Im März diesen Jahres ging die Nachricht um den Cambridge-Analytica-Skandal rund um die Welt. Kürzlich kündigte die britische Datenschutzbehörde die Höchststrafe von 500.000 Pfund an, die dennoch verschwindend gering wirkt, wenn man sich genauer mit den Dimensionen beschäftigt.
»Wir sind so daran gewöhnt, dass wir nicht merken, wie bizarr und krank das ist«, erklärte US-Informatiker und Netz-Pionier Jaron Lanier kürzlich auf der Cebit und thematisierte damit nicht etwa die Todesstrafe, den Umgang mit Flüchtlingen an der Grenze oder die Genforschung, sondern schlichtweg die Nutzung von sozialen Netzwerken wie Facebook. Er spricht damit ein im Vergleich scheinbar banales Thema an, das allerdings fast ein Viertel der Weltbevölkerung betrifft, ein Thema, das man vielleicht im Hinterkopf hatte, das sich aber erst durch Datenskandale, wie jenen rund um die Firma Cambridge Analytica, und Regulierungsversuche, etwa aktuell durch die Datenschutzgrundverordnung, ganz langsam und schleichend seinen Weg in die mediale Berichterstattung und weiter ins kollektive Gedächtnis bahnt.
Wirklich betroffen oder gar zu einer Handlung – nämlich der Löschung von Accounts – gezwungen fühlen sich dennoch die wenigsten Menschen. Seit Bekanntwerden des Datenverlusts durch Cambridge Analytica kletterte die Zahl der monatlich aktiven NutzerInnen von 2,13 auf 2,2 Milliarden und entspricht damit etwa der Einwohnerzahl von China, den USA und Indonesien zusammen. Der Umsatz der Plattform stieg im ersten Quartal im Jahresvergleich um 49 Prozent auf 11,97 Milliarden Dollar, der Gewinn um 64 Prozent auf 4,99 Milliarden Dollar. An dieser Stelle könnte man anmerken: Warum den Leser oder die Leserin mit Zahlen langweilen, die ohnehin außerhalb des Vorstellungsbereichs liegen? Das ist einerseits ein berechtigter Einwand, andererseits genau der Kern des Problems, das Plattformen wie Facebook mit sich bringen: Eine unvorstellbar große Anzahl an Menschen stellt einem Unternehmen, das – um Gewinn zu erzielen – mit einer kaum einschätzbaren Anzahl an anderen Unternehmen, deren Ziele und Bestrebungen der einzelne Nutzer oder die einzelne Nutzerin unmöglich kennen kann, zusammenarbeitet, eine unglaublich große Menge an sehr persönlichen Daten zur Verfügung. Genauso wenig vorstellbar wie all diese Zahlen sind allerdings die Auswirkungen – nicht nur auf den einzelnen Menschen, sondern viel mehr auf die Gesamtgesellschaft.
Unternehmen, die online agieren, stellen ihre Services nicht zur Verfügung, um der Menschheit etwas zurückzugeben, sondern um Geld zu verdienen. Wer Plattformen wie Facebook, Twitter oder auch Google nutzt, gibt als Währung gewisse Daten mehr oder weniger bewusst an die Unternehmen weiter. Das Problem dabei liegt darin, dass ein Gesamtverständnis und eine gewisse Achtsamkeit noch immer fehlen, wie Walter Peissl, stellvertretender Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung der Akademie der Wissenschaften erklärt: »Wenn man einen durchschnittlichen User fragt, welche Ergebnisse er via Google bekommt, dann ist die Antwort nicht selten ›Das, was man im Internet dazu findet‹. Das stimmt aber nicht. Man sieht nämlich genau das, wovon Google denkt, dass es das Richtige für Sie ist zu sehen. Google kennt Sie besser, als Sie sich selbst kennen, weil Sie vermutlich nicht mehr wissen, wonach Sie am 13. März 2016 gesucht haben – das Unternehmen aber schon.«
Der Nutzer ist nicht der Kunde
Besonders interessant werden Daten – ob nun jene der Suche vom 13. März 2106 oder Profilinformationen auf einem sozialen Netzwerk – aber vor allem durch ihre Fülle und durch ihre Detailliertheit in Kombination mit dem an den Tag gelegten NutzerInnenverhalten. Während ein einzelner Datensatz kaum für Machine Learning taugt, helfen sehr viele sehr genaue Datensätze dabei, Algorithmen zu verfeinern. Die Plattform kann praktisch minütlich Markt- und letztlich auch Verhaltensforschung betreiben:
Ist Person A, etwa 20 bis 30 Jahre alt, politisch eher links, in einer Beziehung, in Wien lebend eher an einem Werbeclip für einen digitalen Ovulationstest interessiert, nachdem sie ein süßes Katzen- oder Babyvideo gesehen hat? Wie viel Zeit sollte optimalerweise zwischen Stimuli und Response liegen? Ist sie vielleicht doch an Weiterbildungsangeboten interessiert? Ist sie eher an Weiterbildungsangeboten interessiert, nachdem sie Postings von Freunden mit höherem Bildungsgrad gesehen hat?
Nun kann man sagen: Marktforschung und Werbung gab es schon immer und das nun mögliche Mikrotargeting erspart NutzerInnen, die ohnehin kein Interesse an einem bestimmten Produkt haben und nicht in die Zielgruppe fallen, einen Batzen uninteressanter Werbung. Aber während man das im Bereich des klassischen Consumer-Marketings noch als wenig problematisch abtun kann – ja, grundsätzlich kann jedes Unternehmen Facebook-Werbung schalten, jeder versuchen, den Kauf seines Produkts mit bestimmten Argumenten, zugeschnitten auf die jeweilige Person, zu rechtfertigen – besteht im Bereich der allgemeinen Meinungsbildung ein viel größeres Potenzial, Schaden anzurichten.
Eine Plattform, die mehr oder weniger auf Behaviourismus aufbaut und nach und nach lernt, wie Menschen mit bestimmten Eigenschaften ticken, was sie bewegt und durch welche Faktoren sie sich beeinflussen lassen, wird zum perfekten Tool, um Menschen zu manipulieren. In welche Richtung diese Manipulation erfolgt, ist letztlich allerdings davon abhängig, wer wie viel Geld für welche Art der Manipulation ausgibt und nicht zuletzt auch, wer am lautesten schreit, wer mit seinen Aussagen am meisten polarisiert und wer die größten Emotionen erzeugt. Der eingangs erwähnte Zitatspender Jared Lanier spricht in seinem Buch »10 Arguments For Deleting Your Social Media Accounts Right Now« in diesem Zusammenhang vom BUMMER-Zeitalter. BUMMER ist dabei eine Abkürzung für »Behaviours of Users Modified, and Made into an Empire for Rent«, auf deutsch also etwa »Verhaltensweisen von Nutzern, die verändert und zu einem Imperium gemacht wurden, das jedermann mieten kann«. Diese sogenannten Imperien werden angetrieben von entstehenden Echokammern, Fake-News-Kampagnen und künstlichen Verstärkern wie Bots.
Facebook macht süchtig
Dass sich Facebook, Twitter & Co zu Räumen entwickelt haben, in denen intensiver Meinungsaustausch und damit auch Meinungsbildung stattfinden, liegt am durchaus ausgeklügelten Konzept der Plattformen. Jedes Mal, wenn wir auf Facebook ein »Like« einheimsen, jedes Mal, wenn wir von der Plattform durch unsere Interaktion in irgendeiner Weise belohnt werden, wird in unserem Gehirn Dopamin ausgeschüttet. Neben den durchaus praktischen Funktionen ist es mitunter genau das, was Millionen Menschen dazu bewegt, die Plattform weiter zu benutzen. »Die von uns entwickelten, schnell reagierenden, dopamingetriebenen Feedbackschleifen zerstören, wie Gesellschaft funktioniert. Sie zerstören gesellschaftlichen Diskurs und Zusammenarbeit und sorgen für Desinformation und Unwahrheit. Und das ist nicht nur ein amerikanisches Problem – hier geht es nicht um von Russland geschaltete Anzeigen. Das ist ein globales Problem. (…) Ich fühle mich sehr schuldig«, erklärte beispielsweise Chamath Palihapitiya, ehemaliger Vice President of User Growth bei Facebook, nachdem er das Unternehmen 2011 verließ.
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