Es ist keine Poesie, es ist Rock

Nach mehr als zehn sehr erfolgreichen Jahren mit seiner Hauptband Interpol, hat sich Sänger Paul Banks eine Auszeit gegönnt, um sein erstes Soloalbum herauszubringen, das eigentlich schon sein zweites ist, wie uns ein sehr ausgeschlafener, intelligenter und wortgewandter Paul Banks im Interview erzählt.

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Siehst Du Dein neues Album “Banks” als dein erstes Soloalbum oder jenes, das du vor einigen Jahren unter dem Pseudonym Julian Plenti herausgebracht hast?

Die Julian Plenti-Platte war mein erstes Soloalbum, "Banks" ist mein zweites. Julian Plenti war mein erster Künstlername, als ich auf dem College war. Als ich zu Interpol kam, hatte keiner ein Pseudonym, also entschied ich mich, meinen echten Namen zu verwenden. Nachdem wir dann drei Interpol-Platten gemacht haben, war ich also nur als Paul Banks bekannt. Daher habe ich mir selbst geschworen, irgendwann meine Solo-Arbeit als Julian Plenti zu beenden.

Für mich war es wichtig, mich in die Zeit zurückzuversetzen und es so zu machen, wie ich es damals getan hätte. Das Originalmaterial reichte für ein halbes Album, also habe ich alles, was ich in der Zwischenzeit geschrieben habe, dazu genommen und auf einer Platte veröffentlicht. Das Julian Plenti-Album war also ein Tribut an meine Kindheitsidee eines Künstlers. Jetzt veröffentliche ich Musik, die ich kürzlich geschrieben habe, und ein Alter Ego erschien mir nicht mehr notwendig. Es ist ein Namenswechsel, wie auch ein Fortschritt im Songwriting. Ein Schritt von der Vergangenheit in die Gegenwart.

Was ist für dich der größte Unterschied zwischen der Arbeit an deinem Soloprojekt und mit Interpol, auch was das Songwriting betrifft?

Bei Interpol schreibe ich keine Songs, das macht Daniel (Daniel Kessler, Anm.). Daher habe ich ein Soloprojekt. Vom gesanglichen Standpunkt aus ist es ein ähnlicher Prozess, nur die Musik ist entweder unter meiner Kontrolle oder nicht. Das ist der Hauptunterschied zwischen Interpol und meinem Soloprojekt. Als ich zu Interpol kam, war ich so fasziniert von Daniels Songs und seiner Zusammenarbeit mit Carlos (Carlos "D" Dengler, Anm.), dass ich mein Songwriting zurückgenommen habe.

Bei meiner eigenen Musik ist es anders, da ich alles selbst schreibe. Da gibt es Stellen, die sehr ruhig und offen sind, wo eine sanfte Stimme besser passt, während die Musik bei Interpol gleichmäßig dahingleitet und selten Raum für sanften Gesang lässt. Es geht darum, was die Musik benötigt. Die meisten Leute hören zuerst auf die Stimme, aber als Musiker höre ich zuletzt darauf. Der Gesang folgt immer der Musik, sie bestimmt, was ich als Sänger tue.

Wie wichtig sind dir Texte, und was kommt bei dir zuerst, die Musik oder der Text?

Immer zuerst die Musik. Ich habe einmal probiert, einen Song um einen Text herum zu bauen, das hat nicht funktioniert. Ich würde auch nie ein Gedicht als Text für einen Song verwenden, da die Silben nicht zum Takt passen würden. Es ist nun mal keine Poesie, es ist Rockmusik. Ich spürte schnell, dass ich dem Beat und den Bass- und Gitarrenlinien folgen und meine Texte und den Gesang auf die Musik zuschneiden muss. Zuerst glaubte ich, dass das die Ausdrucksweise limitiert, weil man ganz auf die Musik angewiesen ist. Aber dann dachte ich an Sonette und strukturierte Gedichte, die strenge Regeln bezüglich Reim und Silben pro Zeile haben. Wenn man z.B. ein Sonett von John Donne oder Shakespeare liest, gibt es wohl kaum etwas Bedeutungsvolleres, das man in weniger Worte fassen kann, als diese Werke. Wenn man also sein Format begrenzt, kann das der Ausdrucksweise sogar dienen.


Du hast Englisch und Vergleichende Literaturwissenschaft studiert und für Magazine gearbeitet. Gab es einen speziellen Moment, an dem du dich entschieden hast, professioneller Musiker zu werden?

Ich wusste, was ich tun will, seit ich 15 war. Wenn du mich auf der Highschool gefragt hättest, was ich werden will, wenn ich groß bin, hätte ich gesagt: Rockstar. Auf die Uni bin ich nur gegangen, um einen Abschluss zu bekommen, da das für meine Familie wichtig war. Da ich Literatur studiert habe, war es naheliegend, bei einem Magazin zu arbeiten, um Geld zu verdienen, während ich auf meine Musiker-Karriere zusteuerte. Ich habe gern dort gearbeitet, ich war zwar nicht in allem sehr gut, aber das Arbeitsumfeld war toll. Als sprachlich interessierte Person fühlte ich mich in einem Umfeld, wo jeder hoch intelligent und ein Liebhaber der Sprache war, daheim. Aber ich denke, ich war nicht geeignet für ein Magazin-Team, ich war nur dort, um Geld zu verdienen, bis ich das mit Rockmusik tun konnte.

Gibt es einen anderen Job, den du machen würdest, wenn du kein Musiker wärst?

Da gibt es einiges, das ich gern tun würde. Mich interessieren alle Arten von Design, Mode- und Möbeldesign oder auch Schreiben und Malen. Aber das Problem ist, dass alles, was ich gerne tue, Dinge sind, mit denen man schwer sein Leben finanzieren kann. Dinge, deren Qualität vom Betrachter abhängt, so als würde es vom Urteil anderer Leute abhängen, ob man für das, was man tut, bezahlt werden soll oder nicht oder ob man es lieber bei einem Hobby belassen sollte. Nichts von dem, was ich gern tue, könnte ich als Job sehen. Es sind Hobbys, für welche dich, hoffentlich, jemand bezahlt.

Und wenn du keinen Erfolg hättest, würdest du trotzdem weiterhin Musik machen?

Bevor ich einen Plattenvertrag bekam, habe ich meine Magazin-Jobs aufgegeben und auf Dateneingabe umgesattelt. Ich habe den beschissensten Job gemacht, den es gibt, mit einem Minimum an Gehalt. Ich habe mich nicht voll der Kunst und Musik gewidmet, da der Start meiner Karriere im Magazin-Bereich sehr viel Zeit und Energie gekostet hat, und ich wusste, dass ich nicht genug Energie haben würde, um mich auf Musik zu konzentrieren, wenn ich diesen Job behalten würde.

Also habe ich diesen für einen Drecksjob aufgegeben und entschied mich bewusst dafür, wenig Geld zu haben. Ich dachte, wenn ich schon dieser Lotterie beitrete, als Musiker oder Künstler erfolgreich zu sein, ist es notwendig, mich dem voll und ganz zu widmen. Das kann man nicht halb probieren, man muss wirklich gewillt sein, solche Jobs zu machen, da sie es ermöglichen, sich auf seine Kunst zu konzentrieren. Also kann ich mit absoluter Gewissheit sagen, dass ich immer noch Musik machen würde, egal ob mit oder ohne Erfolg.

In deinem Musikvideo “Young Again“ drückst du wieder die Schulbank und wirst von Mitschülern tyrannisiert, wofür du dich zum Schluss rächst, indem du sie mit dem Ball abschießt. Wie war das, wenn du an deine eigene Schulzeit denkst?

Die Schikanen waren zu meiner Zeit etwas brutaler, und ich konnte mich nie rächen (lacht). Das ist der Humor im Video, es geht weniger um meine eigenen Erfahrungen, aber ich mag die Analogie zum Erwachsen sein. So viele Antriebe bei Erwachsenen werden von denselben Prinzipien bestimmt wie kindliches Verhalten. Kinder können nicht verstecken, dass ihre Motivationen eigennützig sind, da sie noch nicht wissen, wie man es verheimlichen kann. Als Erwachsene haben wir gelernt, unsere kindlichen Antriebe, die uns dazu bringen, gewisse Dinge zu tun, zu verschleiern.

Du hast das Coverfoto deiner neuen Platte selbst gemacht, fotografierst du viel?

Ich nicht, aber meine Freundin ist Fotografin, und ich kenne viele Fotografen. Ich bin schon oft hinter Fotografen gestanden, habe auf den Screen der Digitalkamera geblickt und beobachtet, was sie anvisieren. Dabei habe ich oft gedacht, dass ich an einem bestimmten Punkt schon abgedrückt hätte. Doch sie haben immer einen tolleren Ausschnitt gefunden und schließlich ein Foto gemacht, das interessanter war, als es in Wirklichkeit gewesen ist. Den exakt richtigen Blickwinkel einer Szene festzuhalten ist eine wirkliche Begabung. Ich weiß nicht, ob das Coverbild ein gutes Foto ist, aber auf mich hat es einen sehr bewegenden Effekt. Ich habe oft eine bestimmte Vision, daher habe ich die Fotos und das Artwork der Platte selbst gemacht.


Vor zehn Jahren kam das erste Interpol-Album “Turn On The Bright Lights“ heraus, wie siehst du deine eigene Arbeit heute?

Das spezielle an Interpol ist, dass es ist eine Kollaboration ist, und ich habe die anderen darin immer sehr bewundert. Musikalisch gesehen ist es genial, Carlos ist unglaublich gut, Daniel hat diese unglaublichen Songs geschrieben, Sam (Sam Fogarino, Anm.) ist ein toller Drummer. Wir haben fünf Jahre an dem Material gearbeitet, es klingt sehr kompakt, und ich hoffe, dass mein Gesang gut klingt. Ich dachte damals, dass wir wirklich gut sind, und ich denke das immer noch. Ich bin sehr stolz auf all die Musik, die Interpol je produziert hat, und ich fühle mich geehrt, dass wir nun überhaupt darüber reden.

Wie wichtig ist Mode und Styling für dich, vor allem bei Interpol?

Es ist der Job eines Künstlers, Dinge künstlerisch zu sehen. Da man Kleidung tragen muss, wäre mir der Gedanke, mich nicht darum zu kümmern, was ich trage, fremd. Jeder in der Band hat diese Einstellung, und coole Bands haben nun mal einen Look. Du musst etwas finden, womit du dich wohl fühlst, und das ist bei Interpol so passiert. Wir wollten uns alle angemessen kleiden, also war es ganz natürlich für uns, und wir konnten außerdem ein cooles Image präsentieren, das kein Fake ist.

Gibt es einen speziellen Song von dir oder Interpol, der in Erinnerung bleiben soll?

Eine Karriere zu starten ist eine sehr emotionale Reise, es gab viele Dinge, die mich extrem genervt haben im Hinblick auf die Wahrnehmung von mir oder der Band. Leute glauben, dass Künstler nicht sensibel sind, aber ich bin es definitiv. Also gab es große Enttäuschungen und Frustrationen in meinem Leben, hervorgerufen durch Kritik, die ich über meine Arbeit gehört habe. Du musst lernen, loszulassen, dein Bestes zu geben und weiterzugehen. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass Dinge so gesehen werden, wie ich will, dass sie gesehen werden, daher gibt es keinen bestimmten Song, für den ich in Erinnerung behalten werden soll.

Und ganz allgemein, wäre Ende 2012 die Welt untergegangen, gibt es einen Song, egal von welchem Künstler, der erhalten bleiben sollte?

Das ist eine sehr schwierige Frage, aber das erste, was mir durch den Kopf geht, ist ein sehr kitschiger Song. Aber er ist von einem meiner Lieblingskünstler Leonard Cohen komponiert worden, also würde ich sagen "Hallelujah". Das wäre ein sehr schöner Post-Humanity-Song, der überleben sollte.

Gibt es einen Künstler, mit dem du gerne einen Abend verbringen würdest (tot oder lebendig)?

“Fucking Da Vinci“. Ich hätte gerne seinen Verstand.

Und Musiker, mit denen du einmal gerne einen Song aufnehmen würdest?

Ich bin zwar sehr glücklich, alleine zu arbeiten, aber da gibt es viele. Ich würde gerne mit Julian Casablancas von den Strokes arbeiten, mit Beck, TV On The Radio, Foo Fighters, ich denke, alle die dich faszinieren würden, würden auch mich faszinieren, um mit ihnen zu arbeiten.

Du hast auch kürzlich ein Hip-Hop-Mixtape veröffentlicht?

Mein erstes Soloalbum konnte ich erst mithilfe eines Computerprogramms machen, das es mir ermöglichte, neben der Gitarre virtuelle Instrumente zu komponieren, wie Drums, Streicher, Bass, Flöten. Zur selben Zeit habe ich begonnen, Hip-Hop-Beats zu programmieren und dabei ist ein Haufen Musik entstanden. Mixtapes sind im Hip-Hop ganz alltäglich, 50 Cent oder Lil Wayne sind dafür bekannt. Ich habe über die Jahre viel Leidenschaft in diese Tracks gesteckt, hätte mich aber unwohl gefühlt, sie zu verkaufen, da ich sie in meiner Freizeit auf meinem Laptop gemacht habe, ohne Hi-Fi-Qualität. Ich mag diesen Aspekt der Hip-Hop Kultur, einmal etwas gratis anzubieten und dann wieder ein Album zu machen. Vielleicht ist das ein neues Denkmuster für die Musikindustrie. Und es war befriedigend und reinigend für mich, alles was ich in den letzten Jahren geschrieben habe, zu veröffentlichen, die Julian Plenti-Platte, die "Banks"-Platte und das Mixtape.

Was wird dein nächstes Projekt sein – Interpol oder ein weiteres Soloalbum?

Es wird Interpol sein, bevor ich ein neues Soloalbum machen werde. Daniel hat bereits neue Songs geschrieben, Sam und ich haben bereits gejammt und neue Sachen ausprobiert, nach der Tour geht´s also direkt an die Arbeit mit Interpol!

"Banks" von Paul Banks ist bereits erschienen. Die Tour führte ihn ins Wiener WUK, wo auch das Interview stattfand.

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