wie die Struktur dich geleitet hat. Erst dann kannst du beginnen zu verstehen, wie andere Personen von der Struktur verletzt wurden«, erklärt Filipa die Rolle von Nicht-Betroffenen.

Gi und Filipa vom Kollektiv Acht Brüste sprechen statt von Safe Spaces, lieber von Soft Spaces. (Foto: Viktoria Körbler)

Die queere Community fordert aktive Allys. Sich mit queeren Menschen zu solidarisieren, nicht nur zuzuschauen, wenn man queerphobe Übergriffe mitbekommt, sondern aktiv einzuschreiten. »Wir stellen uns da hin und kämpfen um Awareness und zeigen uns, aber die Diskurse passieren ja nicht nur auf der Straße, sondern in den Freund*innenkreisen, in den Familien. Deswegen braucht man Allys, die unsere Kämpfe weitertragen und den Diskurs führen«, sagt Peter Pünktlich.

Zwischen Sichtbarkeit und Raumnahme entsteht politischer Kampf. Denn sich für etwas zu feiern, das die Gesellschaft immer noch als von der Norm abweichend, als andersartig begreift, ist in sich bereits ein politischer Akt. Genau jene Aspekte an sich zu feiern, die gesellschaftliche Normen einem absprechen, heißt, für sich selbst einzustehen, und das zeugt von Stolz. Remember: The first Pride was a riot!

Das Kollektiv Ärger organisiert regelmäßig Veranstaltungen in wechselnden Club-Locations in Wien. Infos gibt’s durch Hörensagen oder auf Instagram. Wer die Hüften gern zu brasilianischem Funk schwingt, wird beim Kollektiv Acht Brüste fündig. DJ Peter Pünktlich spielt seine Hyperpop-Sets auf diversen Partys. Zuverlässig anzutreffen ist er auf der zweiwöchentlich stattfindenden Eventreihe Rhinoplasty im Club U. Die diesjährige Wiener Regenbogenparade findet am 17. Juni statt. Natürlich am Ring.

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