Verstrickt und losgelöst – »Blutbuch« im Theater am Werk

Im Wettlauf um die österreichischen Erstaufführung von Kim de l’Horizons »Blutbuch« hat das Theater am Werk / Kabelwerk die Nase vorn und gießt den autofiktionaler Roman in eine dreistündige Fassung für das Wiener Publikum.

© Victoria Nazarova

Wie ein Stück inszenieren, bei dem sich die Premieren an den deutschsprachigen Bühnen gerade überschlagen? Regisseur Paul Spittler orientiert sich nah am Originaltext, der 2022 mit dem Deutschen Buchpreis geadelt wurde, und legt dabei den Fokus auf die dichte, poetische Sprache de l’Horizons, die auch in der Bühnenform authentisch bleibt.

Im Mittelpunkt stehen fünf Versionen derselben nicht-binären Person Kim, die mit der Demenz der eigenen Großmutter, konfrontiert ist. Nach und nach werden die fünf Teile des Romans in Form einer szenischen Lesung erzählt, die Schauspieler*innen (Jasmin Avissar, Jchj V. Dussel, Harwin Kravitz, Moritz Sauer und Lara Sienczak) sind abwechselnd Klein-Kim, Meer (die Mutter), Liebschaften oder die titelgebende Blutbuche.

»Blutbuch« (Foto: Victoria Nazarova)

Sex, Decken, Tüll

Wo Worte fehlen, sprechen Körper. Respektvoll nähert sich Spittlers Inszenierung im einfach gehaltenen Bühnenbild – die Wände in Holzoptik, im Raum ein betonartiger Klotz – der Thematik der Geschlechterzuschreibung und reflektiert über das Mann- und Frausein sowie den eigenen Körper.

Mitten in der Inszenierung erscheint ein breiter, gestrickter Streifen aus roter Wolle, der sich anschließend wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht. Dieser wird in der Folge weitergestrickt und aufgelöst, genauso wie die Beziehungen des*der Protagonist*in mit ihren Lebensabschnittspartner*innen. Zwischen den Fäden finden sich queerer Sex, Decken, viel Tüll und gar ein kurzer botanischer Exkurs zur Blutbuche.

Die Darsteller*innen, die aus unterschiedlichen Disziplinen wie Literatur und Tanz kommen, verkörpern mit Bravour die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und den rohen, schmerzhaften Prozess der Aufarbeitung einer Familiengeschichte. Im Kern dreht sich hier alles um die Frage: Wer bin ich eigentlich? Darauf gibt es in »Blutbuch« zwar keine schnelle Antwort, die authentische Auseinandersetzung mit der Vielschichtigkeit dieser Thematik ist aber allemal einen Theaterbesuch wert – sowohl für eingefleischte »Blutbuch«-Fans als auch für alle, die es werden wollen.

»Blutbuch« (Foto: Victoria Nazarova)

Die Premiere von »Blutbuch« fand am 26. April 2024 statt. Die Inszenierung läuft noch bis 7. Mai im Theater am Werk / Kabelwerk.

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