Ein bisschen was von allem: Das ist die Antwort auf die titelgebende Frage von »Magma – Was willst du sehen?«. Denn in der Tat waren alle fünf Stückentwürfe der jungen Theaterschaffenden sehenswert, die am 10. Februar im Dschungel Wien erstmals den Blicken des Publikums preisgegeben wurden.
In Zeiten, in denen die Aufmerksamkeitsspanne nicht selten der Dauer eines Tik-Toks entspricht, scheint es nur konsequent, kürzere Inszenierungen auf die Bühne zu bringen. So wie auch letzten Samstag im Dschungel Wien. Da erlebte das Nachwuchs-Projekt Magma seinen vorläufigen Höhepunkt.
»Magma«, so heißt das neue Format für Nachwuchskünstler*innen, das der Dschungel Wien in Kooperation mit Drama Forum ins Leben gerufen hat. Ziel von »Magma« ist es, junge Theatermacher*innen zusammenzuführen und ihnen eine Bühne zu geben. Diese Bühne wurde am Samstag jede Sekunde genutzt.
Im Laufe eines halben Jahres führten die jungen Erwachsenen – unterstützt von erfahrenen Mentor*innen – ihre Theaterprojekte vom Konzept bis zur Umsetzung. Die Ergebnisse wurden am 10. Februar auf zwei Bühnen des Dschungel Wiens präsentiert. Das Publikum hatte im Anschluss die Möglichkeit gemeinsam mit einer ausgewählten Jury zu entscheiden, welche Inszenierung nächste Spielzeit auf die Bühne des Dschungels kommen soll.
Im 15-Minuten-Takt wurden die fünf kurzen Performances (drei in der Kategorie Kinder, zwei für die Jugend-Kategorie) auf zwei Bühnen des Dschungels gebracht. Der Andrang war groß, alle Plätze besetzt. Und: der Jubel laut. Nach jedem Stückeausschnitt kam im Publikumsgespräch mindestens einmal die Meldung, dass man sich freuen würde, mehr von der Inszenierung zu sehen.
(Schach-)regeln brechen?
Im ersten Stückentwurf, dem lustig-komischen »Schachkomplex«, kreist die Performance um das Leben von Schachfiguren und die plötzliche Abwesenheit des Königs. Sein Fehlen wird humorvoll anhand eines dunkel verhüllten Stuhls gezeigt, auf welchem eine Krone thront.
Vier Schachfiguren des schwarzen Teams – Turm (Marie-Theres Auer; auch für den Text verantwortlich), Springer (Rebekka Pichler; Choreographie), Läufer (Ivan Strelkin; Regie) und Dame (Pooneh Mojtaba; Bühne) – stehen plötzlich vor der Aufgabe, Autorität zu übernehmen. Jetzt heißt es: wie damit umgehen? Und was geschieht, wenn man sich nicht mehr an die Regeln hält?
Die Inszenierung nähert sich elegant der Frage, was mit Autorität passiert, wenn man sie überschreitet. Einzig bei der Altersgrenze (ab 6 Jahren) kann noch ein bisschen gebastelt werden, ist das Thema vielleicht doch etwas zu vielschichtig für ein so junges Publikum.
An der schönen blauen …
In der wohl für junges Publikum zugänglichsten Geschichte des Abends »Donaustadt« bezieht sich die zweite Perfomance auf den »Donauweibchen«-Brunnen im Wiener Stadtpark. Die Titelfigur (gespielt von Stefanie Altenhofer) lebt und schwimmt in der Donau und erzählt gurgelnd von Frieda Fischer (Sarah Zelt), die im Gegensatz zum Donauweibchen menschlich ist und sich mit der Wissenschaft der Unterwasserwelt auseinandersetzt.
Das Bühnenbild ist schlicht, aber liebevoll gestaltet, blaue puppenhausartige Modelle sind auf der Bühne zu sehen. Diese werden per Handykamera auf die große Leinwand projiziert und näher betrachtet. Die Zuschauenden erleben live den Alltag kleiner Unterwasserwesen, Unterwasser-Club inklusive. Eine ästhetische Verschränkung einer Wiener Sage im modernen Kleid mit der Gegenwart.
Rage unter Plastikpalmen
Mit Sprachbildern arbeitet die dritte und letzte Gruppe der Kategorie für Familien und Kinder. Hier dreht sich alles um das Thema Wut. »Auf der Palme« zeigt auf kreative Art die körperlichen Ausdrucksformen des Ärgers im starken Farbkontrast zwischen Grün, Orange und Gelb. Titelgebend ist die erste Szene, in welcher eine Person auf einer »Insel« liegt, deren zuvor noch schlaffe Palme mit einem lauten Gerät aufgeblasen wird. Was – verständlicherweise – folgt: ein Wutausbruch.
Die sieben Schauspielerinnen (Bianca Bauer, Flora Besenbäck, Janina Lenauer, Nadine Mathis, Naima Rabinowich, Jana Resetarits, Viviane Tanzmeister), die auch das Konzept, die Bühne und den Text entwickelt haben, nähern sich dem Gefühl auf performative Weise – schreien, stampfen, die Wand hochklettern – und zeigen, was passiert, wenn man buchstäblich »aus der Haut fährt«. Die Macherinnen stellen ihre bildlichen Assoziationen gekonnt dar, dabei wird jede Sekunde der fünfzehn Minuten genutzt, um zu zeigen: Wut!!!
Am Ende des Stückentwurfs werden »Erholung und Entspannung« skandiert. Fast ein wenig zu schnell, wenn man bedenkt, dass kurz davor noch das Publikum angeschrien wurde.
Turnen ab 18
Sex als »Turnen« oder »komische Geräusche«: In leichter Jugendsprache verpackt eröffnet sich in »Zunder« für Tom (Marko Jovanović) und Rika (Selina Rudlof) die Welt der Pornographie – und leitet damit den zweiten Teil des Abends für die Performances ein, die für Jugendliche konzipiert wurden.
Geht es zunächst um belanglose Themen wie die Matheschularbeit, nimmt das Gespräch zwischen den beiden Jugendlichen einen jähen Turn. Plötzlich steht das Handy im Mittelpunkt, das Tom vom Flohmarkt bekommen hat und in dem keine Kindersicherung installiert ist. Tom und Rika sehen zum ersten Mal Dinge, die sie nicht wirklich benennen können, die Fragen bleiben auch nach dem Ausschalten des Handys im Raum. Der gut gesetzte Cliffhanger macht Lust auf mehr, die fein gezeichnete Darstellung der Sprachlosigkeit, die sowohl Kinder als auch deren Eltern anspricht, wenn das Thema der Sexualität (im Internet) auf den Tisch kommt, hat großes Potenzial, sowohl Jung und Alt in der nächsten Spielzeit zu überzeugen.
A day in the life in der Unterwelt
Als »neue, feministische Annäherung« an die bekannte griechische Sage titulieren die Macher*innen beim Publikumsgespräch den Stückentwurf und man kann sagen: es gelingt.
In der abschließenden Performance von »Magma« wird der griechische Mythos rund um Orpheus und Eurydike als »Eurydike & Persephone« aus einer neuen Perspektive aufgerollt. In der Unterwelt treffen diese beiden Frauen aufeinander: Eurydike, frisch wegen einem Schlangenbiss verstorben und mit festem Willen, nicht im Hades zu bleiben. Und Persephone, die ihr Leben im Hades und ihre Ehe mit dem Gott der Unterwelt bereits akzeptiert zu haben scheint. Die beiden Frauen lernen sich kennen und emanzipieren sich von ihren Lebensrealitäten in Form eines Ausbruchs.
Orpheus versucht währenddessen mithilfe von Social Media, seine Frau Eurydike zurückzuholen. Der Twist, den die sozialen Medien in die altbekannte Erzählung bringt, geht auf, der digitale Hilfeschrei des Orpheus entblößt ihn als selbstinszenierenden Trauernden. Ein durch und durch gelungenes Konzept, das schamlos ein Bild der modernen Realität entwirft.
Nur Gewinner*innen
Das war also »Magma« 2024. Mit viel Witz und Potenzial haben die jungen Erwachsenen den Zuschauer*innen einen unvergesslichen Abend beschert. Welches der Stücke es wohl in die neue Spielzeit schaffen wird? Alle hätten es verdient.
»Magma – Was willst du sehen?« war ein Theaterprojekt für Jugendliche im Dschungel Wien in Kooperation mit Drama Forum. Die fünf Stückentwürfe waren am 10. Februar erstmals zu sehen. Weitere Aufführungen sind bislang noch nicht bekannt.
Dieser Text ist im Rahmen eines Schreibstipendiums in Kooperation mit dem Dschungel Wien entstanden.