Freiräume, Macher und Piraten

Zürich hat im Verhältnis zur Fläche der Stadt und deren Bevölkerung die größte Clubdichte aller europäischen Städte. Behaupten Tourismusverein und Stadtmarketing einfach mal. Berlin, London und Paris wenden dagegen nichts ein. Aber was genau unterscheidet die größte Stadt der Schweiz von Wien und deren Clublandschaft?

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Zürich hat halb so viele Einwohner wie Wien. So betrachtet kein schlechter Ausgangspunkt, um die Städte in Sachen Clubkultur zu vergleichen. Da wie dort wird gerne und ausgiebig gefeiert. Aber es gibt da so einige Unterschiede. In Zürich gilt etwa keine Sperrstunde. Das ermöglicht es den Veranstaltern, einen größeren Bogen von der Nacht bis in den darauffolgenden Tag zu spannen. »Wir können die Party sozusagen zu Ende bringen. In Wien wird womöglich im besten Moment der Stecker gezogen. Was natürlich auch Vorteile haben kann, die Vorfreude aufs nächste Mal wird größer sein«, so Billy Bildstein, der seit fünf Jahren in Zürich zuerst in der Härterei und seit zwei Jahren in der Alten Börse seine Cityfox-Partys veranstaltet.

»In Zürich kann eine Party auch mal zu lange gehen, man verpasst dann den richtigen Zeitpunkt, um Schluss zu machen. Es ist oft schwierig, sich selber Grenzen zu setzen, darum gibt es ja auch solche Gesetze.« Wien, so kommt es ihm vor, ist noch nicht so verbraucht, speziell wenn es um die Offenheit und die Durchmischung der Szenen geht.

Diese Frische bedeutet, dass Wien noch lange nicht gesättigt ist, aber im gleichen Zug auch, dass noch einige Entwicklungen ausstehen. Strukturen sind noch weniger etabliert, es gibt Freiräume, Arbeitsschritte könnten schlanker werden, kreative Köpfe haben die Möglichkeit, die Szene mitzugestalten und sie zu modellieren. Oft ist das aber nicht gerade der dankbarste und lukrativste Job der Welt. Billy Bildstein: »Hier in Zürich wiederum besteht die Herausforderung darin, das bestehende Level ständig zu erhöhen, oder mindestens die vorhandene Qualität zu halten. Die Clubdichte im Verhältnis zur Größe der Stadt und deren Bevölkerung ist die größte weltweit. Oft entsteht dadurch ein massives Überangebot. Die Clubs haben hier alle eine solide Programmation und werden professionell geführt. Die Kehrseite ist, dass es nicht mehr viele Freiräume gibt, um neue Locations zu entdecken und dort Clubkonzepte umzusetzen«.

Zwar beschwerte sich ein winzige Facebook-Gruppe Ende 2010 über überfüllte Clubs durch mehrere Schließungen. Doch Alex Dallas sagt im Interview, dass allein 2011 fünf neue Locations in Zürich eröffnet haben. Er war selbst an der Dachkantine beteiligt, einem Monument der Schweizer Clubkultur. Mittlerweile ko-organisiert er den Club Zukunft und ist einer der beiden Labelchefs von Drumpoet Community – ein Label, das auch in einem mehrseitigen Feature des Techno-Leitmediums porträtiert wurde. Akuten Platzmangel gibt es in Wien dagegen noch nicht, doch langsam kommt in die Kaffeehausgemütlichkeit ein wenig Pepp.

Schweizer Vollkosten-Deal

Einer der größten Unterschiede zwischen Wien und Zürich: In Zürich teilen sich Partymacher und die Clubbesitzer alle Kosten. »Ich finde den Deal in Wien nicht sehr attraktiv und fair dem Veranstalter gegenüber«, so Bildstein von Cityfox. So ähnlich sieht das auch Drumpoet Alex Dallas: »Ja das ist in Zürich, zumindest in vielen der Underground-Clubs, üblich, dass die Veranstalter am gesamten Erfolg aber auch am Verlust beteiligt sind«. In Wien tut eine lange Gästeliste den Partymachern weh, während die Locationbetreiber sich über höhere Einnahmen an der Bar freuen können. Denn die Veranstalter bekommen hier lediglich den Eintritt, den zwar voll und ganz, müssen davon aber DJs, Flüge, Promotion, Flyer, Miete, Visuals, Catering und Dekoration zahlen.

In Zürich ist es üblich, einen sogenannten Vollkosten-Deal zu haben. Der variiert natürlich, mal sind es etwas mehr oder mal weniger Prozent, aber die Basis ist immer dieselbe. Man nimmt alle Kosten, die eine Veranstaltung verursacht und wirft sie in einen Topf. In denselben Topf kommen dann alle Einnahmen wie Eintritt, Bar und Garderobe – in manchen Fällen auch Sponsoring, was allerdings in den nicht so kommerziellen Clubs kaum der Fall ist. All das wird je nach Deal aufgeteilt. Abgaben wie Vergnügungssteuer, Abfuhr an die AKM und Ausländersteuer (ja, die heißt so und ob sie EU-konform ist, weiß niemand so genau) kommen in Wien noch dazu oder werden in eine höhere Miete reingerechnet und machen den Veranstaltern in Wien das Leben in der Nacht schwer. In Zürich gibt es das so nicht. Alex Dallas: »Die Urheberschutzgesellschaft Suisa verlangt eine sehr kleine Gebühr für die Ausstrahlung von Musik, ansonsten gibt es noch die Mehrwertsteuer, aber keine Veranstaltersteuer in dem Sinne.«

In Wien feiert man gerne auch nach der Sperrstunde weiter. Oft im Bereich zwischen legal und illegal, in Hinterzimmern von dubiosen Bars oder im Sommer unter Autobahnbrücken und nicht unmittelbar einsehbaren Grünanlagen. Der Drang ist groß, der Wille nach Hause zu gehen quasi nicht existent. »Die Afterhour-Kultur in Zürich hatte ihren Höhepunkt zu Zeiten der vorher erwähnten Dachkantine. Da gab es jedes Wochenende zahlreiche illegale Partys oder einfach kleinere Afterhours bei jemand zu Hause. Teilweise einfach, um die Zeit zur nächsten Party in einem Club zu überbrücken.

Heute ist es nicht mehr so üblich, schon alleine darum, weil hier jeder arbeitet und am Montag morgen seinen Job nicht verlieren will. Heute ist es trotz nicht vorhandener Sperrstunde selten, dass reguläre Veranstaltungen länger wie bis acht Uhr morgens gehen. Womit das zu tun hat, ist schwierig zu beantworten. Die neue Generation der Clubgänger feiern lieber kurz und intensiv, der Drogenkonsum an sich hat sich sicherlich auch geändert«, so Billy Bildstein.

In einem sind sich alle einig. Es braucht Menschen, die Dinge in die Hand nehmen und etwas oder jemanden bewegen wollen. Auf die Frage, was eine Großstadt braucht, damit eine vernünftige Clublandschaft entstehen kann, antwortet Dallas: »Viele enthusiastische und motivierte Macher, gute DJs aus verschiedenen Genres und, am wichtigsten, Menschen, die gerne tanzen!« Bildstein formuliert es noch ein wenig konkreter: »Freiräume, Freiheit, Interesse, Toleranz, Macher und Piraten«. Diese lassen sich auch in Wien finden und wenn sie sich durch Amtsschimmel, Parteienmeierei und diffusen Kleingeistigkeiten nicht entmutigen lassen, kann und wird eine florierende Clublandschaft entstehen samt qualitativem Output.

Differenzen zwischen Wien und Zürich gibt es noch einige, doch sind diese nicht so drastisch wie vielleicht anfänglich angenommen. Bis der Easyjet-Tourismus nach Wien einsetzt, dauert es sicher noch ein Weilchen. Die Frage ist nur, ob wir das überhaupt wollen.

Das vollständige Interview mit Billy Bildstein von Cityfox nachzulesen unter https://thegap.atwienerclubkultur

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