Kink und BDSM werden gerne als Praktiken missverstanden, in denen sich alles um Sex und Dominanz dreht. Wer einen der queeren Rope Jams in Wien besucht, wird jedoch schnell feststellen, dass etwas ganz anderes im Zentrum steht: Consent und gelebte Identität.
Körper und Geist lasse ich fallen; eine tiefe innere Ruhe breitet sich aus; jede physische Sensation spüre ich intensiviert: So nehme ich meine ersten Erfahrungen mit Fesseln wahr. Schon davor habe ich neugierig zugehört, als mir von sogenannten Rope Jams erzählt wurde. Aber es selbst zu erleben, ist dann doch etwas ganz anderes. Bei Rope Jams kommen interessierte Menschen mehr oder weniger regelmäßig zusammen, um sich gegenseitig zu fesseln. Es sind Community-Treffen, bei denen man den Umgang mit Seilen lernt, bei denen aber oft auch gemeinsam gegessen und geplaudert wird.
Das steht im Kontrast zu Mainstream-Erzählungen von BDSM/Kink wie etwa in »50 Shades of Grey«. Auch wenn solche Darstellungen vonseiten der Kink-Community heftig kritisiert werden, prägen sie vermutlich die Vorstellung der meisten Menschen: »Es herrscht die Vorstellung, Kink mache man, um dann Sex zu haben«, stellt Johanna, selbst seit zwei Jahren Mitglied der Szene, fest. BDSM steht für bondage and discipline, dominance and submission, sadism and masochism. Kink umfasst hingegen zumeist auch Dinge wie Fetische, Role Play oder Pet Play und wird somit manchmal als größerer Überbegriff verwendet.
Es gibt aber auch andere Wahrnehmungen wie Elia, ebenfalls ein erfahrener Teil der Kink-Community, erklärt: »Kink ist für mich feminisierter, eine queere, sex-positive Variante von BDSM, die mehr mit Spaß und Spielerei arbeitet.« Allerdings ist Kink auch ein etwas schwammigerer Begriff, der häufig einfach ident mit BDSM verwendet wird. Fest steht, dass Kink für viele Menschen Teil der eigenen Identität ist – genauso wie Gender oder Sexualität. Gewisse Kink-Communitys ermöglichen gar ein Spielen mit der eigenen Sexualität und dem eigenen Gender: Man kann sein, wie man ist; man kann sich selbst kennenlernen. Kink kann für jede Person etwas Unterschiedliches bedeuten.
Consent als Fundament
In der Variante von Kink, die ich kennengelernt habe, fußt alles letzten Endes auf Consent und einem individuell festgesetzten Rahmen, innerhalb dessen verschiedene Fantasien ausgelebt werden können. Anerkannte Frameworks für den konsensualen Ablauf sind unter anderem SSC (safe, sane, consensual) oder RACK (risk aware consensual kink). Ein Ampelsystem – von Grün (»Es passt alles!«) über Gelb (»Achtung, da ist ein Limit!«) bis Rot (»Alles stopp!«) – kann dabei helfen, gewisse Grenzen zu kommunizieren. Solche Leitbegriffe passen nicht in das weit verbreitete Bild von Kink, das von starken Machtungleichheiten und gefährlichen sexuellen Begegnungen geprägt ist.
Dieser bewusste Umgang mit Consent ermöglicht zudem ein vielschichtiges Verständnis: Ein »Ja« ist nicht immer ein flächendeckendes Einverständnis, hingegen will ein »Nein« manchmal auch gebrochen werden. Consent muss im Vorhinein auf vielen Ebenen ausverhandelt werden, damit Fantasien in einem gegenseitig ausgemachten Rahmen ausgespielt werden können. Offene Gespräche über das momentane Befinden, eigene Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen sind zentral. So können beispielsweise vergangene Ereignisse, in denen eine Person keine Kontrolle gehabt hat, mit Safe Words in einem sichereren Kontext rekonstruiert werden. Ein Wiedererleben das ermächtigend wirken kann.
Begegnungsräume schaffen
All das hat bislang noch nicht zwangsläufig etwas mit Sex zu tun. Doch warum sind Kink und Sex im allgemeinen Bewusstsein so eng miteinander verbunden? Muss Kink automatisch immer zu Sex führen? Nein, denn Kink eröffnet ein viel breiteres Spektrum an lustvollen Erfahrungen, bei denen der Fokus abseits von Genitalien oder penetrativem Sex liegt. Sexualität kann Kink erweitern – oder auch umgekehrt. Aber das ist nicht notwendigerweise der Fall. Allerlei mögliche Sensationen und Fantasien können hier erlebt werden. Als Person, die sich selbst auf dem asexuellen Spektrum sieht, hat mich besonders entsexualisierter Kink interessiert. Bei den Rope Jams, die ich besucht habe, konnte ich Kink losgelöst von Sexualität begegnen.
Die Methoden des Fesselns, die dort praktiziert werden, stammen aus einer Fusion von Shibari / Kinbaku und Western Bondage. Shibari (bzw. das enger mit Erotik in Verbindung gebrachte Kinbaku) sind Bezeichnungen für eine japanische Fesselkunst, die unter anderem einst in den dortigen Vergnügungsvierteln praktiziert wurde und hierzulande leider häufig durch eine exotisierende Linse betrachtet wird. Bei den Rope Jams verbinden sich gewisse Techniken dieser Tradition mit Knoten aus dem Western Bondage und ermöglichen dabei unzählige unterschiedliche Arten, mit dem Seil zu arbeiten.
Die so entstehende Fesseltechnik hat eine kunstvolle Ästhetik. Die Vielzahl an Knoten will gut gelernt und geübt sein, insbesondere wenn es um Hängefesselungen geht, bei denen eine Person durch Seile an einen Balken oder Ring gebunden in der Luft schwebt. Hier ist Sicherheit enorm wichtig. Manche Rope Tops – fesselnde Personen – experimentieren ständig, welche neuen Reaktionen sie bei ihren Modellen bzw. Rope Bottoms – gefesselte Personen – hervorbringen können. Erfahrene Rope Tops können mit einer Fesselung eine vollständige Geschichte samt eigenem Spannungsbogen erzählen. Dabei entwickelt sich eine ganz spezielle Nähe: »Es geht um das emotionale Erleben mit der anderen Person«, so Elia.
Den Kopf abstellen müssen
Die Rope Tops übernehmen sehr viel Verantwortung, unter anderem für die Sicherheit ihrer Rope Bottoms. Die Kontrolle liegt aber zunächst bei der gefesselten Person, die die Fesselung jederzeit beenden kann – abgesehen von Situationen, in denen im Vorhinein abgemacht wurde, dass genau diese Kontrolle abgegeben wird. Die Gründe und Motivationen der beteiligten Menschen sind unterschiedlich und reichen von Ästhetik und Kreativität über Kontrolle und Neugierde bis hin zum Handwerklichen und Emotionalen: »In meinem Kopf ist da dieser Fight zwischen Effektivität, Sicherheit und dass es schön aussieht«, meint Elia. »Und oft widersprechen diese Kriterien einander.«
Als Rope Bottom habe ich die Erfahrung gemacht, komplett die Verantwortung abgeben zu können – ja fast schon zu müssen. Eingeschränkt in meinen Bewegungen, konnte ich gar nicht anders, als mich nur auf mich selbst zu konzentrieren, meinen Körper zu spüren und mich fallen zu lassen. Für viele ist Bondage eine kathartische, emotionale und physisch stimulierende Sensation. Die Seile können wehtun, in das eigene Fleisch einschneiden, aber auch sanft über die Haut gleiten. Es kann physischer Kontakt zwischen Rope Tops und Bottoms entstehen, der zu diesen körperlichen Eindrücken beiträgt. Gleichzeitig kann die Zeit in den Seilen eine sehr emotionale sein, bei der innerste Gefühle hochkommen. Dieses Sich-selbst-Spüren kann mitunter äußerst meditativ und in gewisser Weise therapeutisch wirken.
Queer-feministischer Kink
Von feministischer Seite gibt es immer wieder Kritik an der Kink-Szene, wie auch Johanna ausführt: »Es gibt Feminismen, die das sehr kritisieren, die sagen, das sei ja wieder nur ein weiteres Beispiel davon, wie sich das Patriarchat auf Sexualität auswirkt.« Diese Wahrnehmung ignoriert jedoch das gegenseitige Einvernehmen, das den konstruierten Situationen vorausgeht. Außerdem scheinen besonders in der queeren Kink-Szene normative Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität fast schon selbstverständlich subvertiert zu werden. Von Heteronormativität ist dort kaum etwas zu spüren. Doch obwohl meine Erfahrungen mit Rope Jams höchst queer geprägt waren, ist das nur eine Seite der Kink-Community in Wien. Nicht alle Kink- oder BDSM-Gruppen leben die gleiche Offenheit, den bewussten Fokus auf Consent und die Subversion festgefahrener Geschlechterrollen.
Um Einblicke hinter die Kulissen zu gewinnen, habe ich mich mit Astrid und Benji vom Verein Crucible zusammengesetzt. Laut Benji sei die Hauptmotivation für den Verein gewesen, »einen dezidiert kinkpositiven BDSM-Space mit einem sexpositiven Zugang und einem queer-feministischen Werteanspruch zu vereinen«. Für die beiden biete das Crucible nun seit ungefähr eineinhalb Jahren einen undogmatischen Safe(r) Space für authentische, zwischenmenschliche Begegnungen und Interaktionen. Dabei liege ihre Aufmerksamkeit auf den verschiedenen Schnittstellen, die Kink haben kann, unter anderem mit Traumata, Neurodivergenz und Queerness. Das Crucible ermögliche einen niederschwelligen Zugang zu Kink in verschiedenen Facetten. Kink werde nicht mit Sex gleichgesetzt, wie es in manchen Communitys passiere. »Kink ist alles, was nicht Vanilla ist«, stellt Benji die Bandbreite dar. »Kink ist ein ›All-You-Can-Eat-Buffet‹, man kann hingehen mit seinem Teller, der Teller kann so groß sein, wie man möchte, und man kann sich bedienen, wie man möchte.« So gut wie alles könne Kink sein. Es gehe um einen bewussten Umgang mit eigenen Bedürfnissen, die anderen mitgeteilt werden können.
Neben den Rope Jams gibt es bei Crucible auch Themenpartys, Workshops zu Consent, und Neon-Code-Playpartys, bei denen über verschiedenfarbige Armbänder nonverbal kommuniziert werden kann, wonach Personen suchen. »Die Zugänge zu Kink und der dazugehörigen Community waren früher anders und nicht immer so niederschwellig. Consent wurde damals eher kleingeschrieben«, reflektiert Benji die Entwicklung der Szene. Die Rope Jams von Crucible oder etwa auch die Fesseltreffen vom Verein Querverbindungen bieten deshalb sogenannte Beginner’s Corners an, in denen die wichtigsten Sicherheitshinweise sowie erste Knoten beigebracht werden. So lädt die Community auch neue Leute ein, das Fesseln auszuprobieren, selbst wenn noch kein Vorwissen vorhanden ist.
Unter anderem solche Öffnungen machen die Kink-Community zunehmend sichtbarer und vielleicht verändern sich mit dieser Sichtbarkeit die bestehenden Vorurteile gegenüber Kink und Bondage. Denn wenn meine Erfahrungen mir eines gezeigt haben, dann, wie wenig das erste Bild, das bei den Begriffen Kink oder BDSM im Kopf entsteht, mit der in diesen Communitys praktizierten Realität gemein hat.
Der Verein Crucible veranstaltet neben Rope Jams auch Workshops, Ausstellungen und andere Events rund um die Kink-Szene. Auch der Verein Querverbindungen bietet neben den Fesseltreffen weitere Veranstaltungsformate. Die Autorin dankt Johanna, Elia, Benji, Astrid, Crucible und Querverbindungen, für die Möglichkeit eines ersten Einblicks in die Welt der Fesselungen.