Für queere und insbesondere für trans Menschen kann eine neue Frisur zu einem Spießroutenlauf voller unerwarteter Hürden und (Mikro-)Aggressionen werden. Eine Handvoll queerer Frisiersalons schafft hier Abhilfe.
Ein gängiger Frisiersalon in Wien: Das Preisschild ist in Damen- und Herrenpreise unterteilt – wobei Erstere immer weitaus höher angesetzt sind. Schweift der Blick weiter, wird man im besten Fall von gephotoshoppten Porträts von Hollywood-Promis angelächelt, bei denen man sich sicher sein kann, dass sie dieses Gebäude noch nie betreten haben. In Ina Holubs Salon Soft & Cut im siebten Wiener Gemeindebezirk wird man von einem gänzlich anderen Anblick begrüßt. Keine weißen, dünnen Blockbuster-Sternchen mit langen, glatten Haaren und blauen Augen. Die gesamte Auslage ihres Etablissements ist stattdessen mit einem riesigen bunten Poster voller unterschiedlicher Menschen behängt – Ina selbst in deren Mitte. Laut ihr sei darauf ein Wien abgebildet, das sonst kaum sichtbar sei. Ein Wien voller trans Personen, People of Color, queerer und nichtbinärer Menschen. Inas Salon ist auf mehreren Ebenen barrierefrei gestaltet und heißt all jene Gruppen willkommen, die sich sonst nicht überall willkommen fühlen können.
Große Sessel ohne Lehnen, die auch für mehrgewichtige Personen bequem sind, stehen vor den Spiegeln, die an der zuckerlrosa Wand ihres Salons hängen. Um Rollstuhlfahrer*innen Platz zu machen, sind sie nicht fest im Boden verankert, sondern leicht verschiebbar. Ein ebenfalls rosa Vorhang, der Kopftuchträger*innen vor unerwünschten Blicken bei der Haarwäsche schützt, verhängt die Auslage. Haar- und Make-up-Produkte für PoC stehen in den Regalen. Ina möchte alle inkludieren, die sonst außen vor gelassen werden. Bezahlt wird nach Fixpreisen, die auch nicht vom Geschlecht abhängig sind. Das begründet sie damit, dass etwa der Schnitt und das Waschen von curly und coily Haaren oft länger dauere, es aber unfair wäre, dafür mehr zu verrechnen. Denn die jeweiligen Personen können ja nichts für ihre Haarstruktur. Zeitaufwendigere Haarschnitte werden so von schnelleren gestützt: sozusagen ein Support-System. Und bezüglich Geschlechterkategorien: »Warum sollte für mich relevant sein, welches Geschlecht eine Person hat? Das ändert ja nichts daran, was auf dem Kopf passiert, oder?«, spitzt Ina die Frage zu.
Keine Genderstereotype
Genau wie Ina glaubt auch Flora Essl vom Salon Fina nicht an Preisunterschiede nach Geschlecht. Bei ihr wird der Preis am Zeitaufwand gemessen, das sei die fairste Variante, findet sie. Dass lange Haare meistens länger brauchen als kurze, sei dabei ein Mythos. Es komme auch auf die Dicke der Haare und den Schnitt an. Somit könnten kurze Haare mitunter sogar mehr Zeit in Anspruch nehmen als lange. Auf die Frage, was ihren Zugang von dem anderer Friseur*innen unterscheidet, antwortet Flora: »Mir ist die Individualität der Person sehr wichtig. Haare sind so ein zentrales Ausdrucksmittel. Man kann das nicht in stereotype Genderrollen einordnen und sagen: ›Das ist ein femininer und das ist ein maskuliner Haarschnitt‹, sondern es ist immer ein individueller Haarschnitt für genau diese eine Person.«
Tatsächlich sind Haare für viele ein essenzieller Teil der eigenen Identität und Individualität. Sie sind auch eines der ersten äußerlichen Attribute, die man am Gegenüber wahrnimmt. Trotzdem sind Haare gesellschaftlich immer noch sehr an ein binäres Geschlechterdenken gekoppelt. Frauen haben lange Haare, Männer kurze. Wenn Frauen kurze Haare haben, dann nur im Damenschnitt. Damit begründet sich auch die traditionelle Aufteilung in Damen- und Herrenpreise. Die Norm bestätigt die Regel. Dass viele Personen allerdings nicht in diese Norm fallen, wird hierbei schlicht ignoriert.
Der Haarschnitt als Qual
Dadurch werden queeren Personen selbst bei etwas so scheinbar Simplem wie einem Haarschnitt Steine in den Weg gelegt. »Obwohl ich seit 16 Jahren Friseurin bin, bin ich selbst in keine Salons gegangen«, erzählt Ina Holub. »Das war nämlich beim geringsten Smalltalk immer in irgendeiner Weise mit einem Outing verbunden. Es ist super unangenehm, wenn du spürst, dass immer von einer gewissen Norm ausgegangen wird.« Sobald sie sich in den Kund*innensessel setze und jemand einen Blick auf ihren Ehering erhasche, würde sie nach ihrem Mann gefragt. Dass tatsächlich ihre Frau zu Hause auf sie warte und kein Mann, komme dabei nur den wenigsten in den Sinn.
Tatsächlich fängt das Thema nicht erst im Friseur*innenstuhl an, sondern schon bei der Begrüßung: keine Sensibilisierung für gewünschte Pronomen mit folgendem Misgendern; ungefragte verletzende Kommentare zu Äußerlichkeiten; unerwünschte Beratung zum eigenen Selbstbild; trans Personen, denen die gewünschte Kurzhaarfrisur verweigert wird, weil das zu männlich aussehe. All das sind Situationen, die queere Personen immer wieder ertragen müssen. »Ich habe Kundschaften, die wegen komischer Kommentare wirklich Angst vor dem Haareschneiden haben«, berichtet Flora. »In Schönheitsdienstleistungsberufen passiert dieses Werten leider ganz oft.«
Das Patriarchatsproblem
Folglich schaffen queere Frisiersalons einen wichtigen Safe Space für queere Communitys, eine Zuflucht vor heteronormativen Denkmustern. Letztere existieren natürlich nicht nur im Salon, sondern sind gesellschaftlich verankert und schleichen sich überall in unseren Alltag ein. Flora bezeichnet es als das »Patriarchatsproblem«: Das binäre Schubladendenken, in dem alles in männlich und weiblich gedacht und eingeteilt wird, begegnet uns überall. Besonders präsent ist es aber eben in der Beauty-Industrie: Mode, Schmuck und Make-up-Produkte werden jeweils klar für nur ein Geschlecht vermarktet. Haare haben hier eine besondere Stellung.
»Gerade in westernisierten Ländern haben Haare leider eine superschlimme Kolonialgeschichte und eine sexistische Historie hinter sich«, erklärt Ina. »Das zeigt sich schon darin, dass Frauen lange Haare haben müssen, um für Männer vermeintlich attraktiv zu sein.« Dabei gibt es viele Frauen, die gar nicht für Männer attraktiv sein wollen. Genauso gibt es sicher viele Männer, die nicht nur lange Haare attraktiv finden. Auch die Kolonialisierungsgeschichte von Haaren wird allein durch das Branding und die Bewerbung von Haarpflegeprodukten sichtbar. Wir alle kennen die Shampoo-Werbung, in der eine weiße Frau ihre langen glatten Haare durch die Luft wirbelt – mit dem Claim »Seidenglattes, glänzendes Haar statt widerspenstiger Borsten«, oder so ähnlich. Diese »widerspenstigen Borsten« werden hier oft mit dem Bild der Haare von PoC assoziiert. Allein Frisiersalons und Produkte für diesen Haartyp in Wien zu finden, stellt sich als Problem dar. Ina versucht dem entgegenzuwirken, indem sie explizit auch einen Service für PoC anbietet. Doch den Umgang mit dieser Haarstruktur habe sie sich selbst erst beibringen müssen. In der Friseurmeister*innen-Ausbildung sei davon keine Rede.
Mehr Safe Space
Offensichtlich ist dort auch die Sensibilisierung hinsichtlich queerer Personengruppen kein Thema. Beigebracht wird stattdessen ein normatives zweigeschlechtliches Denken, eine Einteilung in männlich und weiblich, eine Kategorisierung in Damen- und Herrenpreise. Weil Haare in unserer Gesellschaft vermeintlich maßgebendes Geschlechtsmerkmal sind, wird dieses normative Bild auch in der Ausbildung weitergegeben. Dass die Welt in der Realität viel diverser und vielfältiger ist, wird nicht abgebildet.
Deshalb braucht es Menschen wie Ina und Flora, die einen Safe Space schaffen für all jene Personen, die oft zu schnell übersehen werden. Ein Raum, der Queerness versteht, zelebriert und sie zumindest in diesen Safe Spaces zur neuen Norm macht. Ein Raum, der einen Haarschnitt von einer unangenehmen Situation wieder zu einem positiven Erlebnis macht.
Der Salon Soft & Cut von Ina Holub befindet sich in der Kaiserstraße 67 im siebten Wiener Gemeindebezirk. In der Kirchengasse 27 im selben Bezirk kann man den Salon Fina von Flora Essl besuchen.