Im März diesen Jahres ging die Nachricht um den Cambridge-Analytica-Skandal rund um die Welt. Kürzlich kündigte die britische Datenschutzbehörde die Höchststrafe von 500.000 Pfund an, die dennoch verschwindend gering wirkt, wenn man sich genauer mit den Dimensionen beschäftigt.
Neben persönlichen Inhalten setzte Facebook vor knapp zwei Jahren zudem auch stark auf die Verbreitung von Nachrichteninhalten, etwa mit Features wie Trending Topics oder Instant Articles. Damit wurde Facebook nicht nur zu einer Plattform für sozialen Austausch, sondern für viele auch zur Informationsquelle und letztendlich zur Diskussionsplattform, die sich unter anderem auch mit gesellschaftspolitischen Inhalten auseinandersetzte. Gut funktioniert und damit eine hohe Reichweite erzielt aber auch hier, was Menschen emotional bewegt – relativ unabhängig vom Absender oder vom Wahrheitsgehalt der Nachricht. Während anfangs noch JournalistInnen beschäftigt wurden, um etwa Algorithmen zu korrigieren, änderte sich diese Praxis recht schnell, nachdem einer der MitarbeiterInnen interne Details nach außen trug, wie das Magazin Wired, das für einen umfangreichen Artikel im Februar mit rund 50 ehemaligen und aktiven Facebook-MitarbeiterInnen sprach.
In der wöchentlichen Fragerunde mit Mark Zuckerberg wurde beispielsweise die Frage »What responsibility does Facebook have to help prevent President Trump in 2017?« zum Thema – ein Screenshot davon und ein Gespräch mit einem weiteren Ex-Mitarbeiter führten letztendlich zu einem Artikel mit dem Titel »Former Facebook Workers: We Routinely Suppressed Conservative News« auf Gizmodo. Die Reaktion: Obwohl Facebook immer stärker auf die Verbreitung von Nachrichten, etwa durch die Möglichkeit der Instant Articles setzte, um mit dem Kurznachrichtendienst Twitter mithalten zu können, verzichtete die Plattform zumindest großteils auf eine Korrektur durch geschulte MitarbeiterInnen und setzte viel daran, sich im rechten Flügel als glaubwürdig zu rehabilitieren und veränderte den Umgang mit Nachrichten von dem Zeitpunkt an grundlegend. Eine Entwicklung, die noch immer andauert und die heute dem ein oder anderen Medienunternehmen, das bisher auf die Reichweite angewiesen war, Probleme macht.
Der Wechsel von einer Plattform, die ursprünglich für sozialen Austausch kreiert wurde und die sich dann auf Werbekunden fokussiert hat, zu einer Plattform, auf der die ganze Welt nahezu jedes Thema diskutieren und sich informieren kann, ist nicht einfach. Das liegt letztendlich auch daran, weil Facebook nicht dafür konstruiert wurde, möglichst ausgeglichen zu informieren, wie Walter Peissl erklärt: »Wenn ich sage, ich will eine große breite möglichst diverse Meinungsvielfalt produziert und dargestellt haben, dann muss ich einen Algorithmus anders gestalten, als wenn mir wichtig ist, dass ich viel Werbung verkaufe und einen hohen 1.000er-Preis erziele. Letzteres schaffe ich nur dann, wenn die Leute lang auf meiner Seite bleiben und deshalb muss ich schauen, dass ich viele emotionale Inhalte in einer bunten Mischung darbiete.«
Was bleibt vom freien Netz?
Aber während man versucht, Facebook als Sündenbock zu skizzieren, muss man ob der immer mehr aufpoppenden möglichen Regulierungen – teils sinnvoll, etwa wenn es um Datenschutz geht, teils einschränkend, etwa wenn es um die aktuelle Debatte rund ums Urheberrecht geht – darüber nachdenken, ob wir alle viel zu lang viel zu naiv waren. Das World Wide Web wurde lange als freier Ort begriffen, brachte die Möglichkeit mit sich große Datenmengen auszutauschen und sie global zugänglich zu machen, veränderte unsere Kommunikation und letztendlich auch soziale Interaktion entscheidend. Wir sind gewöhnt daran, dass all diese Dienste kostenlos zur Verfügung stehen, und ein Großteil der Menschen hat vermutlich nie darüber nachgedacht, dass Firmen, die in diesem auf den ersten Blick so freien Raum agieren, natürlich über Profit nachdenken und sich – in einem kapitalistischen System wenig verwunderlich – auf Dauer Gedanken machen, wie sie die von ihnen zur Verfügung gestellten Services monetarisieren. »In dem Moment, wo die Kommerzialisierung eingesetzt hat, wo aus dem normalen Internet das World Wide Web geworden ist, wo die bunten Bilder aufgetaucht sind, hätte man erkennen können, dass es unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Interessen gibt«, bestätigt auch Walter Peissl.
Die Frage, ob es mittlerweile zu spät sei, verneint er jedoch klar. Und es gibt durchaus Grund zur Hoffnung. Die im Mai inkraftgetretene Datenschutzverordnung soll NutzerInnen künftig schützen und auch wenn die inhaltlichen Änderungen gering sind, so haben sich die Konsequenzen für große Unternehmen verschärft. Inwieweit das einen Einfluss hat, ist unklar, Peissl gibt sich jedoch hoffnungsvoll: »Die Datenschutzgrundverordnung hat materiellrechtlich oder inhaltlich nicht so viel Neues gebracht. Es gibt ein paar zusätzliche Möglichkeiten wie die Datenportabilität oder das Recht auf Vergessen. Was sich verändert hat – und darauf kann man Hoffnungen setzen – ist, dass Behörden mit Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet wurden. Die berühmten vier Prozent vom Jahresumsatz konzernweit. Und das tut weh. Bis jetzt war das in Österreich eine Verwaltungsübertretung, für die es nur eine geringfügige Strafe gab.« Ob die Gesetze den gewünschten Nutzen bringen, sei aber vor allem von der Umsetzung abhängig. Die ersten Klagen, etwa von Max Schrems, gibt es bereits – wie damit umgegangen wird, könnte letztlich entscheidend sein.
Dabei stellt sich allerdings die Frage, inwieweit Regulierungen wie diese, sofern sie funktionieren, das Geschäftsmodell letztendlich ad absurdum führen und wie glaubwürdig das Bestreben der Unternehmen dementsprechend ist. Eine andere Möglichkeit wären Bezahlmodelle, die online aber nur bedingt funktionieren, auch weil die NutzerInnen schlichtweg nicht daran gewöhnt wurden, wie sich etwa bei Paywall-Modellen von Medienhäusern zeigt. Mit der Datenschutzgrundvorordnung habe das Thema aber vor allem auch mehr Raum im öffentlichen Diskurs gefunden, so Walter Peissl. »Da bricht aus meiner Sicht gerade etwas auf, wo man sich denken könnte, dass sich, gemeinsam mit den jetzt etwas schärfer einsetzbaren Möglichkeiten der Regulierung, langsam ein Bewusstseinswandel einstellen könnte und dass die Leute darüber nachdenken: Wenn etwas kostenlos ist, zahle ich mit einer anderen Währung.«
Die Autorin hat ihre Social-Media-Accounts im Zuge dieses Artikels nicht gelöscht. Das Lesen des Buchs »10 Arguments For Deleting Your Social Media Accounts Right Now« von Jaron Lanier empfiehlt sie dennoch.