Im November wird der Community-Sender Okto fünf Jahre alt. Wie er tickt, warum er eigentlich ein Bobo-Sender ist, und wieso die Deutschen den Sender beneiden, hat uns aus diesem Anlass Okto-Geschäftsführer Christian Jungwirth im Interview erklärt.
The Gap: Okto ist das erste freie Fernsehen in Österreich und hat eine ziemliche Erfolgsgeschichte hinter sich. Community-Fernsehsender haben aber beispielsweise gerade in den USA schon länger Tradition – warum gibt es so etwas in Österreich erst seit fünf Jahren?
Christian Jungwirth: Das stimmt. Es gibt in Amerika eine lange Tradition, wobei die Konzepte dort andere sind. Das sind dann eher Public Access Kanäle, die eigentlich nur als Plattform dienen. Da wird öffentlich produzierter Inhalt ausgestrahlt ohne, dass sich der Sender inhaltlich einmischt. Das Andere ist der Public Broadcasting Service, der unseren öffentlich-rechtlichen Sendern entspricht. Weil es keine öffentlich-rechtliche Sender in Amerika gibt, werden diese PBS Sender dort von der Zivilgesellschaft getragen.Wir haben zwar in Europa auch eine lange Tradition, aber wie bei so Vielem ist Österreich hier verspätet dran. Das betrifft aber nicht nur die partizipativen Sender, sondern den gesamten Privatfunk, weil das staatliche Rundfunkmonopol hier europaweit als eines der letzten gefallen ist. Es hat deshalb sogar Verurteilungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegeben. Erst danach hat es die Möglichkeit gegeben Privatfunk zu betreiben. Das war sozusagen die legale Voraussetzung, dass so etwas wie Okto, also ein nicht durch den ORF organisierter Rundfunksender, möglich geworden ist. Und da der gesamte Liberalisierungsprozess relativ spät eingesetzt hat, ist auch der Bereich partizipative Radio- und Fernsehsender relativ spät gekommen.
Rechtlich gilt Okto also als Privatsender?
Ja, wir agieren de facto im rechtlichen Rahmen von Provatfernsehen. Auch denn in Österreich inzwischen schon seit Jahrzehnten für ein Differenzierung gekämpft wird, ist es nie geglückt, das durchzusetzen. Ein Lichtstreifen am Horizont ist aber eine Gesetzesänderung bei der Rundfunkreguliergungsbehörde (RTR). Hier gibt es jetzt eine Privatrundfunkförderung – mit diesem Gesetz wird zum erstem Mal in Österreich differenziert zwischen nicht-kommerziellen und kommerziellen Sendern. Aber was den legalen Rahmen für den Sendebetrieb betrifft unterliegen wir den gleichen Gesetzen wie Puls 4 oder ATV.
Ist diese differenzierte Förderung nun eine verspätete und versteckte Art der Anerkennung für den tertiären Sektor?
In einem gewissen Sinne ist das natürlich eine Anerkennung. Immerhin hat man auf das Gesetz bestehen müssen. Es musste nämlich erst nach den wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen der EU freigegeben werden, weil eben auch kommerzielle Sender von dieser Förderung betroffen sind. Da war es uns vonseiten der nicht-kommerziellen Sender auch wichtig eine eigene Regelung zu bekommen. Es ist nach den Wettbewerbsbestimmungen aber auch unbedenklicher, wenn ein nicht-kommerzieller Sender gefördert und kein klassischer Konzernsender. So haben wir auch höhere Förderquoten für die freien Medien durchsetzen können. Das ist uns gemeinsam mit den Freien Radios ziemlich gut geglückt.
Freie Medien pendeln ja oft zwischen einer prinzipiellen Offenheit und einer klaren ideologischen Ausrichtung hin und her. Wie geht Okto mit diesem Spannungsfeld um?
Bei Okto haben wir uns sehr bemüht, uns nicht in ein ideologisches Eck stellen zu lassen. Was für uns rechts-philosophisch und im weitesten Sinne ideologisch verpflichtend ist, sind die Menschenrechte im Sinne der UN-Konvention und die Grundsätze einer freien Bürgergesellschaft, wo es ein Maximum an emanzipatorischen Anspruch gibt, wo sich der Bürger oder die Bürgerin auch artikulieren und frei bewegen kann. Diesen Anspruch haben wir und der ist auch in unserem Leitbild festgeschrieben. Wir decken aber mit diesen Grundfesten innerhalb des Programms ein ziemlich breites Spektrum ab. Wo vielleicht andere Sender eher einer Ideologie zuzuordnen sind, haben wir eine große Bandbreite. Uns ist wichtig, dass Themen angesprochen werden, die entweder auf eine spezifische Community zugeschnitten sind, oder etwas abbilden, das sonst in den Mainstreammedien nicht vorkommt. Das Ganze nennt sich dann komplementärer Programmauftrag.
Was, wenn eine der Communities die Grundsätze des Senders nicht beachtet?
Da gilt für uns die journalistische Sorgfaltspflicht. Wenn etwas ganz klar als persönliche Meinung ausgewiesen ist, lassen wir das natürlich schon zu. Aber das ist dann im Sinne eines Kommentars zu verstehen. Wir wollen ja, dass die Leute die Möglichkeit haben ihre Meinung zu äußern. Der Vorteil bei Okto ist der riesige Innenpluralismus, den wir mit unserem Programm haben. Das ist dann eine Position unter vielen. Wenn die dann journalistisch korrekt in der Sendung vermittelt wird, haben wir kein Problem damit.
Wie behält man bei einem so umfangreichen Programm dann eigentlich den Überblick?
Wir haben uns da von Anfang an sehr bemüht und der Erfolg hat uns Recht gegeben. Wir sind in ganz Europa einer der ganz wenigen partizipativen Sender, die wirklich 100 Prozent des Programms ansehen bevor es gesendet wird. Das machen wir gar nicht um eingreifen zu können. Wir wollen damit eher die Qualität des Programms verbessern. So können wir nämlich sehr viel Feedback geben – insbesondere für die ehrenamtlichen Produzenten und Produzentinnen. Das spiegelt sich dann in einem immer besseren Programm wider.
Diese Programmabnahme passiert durch Leute, die in allen möglichen Bereichen bei Okto angestellt sind, aber eine fernseh-spezifische Qualifikation haben. Sie sollen einen sehr engen Kontakt mit den Produzentinnen und Produzenten halten. Das heißt, wir nehmen hier bewusst sehr viele Ressourcen in die Hand. So ein Commitment ist nicht typisch: es gibt vor allem in Deutschland viele Sender, die aus der Tradition offener Kanäle kommen und ein anderes Selbstverständnis haben, weil den Betreibern dort rechtlich nicht so viel passieren kann. Die Produzentinnen und Produzenten, die dort Nutzerinnen und Nutzer heißen, tragen eigene Verantwortung für ihre Inhalte. Es gibt also eine hundertprozentige Haftungsabgrenzung. Das können wir in Österreich aufgrund des Privatfernsehgesetzes nicht machen. Im Endeffekt haften wir als Community TV-GmbH immer für alles, was gesendet wird. Aus dieser Logik heraus hat sich diese größere Nähe und der viel engere Kontakt mit der ehrenamtlichen Programmproduktion entwickelt.
Hat es bei der Abnahme der Sendungen schon einmal Ernstfälle gegeben, bei denen man hat eingreifen müssen?
Interessanterweise hat es im klassischen journalistischen Kontext noch nie so einen Ernstfall gegeben. Was aber oft gravierend ist, sind die Bildrechte. Man ist sehr stark mit dem Urheberrecht konfrontiert. Gerade Leute, die schon eine gewisse Erfahrung haben, neigen zu einem größeren Schlendrian, als die wirklichen Neulinge, die noch viel vorsichtiger mit dem Ganzen umgehen. Wir müssen laufend nachfragen ob bei Beträgen wirklich alle Rechte gesichert sind. Das wäre für Leute, die uns sowieso schon mit Argwohn anschauen und uns unseren Erfolg nicht gönnen, natürlich eine aufgelegte Geschichte um uns da irgendwelche Probleme zu machen.
Die Basis dafür, dass so ein Community-Sender läuft und alle journalistischen und urheberrechtlichen Vorgaben eingehalten werden, ist ja die Ausbildung…
…Selbstverständlich! Sie ist auch die Basis für unsere Finanzierung, die wir im Wesentlichen von der Stadt Wien erhalten. Wir sind also eine Einrichtung zur Vermittlung von Medienkompetenz. Bei uns ist die Weiterbildung deshalb auch gleich wichtig wie das Programm. Wir sind sehr zufrieden damit wie stark dieses Angebot genutzt wird – immerhin besuchen an die tausend Menschen jährlich unseren Basisworkshop, in dem wir die Basics der Fernsehproduktion in einem Crashkurs vermitteln. Wir nehmen hier bewusst Subventionen der Stadt Wien in die Hand um die Kursbeiträge zu stützen. So lernt man komprimiert die Gestaltung eines Fernsehbeitrags – und das um 40 Euro. Das gibt es in Österreich kein zweites Mal.
Freie Medien waren früher ja eher in der Anarcho-Ecke daheim…
…und jetzt ist es die Bobo-Ecke. (lacht)
…welches Image haben freie Medien heute?
Das muss man in einem regionalen Kontext sehen. Die partizipativen, nicht-kommerziellen Medien erfüllen in verschiedenen Ländern sehr unterschiedliche Rollen in der Gesellschaft. Wir hatten vor Kurzem Besuch von der Medienexpertin Cathy Edwards aus Kanada, die sich weltweit mit Freiem Fernsehen beschäftigt. Sie hat beobachtet, dass in Lateinamerika Community-Fernsehen etwas komplett anderes ist als in Deutschland oder bei ihnen in Kanada. Sie hat gemeint, dass von allem was sie weltweit gesehen hat, Okto die stärkste intellektuelle Prägung hat. Das hat uns natürlich sehr gefreut.Dadurch, dass sich der ORF da so stark zurücknimmt, hat sich im Bereich der heimischen Filmproduktion für uns ein Fenster aufgetan. Bei den Cineasten haben wir deshalb mit Oktoskop ein sehr gutes Image. Wir wollen da als Motor für den Nachwuchs in der österreichischen Filmproduktion fungieren und das ist natürlich auch image-prägend.Um so ein Angebot bieten zu können haben wir auch von Anfang an gesagt, dass wir einen Teil des Programms selbst produzieren wollen. Teilweise ist der Aufwand einfach so groß, dass das ehrenamtlich nicht mehr zu schaffen ist. Für eine Produktion wie Oktoskop müssen Filmrechte verhandelt werden, es muss kuratiert werden. Das ist aber zum Beispiel auch ein Vorteil gegenüber den freien Kanälen in Deutschland, die in ihren Möglichkeiten, was eigengestaltete Programme betrifft, extrem eingeschränkt sind.
Ein wichtiger Aspekt des tertiären Sektors, also der freien Medien, ist ein komplementäres Programm zum Angebot von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern zu bieten. Kann man dieses große und immer größer werdende Feld als Community-Sender wirklich abdecken?
Es ist schwierig das immer breiter werdende Spektrum abzudecken. Wir arbeiten deshalb sehr planerisch. Uns ist da der Kunst- und Kulturkontext sehr wichtig. Worauf wir aber besonders stolz sind, ist diese extrem hohe Akzeptanz, die wir als Fernsehmarke bei den migrantischen Communities haben. Und dafür werden wir zum Beispiel von Kolleginnen und Kollegen der freien Kanäle in Deutschland sehr beneidet. Was wir öfter zu hören kriegen, ist: Wie macht ihr das mit den Türken in Wien?Und natürlich sind wir als Sender eine Bereicherung für das Gesamtprogramm und erschaffen so eine erweiterte Vielfalt. Wo wir allerdings mit unserer Leistung noch nicht ganz zufrieden sind, ist die sprachliche Durchlässigkeit. Wir wollen in Zukunft mehr untertiteln, damit rein deutsch-sprechende Wiener und Wienerinnen auch inhaltlich an einer türkisch-sprachigen Sendung teilnehmen können – beziehungsweise soll die Verständlichkeit auch zwischen den Communities höher werden.Das betrifft natürlich auch den Programmaustausch mit anderen Ländern. Nicht umsonst funktioniert der sehr gut mit deutschsprachigen Sendern in Berlin und Hamburg und ist schwieriger zu organisieren mit unseren Partnersendern in Süd-Ost-Europa. Die vorhandenen Sprachbarrieren wollen wir in Zukunft vermehrt überwinden.
Wann kann man hier erste Sendungen erwarten?
Die gibt es jetzt schon, aber sie sind eben jedes Mal projektmäßig in sich abgeschlossen und mit irgendeiner Sonderfinanzierung ausgestattet. Wir hätten das viel lieber routinemäßig im Programm. Das ist im Moment unsere zentrale Herausforderung.
Früher waren partizipative Sender für Viele die einzige Möglichkeit sich an eine breite Öffentlichkeit zu wenden, heute gibt es dafür das Internet – welche Rolle kann da ein freier Sender überhaupt noch erfüllen?
Die Spezifität des Internets als globales Medium mit einem globalen Inhaltsangebot ist eine Stärke des Mediums aber es ist natürlich schwierig da etwas mit einem fokusierten, lokalen Bezug zu vermitteln. Und das ist die Stärke eines lokalen oder regionalen Fernsehprogramms wie Okto. Es gibt zwar das Bekenntnis über den Tellerrand zu blicken, aber wir haben auch sehr stark das Selbstverständnis ein Wiener Alternativfernsehen zu sein. Wir sind in der Stadt daheim und das ist unsere inhaltliche Kernkompetenz. Natürlich nehmen wir sehr viel von rundherum mit dazu, aber im Endeffekt nur um das besser reflektieren zu können, was diese Stadt bietet und was sie ausmacht.