Endstation Schlingensief/ Mike Nelson

Eröffnungstage auf der 54. Internationalen Kunstausstellung, der Biennale in Venedig: Der Deutschland- und Großbritannien-Pavillon.

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Im Falle des Britischen Pavillons hat sich das lange Warten gelohnt. Immer nur wenige Besucher werden durch das von Mike Nelson in den ursprunglichen Pavillon eingepflanzte Raumsystem durchgeschleust. „Mind your head and feet!“ wird uns am Eingang gesagt.

Nelson

In Anlehnung an eine vorangegangene Ausstellung in Istanbul reihen sich in der Arbeit "I, Impostor" kleine, dunkle, niedrige und verstaubte Räume aneinander. Nur vereinzelt dringt Licht durch kleine Fenster mit gefärbtem roten und gelben Glas. Unverputzte Wände, staubige Holzböden, schmale Durchgänge vermitteln ein beengtes und improvisiertes Wohnen. Auf dem Weg von einem Zimmer in das nächste verliert sich die Spur der Bewohner. Übrig bleiben verlassene Behausungen, die ihre Funktion nie gefunden zu haben scheinen: ein Unterschlupf mit kleinem Ofen und Matratze, Decken und Polstern am Boden, ein rätselhaftes Labor mit lose gehängten Fotos direkt unterm Dach, eine Werkstatt mit großer türkischer Flagge direkt neben einer Coca Cola-Kiste, ein Dachboden mit nutzlos gewordenen Gerätschaften. Nur der fast quadratische kleine Innenhof hat etwas von gelebten Leben. Es ist der einzige Ort von dem aus der Himmel zu sehen ist.

Schlingensief

Ganz andere Eindrücke vermittelt der Deutsche Pavillon, der dem vielseitigen künstlerischen Schaffen von Christoph Schlingensief gewidmet ist. Da es durch seinen unerwarteten Tod im August letzten Jahres noch keinen Konzeptentwurf gab, hat sich

die Kuratorin Susanne Gaensheimer für eine Reinstallation und Weiterführung der räumlichen Ausstattung seiner Arbeit „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ (uraufgeführt anlässlich der Ruhr-Triennale 2008) entschieden. In enger Abstimmung mit der Frau des Künstlers und dem Team adaptierte sie das „Fluxus-Oratorium“. Die einfühlsame und berührende Zusammenstellung der Kuratorin wird auch in der Auszeichnung mit dem Goldenen Löwen für die beste nationale Präsentation explizit gewürdigt.

Während der Britische Pavillon ein Gefühl des Vergangenen und der Verlassenheit hervorruft, ist der Innenraum des Deutschen Pavillons mit Bedeutung auf vielen verschiedenen Wahrnehmungsebenen aufgeladen. Der Bau mit hohem Portal wurde bereits 1909 in Anlehnung an klassizistische Tempelbauten errichtet. 1938 versuchte das nationalsozialistische Regime diesen Eindruck, z.B. durch das Ersetzen der ionischen Säulen durch rechteckige, noch weiter zu verstärken. Durch die Höhe wirkt der Pavillon schon von außen wie ein Sakralbau. Trotzdem ist man zuerst erstaunt, sich nach dem Eintreten tatsächlich in einem Kirchenraum zu befinden. Die Oberlichten wurden Glasfenstern gleich umgewandelt. Diese und andere Gestaltungselemente ähneln manchmal genau der Ausstattung von Kirchen und den damit verbundenen symbolischen Inhalten, gleichzeitig wird beides aber auch wieder subtil unterwandert.

Im Altarraum, der wie eine Bühne gestaltet ist, steht links unter einem großen runden Luster mit zwölf Lampen ein Krankenbett, auf der gegenüberliegenden Seite ein Leuchtplatte mit Röntgenbildern. Einem Hauptaltar und Nebenaltären gleich, riesige Projektionen. Auf der linken Seite ein ewiges Licht und darüber eine Monstranz, hinten ein Reliquienschrein. Alles stimmt und dann doch wieder nicht. Auf die Seitenwände werden Filme projiziert und darunter großformatige Fotos präsentiert, in einem Tondokument kann man die Stimme von Schlingensief ausmachen, wie er von der Diagnose seiner Krebserkrankung spricht, manchmal wird auch Kirchenmusik gespielt. Es gibt Verweise auf Fluxus und Beuys. Die Themen Religion, Kunst, Privates, Theater, Film vermischen sich zu einem amorphen, ineinander verwobenen dichten, dennoch sich fließend verändernden Gebilde. Das dreidimensionale „GERMANIA“, über dem Eingangsportal wurde übermalt und durch ein „EGOMANIA“ ersetzt.

Biennale Venedig

4. Juni – 27. November 2011

http://www.labiennale.org

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