Fliegende Linien

Mehr als 5 Kilogramm wiegt der umfassende Ziegel mit allen bisherigen Projekten der einzigen österreichischen Architekturstars Coop Himmelb(l)au. The Gap stellt das Werk des Büros vor.

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“Wir haben Coop Himmelb(l)au im Mai 1968 gegründet. Es war reiner Zufall, dass es grade am 8. Mai passiert ist, der Tag, an dem in Paris die Studenten auf die Straße gegangen sind.” (Wolf D. Prix) Zum Höhepunkt der Aufbruchsstimmung in den 60er Jahre gründen Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky und Michael Holzer in Wien Coop Himmelb(l)au – die Architektengruppe, die in den folgenden Jahrzehnten zum prominentesten Architekturexport Österreichs heranwachsen wird.

Man ist in dieser Zeit nicht alleine – neben den radikalen Entwicklungen in Musik und bildender Kunst bilden sich in Österreich auch zahlreiche andere Architektengruppen wie Haus-Rucker-Co oder Zünd-Up. Alle haben sie gemeinsam, dass sehr oft in Grenzbereichen zwischen Architektur und Aktionskunst arbeiten.

Coop Himmelb(l)au waren zu Beginn vor allem inspiriert von den musikalischen Neuerungen ihrer Zeit. Die Kraft der Gitarren von Hendrix, Richards oder Clapton in Architektur zu übersetzen war das Ziel, schließlich wollte man damals selbst zu den “Rolling Stones der Architektur” (Prix) werden.

Pneumatische Lebensutopien

In ihren ersten Projekten überprüften sie Signalübertragung, Musik und aktuelle Technologien im Hinblick auf ihre raumbildenden Qualitäten und um mögliche bewusstseinserweiternde Wirkungen der Architektur sowie unbekannte Raumwahrnehmungen zu erforschen. Frühe Projekte tragen Namen wie “Die Wolke”, “Unruhige Kugel” oder “Soul Flipper”. Dies waren häufig pneumatischen Konstruktionen wie Anzüge, Helme oder aufblasbare Häuser – allesamt Projekte die als Wohn- und Lebensutopien für eine neue Zeit gelesen werden konnte. In den Entwürfen spiegelt sich das Streben nach einer leichten Architektur wieder, die losgelöst von allen Traditionen funktionieren sollte. Die Gruppe wollte sich aus der “Zwangsjacke des Funktionalismus” (Prix), der zu Beginn der 2ten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Bauwelt dominierte, befreien.

So schreiben sie 1980 in einem ihrer zahlreichen Kurzmanifeste: “(…) Architektur muss schluchtig, feurig, glatt, hart, eckig, brutal, rund, zärtlich, farbig, obszön, geil, träumend, vernähend, verlernend, nass, trocken und herzschlagend sein. (…) Architektur muss brennen.” Damit dies gelingt sucht Coop Himmelb(l)au Anregung in allen Bereichen des Lebens und nutzt beispielsweise im Projekt “harter Raum” den menschlichen Herzrhythmus als Trigger um 60 Sprengladungen zur Detonation zu bringen.

Post-Konzept-Phase

Im ersten Jahrzehnt des Bestehens von Coop Himmelb(l)au kommen Entwürfe selten über ein konzeptuelles Stadion hinaus, erst zu Beginn der 80er Jahre wird tatsächlich gebaut. Planungen der Weinbar “Roter Engel” oder des Dachausbaus in der Falkestraße, beide in Wien, verhelfen Coop Himmelb(l)au zu einem höheren Bekanntheitsgrad.

In diesen ersten verwirklichten Projekten lassen sich die gestalterischen Grundsätze, die bis heute verfolgt werden, sehr gut ablesen. Die Architektur ist geprägt von wild wirkenden Linien und Überlagerungen. Komplexe Grundrisse sowie eine ausgeprägte vertikale Entwicklung der Gebäude sorgen für spannende Innenräume und abwechslungsreiche Perspektiven. Statische Architektur wird zugunsten einer erlebbaren Dynamik verdrängt. Der Entwurf der Projekte anhand einer schnellen, alles sagenden Skizze, die anschließend in Modelle, Pläne und zuletzt in ein gebautes Projekt übersetzen wird, ist in diesen frühen Bauten stark zu erkennen.

Neben Dekonstruktivismus

Der internationale Durchbruch gelang dem Büro im Jahr 1988 mit dem Bau einer Industriehalle in Kärnten und mit der Einladung zur Ausstellung “Deconstructivist Architecture” im Museum of Modern Art, New York. Die Arbeiten von Coop Himmelb(l)au wurden hier neben Projekten der Büros von Frank Gehry, Rem Koolhaas, Zaha Hadid und anderen ausgestellt – allesamt Namen, die in den folgenden Jahren in den Olymp der “Starchitects” aufsteigen. Die Wiener Gruppe distanzierte sich zwar immer von der Zugehörigkeit zu den “Dekonstruktivisten”, jedoch ist eine gewisse formale und theoretische Verwandtschaft zu den anderen Akteuren dieser Strömung nicht abzustreiten. Das grundlegende Prinzip des Verbiegens, Auflösens, Brechens und neu Interpretierens klassischer Elemente der Architektur zugunsten eines “aufregenden” Raumerlebnisses haben sie alle gemein.

In den darauffolgenden Jahren gelingt es Coop Himmelb(l)au immer größere Bauten zu realisieren. Projekte wie der UFA Filmpalast in Dresden oder die Erweiterung der Akademie der Bildenen Künste in München übersetzen den Wunsch nach Leichtigkeit und Offenheit in der Architektur in eine komplizierte Sprache aus Stahl, Glas und Beton. Erst der Einsatz moderner Technologien und Materialien sowie die weite Verbreitung von CAD machten diese Entwürfe realisierbar und erschwinglich. Große Atrien, Wegenetze, Ausbuchtungen und Öffnungen sollen das Gebäudeumfeld als auch das Gebäudeinnere aktivieren, den Nutzern neue Räume bieten, neue Stadtplätze erzeugen. Oft sind die Projekte geprägt von offenen Grundrissen, die sich vor allem in den Wohnbauten von Coop Himmelb(l)au widerspiegeln – beim SEG-Turm in der Wiener Donaucity wurden keine Raumeinteilungen in den Wohnungen mit geplant, sondern loftartige Räume angeboten, die von den Bewohnern nach ihren Wünschen adaptiert werden konnten.

Lyon, Los Angeles, Frankfurt,

Bis heute ist Coop Himmelb(l)au zu einer internationalen Marke mit zahlreichen Mitarbeitern und Büros in Wien und Los Angeles herangewachsen. In den letzen Jahren konnten Wettbewerbe für Großprojekte wie das Musée des Confluences in Lyon oder den Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt für sich entschieden werden. Die ersten Kulturbauten in China sind ebenso bereits in Planung. Bei der 2007 in München fertiggestellten BMW-Welt standen Coop Himmelb(l)au nach 40 Jahren Bürogeschichte die Mittel zur Verfügung, um eine der erträumten “Wolken” in Form eines riesigen, mehrfach gekrümmten Daches, zu verwirklichen.

Doch gerade an diesen aktuellen Projekten wird immer wieder kritisiert, dass sich Coop Himmelb(l)au von der ursprünglich erwünschten Wirkung Ihrer Architektur weit entfernt haben, und die revolutionären Ansätze ihrer frühen Studien zugunsten des Bauens immer komplexerer Geometrien verloren haben. Das Büro stehe mittlerweile für eine Signature-Architektur, die auf ein bekanntes, spektakuläres Formenrepertoire zurückgreift, aber keine grundlegenden Neuerungen mehr erreicht. Bei der Menge und Größenordnung an Bauten, die sie zuletzt realisiert haben, ist eine gewisse Verwässerung der Grundideen wohl auch nicht auszuschließen. Jedoch arbeiten Coop Himmelb(l)au nach wie vor an Projekten, in denen die Grenzen des technisch machbaren, in manchen Fällen auch die Grenzen der Möglichkeiten Ihrer Architektur, aufgezeigt werden.

Coop Himmelb(l)au

Michael Mönninger, Peter Gössel

Hardcover, 30.8 x 39 cm

500 Seiten

99.99 EUR

Taschen Verlag

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