Musik und Citizenship – Wie Europavox die europäische Bühne öffnet

Beim EU-geförderten Projekt Europavox dreht sich alles darum, ein Netzwerk aus europäischen Bühnen und Musiker*innen zu etablieren. Bei sieben Festivals in sieben unterschiedlichen Ländern können up-and-coming Bands erste Schritte außerhalb ihrer lokalen Szene wagen. Wir haben uns angeschaut, was die Ziele und Potenziale dieses Projekts sind.

© Andrei Musat

Control Club, Bukarest, Anfang April. Die Anlage wird gerade von der irischen Shoegaze-Band Just Mustard an ihre technischen Grenzen gebracht. Ein Meer an Verzerrungen, dazwischen die Stimme der Sängerin, mal elegant auf den Wellen surfend, mal ums Überleben kämpfend. Die Boxen dürften sich freuen, dass sich der erste Abend des zweitägigen Festivals seinem Ende zuneigt. Am nächsten Tag wird es entspannter zugehen, weniger (Post-)Rock, mehr Mix aus Elektronik, Techno, Jazz, Soul und Klassik. Es ist eine breite Mischung, die an diesen zwei Tagen über diese Bühne zieht – an musikalischen Stilen wie an Ländern. Rumänien, eh klar, aber sonst: Irland eben, Frankreich, Schweden, Dänemark, Griechenland und Finnland. Dieses Gemenge ist nicht nur gewollt, es ist sort of the point. Das Europavox Festival gastiert nämlich in Bukarest.

Multimediales Gesamtkonzept

Europavox ist ein Netzwerk aus sieben Partner*innen in ganz Europa: in Bukarest, Vilnius, Zagreb, Bologna, Brüssel, Clermont-Ferrand und Wien. Hannes Cistota organisiert jährlich das Europavox Festival im WUK, dessen musikalische Leiter er auch ist. »Die Idee von Europavox ist, dass wir unbekanntere europäische Bands hin und her durch Europa schicken. Dadurch können sie für ein neues Publikum spielen – unter professionellen Produktionsbedingungen«, erklärt Hannes. Um in die Auswahl für ein Europavox Festival zu kommen, muss ein Act Teil des Europavox-Rosters werden. Pro Monat werden ca. zehn Acts von den Partner*innen gemeinschaftlich dafür auserkoren. Auf der Website von Europavox kann dann öffentlich abgestimmt werden, welcher Act davon »Band of the Month« wird – mit zusätzlicher Publicity und Auftrittsangeboten. All das soll dafür sorgen, dass Europavox auch abseits der Festivals präsent bleibt. Es ist Teil eines medialen Gesamtkonzeptes wie Ana Martinez, Head of Communication für Europavox, erläutert: »Unsere medialen Auftritte erlauben es Leuten, neue Bands zu entdecken – also gehen sie zu den Festivals, um diese Bands dann live zu sehen. Andererseits stoßen dann Leute, die live vor Ort sind, auf unsere Medien.«

Über Europavox soll das Publikum nicht nur junge europäische Bands kennen­lernen, sondern auch Europa selbst. (Foto: Andrei Musat)

Ursprünglich war Europavox ein einzelnes Festival in Clermont-Ferrand. François Missonnier gründete dieses 2006 und ist bis heute einer der Projektleads: »Mein erstes Ziel war, die europäische Musikproduktion in all ihrer Diversität sichtbar zu machen und zu fördern. Das zweite Ziel war Citizenship: Wie können wir der europäischen Jugend klarmachen, was das Herz, die Seele Europas ist? Für mich ist die wahre Seele Europas das Teilen eines gemeinsamen Abenteuers, gemeinsamer Werte. Um das zu transportieren, ist das beste Vehikel nicht Wirtschaft. Es ist Kultur, und vor allem Musik. Musik ist die von der Jugend am meisten geteilte künstlerische Praxis, Freizeitbeschäftigung und Leidenschaft. Wenn wir europäische Bands herumreisen und neues Publikum treffen lassen, während sie weiter in ihren eigenen Sprachen sprechen – das macht Europa für mich konkret. Seit dem ersten Tag folgt alles, was wir tun, diesen beiden Prinzipien: Musik und Citizenship.«

EU-geförderte Festivals

Die Europäische Kommission dürfte das Potenzial dieser Verbindung auch sehen, hat sie Europavox doch schon zum zweiten Mal über den Projekttopf »Kreatives Europa« gefördert. Je zwei Millionen Euro gab es für jeweils vier Jahre. Die aktuelle Förderung läuft noch bis 2024, Zukunft immer ungewiss. »Ich glaube es braucht Institutionen, um eklektische, experimentelle Musik vor ein Publikum zu bringen«, so Mischa Blanos der nicht nur in seiner Heimatstadt Bukarest, sondern auch bereits bei einigen anderen Europavox Festivals spielen konnte – unter anderem in Wien.

Seine Musik bewegt sich irgendwo zwischen experimenteller Elektronik und Klassik, viele Loops und Samples, darüber expressive Klaviersolos. Eklektisch trifft es. Was live durchaus ankommt, dürfte auf den ersten Blick nicht leicht an Booking-Agenturen zu verkaufen sein. Gerade im unbekannten Ausland. Förderungen sind da hilfreich, nicht nur um Acts wie Mischa Blanos für das Europavox-Netzwerk zu entdecken und zu promoten, sondern auch um sie schlussendlich einzuladen. Denn Förderungen erleichtern es Venues, mehr Risiken bei der Programmgestaltung einzugehen. Nicht so abhängig von dem zu sein, was ohnehin schon bekannt ist und sicher Publikum zieht. »Der finanzielle Druck ist ein anderer«, legt Hannes vom WUK dar. »Bei jeder Show ohne Förderung überlegt man, ob sich das ausgeht oder nicht. Oder ob man mit den Künstler*innen nochmal verhandeln muss.«

Sprung auf europäische Bühnen

Wer letzten Endes vom Netzwerk am meisten profitieren dürfte, sind die individuellen Künstler*innen. Junge oder zumindest neue Bands, die in ihren lokalen Szenen schon Bekanntheit erlangt haben, aber selbst gerade noch nicht den Sprung auf transnationale Tourneen schaffen würden. »Speziell Österreich ist sehr limitiert, was das Touren betrifft. Es gibt eine Handvoll Venues von Vorarlberg bis Österreich, wo man klubmäßig touren kann. Eine Band kann ja nicht jedes Quartal, die gleichen Klubs abgrasen. Insofern muss sie da irgendwann raus«, meint Hannes. Auch Mischa sieht das ähnlich: »Ich glaube, du musst als Artist international denken. Du kannst nicht ständig dieselben Sachen im selben Land spielen. In Rumänien haben wir vielleicht fünf Städte, in denen man meine Art von Musik spielen kann. Also muss man in ganz Europa touren – oder sogar in den USA. Man muss dort unterwegs sein, um als Künstler*in zu wachsen.«

Für Mischa Blanos ist es essenziell, dass Musiker*innen auch außerhalb ihrer lokalen Szenen touren können. (Foto: Andrei Musat)

Diesen Fokus auf individuelle Künstler*innen bestätigt auch Europavox-Gründer François: »Wir sind sehr an den lokalen Musikszenen interessiert – sofern es sie gibt. Alle unsere Partner*innen haben ihre eigenen Visionen für die Musikindustrie, ihre eigenen Perspektiven. Aber wenn wir mit Künstler*innen darüber reden, sie für ein Festival zu buchen, oder wenn wir mit der Presse ein Interview haben, dann sind wir auf die individuellen Artists fokussiert. Und auf ihre Umgebung. Sind sie bereit, das Spiel mitzuspielen? Sind sie bereit für den Export?«

Was Europavox potenziell leisten kann, ist jungen Bands neue Bühnen, neues Publikum, neue Märkte zu eröffnen. Das ist kein »nur«, keine geringe Leistung – gerade für die Bands. Wer den Sprung von vereinzelten lokalen Gigs zu internationalen Touren schaffen möchte, steht vor einer Vielzahl von Hürden. Europavox arbeitet tatkräftig daran, diese Hürden zu nivellieren und Bands, die den Willen und das Potenzial, aber (noch) nicht die Möglichkeiten haben, über diese Schwelle zu hieven.

Das nächste Europavox Festival in Wien findet am 17. und 18. November 2023 im WUK statt – sofern die aktuell laufenden Bauarbeiten mitspielen. Weitere Infos finden sich zeitgerecht auf den Websites von WUK sowie Europavox.

Offenlegung: Unser Besuch beim Festival in Bukarest erfolgte auf Einladung von Europavox.

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