Wird dank Trump, Brexit oder FPÖ in der öffentlichen Debatte heute mehr gelogen als früher? Jein. Die Änderungen sind tiefgreifender: Technische Entwicklungen nagen am Fundament dessen, was wir unter einem »Fakt« verstehen.
Wer checkt die Faktenchecker?
Als vermeintliche Antwort auf das postfaktische Zeitalter geistert vermehrt der »Faktencheck« durch die Diskussion. Das ist natürlich erstmal etwas Positives. Check, Re-Check und Double-Check sind zentrale Elemente des journalistischen Arbeitens. Nur dadurch unterscheidet sich der Journalist vom Schreiber, vom Autor, vom Texter. Aber der Faktencheck hat sich zu einem eigenständigen Format entwickelt, das hinterfragt werden darf und muss.
Das Problem am Factchecking: Es dampft den komplizierten, langwierigen journalistischen Prozess, der meistens eben auch nur eine Annäherung an »so etwas wie Wahrheit« ist, auf klar abgrenzbare Einheiten hinunter. Etwas ist richtig oder falsch, eine Aussage bekommt 3 von 4 »Pinocchios«, Donald Trump lügt in 73% der Fälle. Das suggeriert eine Exaktheit, die Journalismus kaum liefern kann. Weil Wahrheit auch oft kein binärer Wert ist, sondern Einordnung bedarf, Unschärfe zulassen muss. Der Satz »Christian Kern hat nichts getan, um die Anschläge des 11. Septembers zu verhindern« ist, ohne dem Bundeskanzler zu nahe treten zu wollen, höchstwahrscheinlich richtig. Aber was nutzt diese Erkenntnis ohne Kontext?
Es ist noch nicht bei jedem Twitteraccount angekommen, aber Journalisten müssen sich selbst als fehlbare Wesen wahrnehmen. Journalismus muss klar sagen, was er nicht kann. Und daran scheitern die Faktenchecker oft. Gerade bei Vergleichen der Ehrlichkeit von Politikern tun sie gerne objektiv und nehmen sich selbst aus der Gleichung. Das ist Blödsinn. Die Auswahl, welche Aussagen überprüft werden und welche nicht, ist eine genuin journalistische, bietet massig Einflussmöglichkeiten und ist alles andere als sakrosankt. Darüber hinaus stellt sich natürlich sofort eine einfache Frage: Wer checkt die Faktenchecker? Vor einigen Monaten entlarvte ein Projekt der Kölner Journalimusschule die AfD-Chefin Frauke Petry als die Politikerin, die in deutschen Talkformaten am meisten unwahre Aussagen, aka Lügen, verbreiten würde. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schaute sich diese Studie an und fand zahlreiche zumindest hoch strittige, wenn nicht gar falsche Punkte. Und würde man Niggemeiers Ergebnisse überprüfen, fände man eventuell wiederum Fehler. Es ist also gut und notwendig, die Aussagen und Zahlen in der politische Debatte einer Prüfung zu unterziehen. Gerade bei einem Kandidaten wie Trump. Aber auch ein Faktencheck ist eine potenziell fehlbare journalistische Arbeit. Er kann nicht das Allheilmittel sein, als das er aktuell manchmal verkauft wird.
Gegen die Gerüchte
Es gibt allerdings einen Bereich, in dem der Faktencheck heute wirklich etwas verändern kann: die Netzgerüchte. Seiten wie mimikama.at bemühen sich, Wahrheit hinter das Gerede von Vergewaltigungen durch Flüchtlinge bis hin zu Facebook-Nutzungsbedingungen zu bringen. Bei Onlinemedien wie Vice ist das Format mittlerweile ebenfalls angekommen. Auch klassische Medien überprüfen natürlich Gerüchte, machen dabei aber häufig den Fehler, negative Recherchen für »koa Geschicht« zu halten, um den falschen Gerüchten keinen Raum zu bieten.
Diese Denkweise stammt aus einer Zeit, in der Medien noch Gatekeeper waren. Das sind sie heute nicht mehr, weil man dafür nicht nur Dinge durchlassen, sondern auch zurückhalten können muss. Das kann heute niemand mehr. Wenn ich meine Geschichte früher in keinem Medium untergebracht bekam, war sie tot. Heute kann ich sie in 30 Minuten auf meinem Blog und in 30 Sekunden auf Facebook haben. Medien können nur noch die Informationen auf ihrer Webseite steuern, nicht mehr die öffentliche Debatte. Wer das zu laut bejammert, sollte bitte nicht vergessen, dass man damit früher durchaus viel nicht demokratisch legitimierte Macht in die Hände von Redakteuren (Frauen nicht mitgemeint) mit dritter Ehe und Alkoholproblemen gelegt hat. Und die gingen damit nicht immer gut um. Die Information, dass sich der deutsche Bundespräsidenten Heinrich Lübke in den 60er Jahren auf einem Afrikabesuch eine Rede mit den Worten »Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Neger« begonnen habe, hält sich hartnäckig. Das Problem: Es ist eine Erfindung von Spiegel-Redakteuren, die Lübke schlicht nicht mochten.
Wenn Medien Gerüchte schon nicht verhindern können, können sie sie wenigstens überprüfen. »Journalisten müssen die Gerüchte publizistisch begleiten«, sagt Hausjell. Das sei vor allem bei Themen wie Flüchtlingskriminalität wichtig. »Wenn Menschen bei Themen wenig Primärerfahrungen haben, sind sie sehr anfällig für Bilder und Informationen, die über Freunde und Bekannte kommen.« Dieses Phänomen käme auch in sozialen Netzwerken zum Tragen. Wenn ein Facebook-Freund einen Bullshit-Link teilt, profitiert dieser Link von meinem Vertrauen der menschlichen Quelle gegenüber.
Die Flagge der Vernunft
Der technische Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, geschweige denn zurückdrehen. Es wird weiter gegoogelt werden. Twitter wird weiterhin ein Hort der aufgeregten Meinung bleiben. Facebook wird auch in Zukunft die Dummen dümmer und die Klugen klüger machen.
Vorausgesetzt, die These vom postfaktischen Zeitalter stimmt – das heißt nicht, dass nicht jeder im Kleinen Taten setzen kann, um die Flagge der Vernunft hochzuhalten. Es geht darum, Denkprozesse in Gang setzen. Man könnte Menschen, anstatt sie für ihre Ängste zu verachten, auffordern, diese zu überprüfen. Man könnte Quellenkritik im Großen (hier ist vor allem das Schulsystem gefragt) fordern, aber auch im Kleinen leben. Zum Beispiel den Facebook-Freund, der einen zwielichtigen Blog postet, fragen, ob er das für eine glaubwürdige Quelle hält. Und selber nur glaubwürdige Quellen posten.
Vor allem aber kann man die zunehmende Bedeutung von Gefühlen, Meinungen und Ahnungen in Debatten zurückweisen. Gerade dann, wenn diese einem selbst helfen würden. Denn Gefühle, Meinungen und Ahnungen haben ihre Berechtigung und sind gelegentlich hilfreich. Aber Fakten sind sie keine.
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