Gender Gap: Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?

Toni Patzak hakt dort nach, wo es wehtut. Diesmal erklärt sie warum sie und ihr Bruder nicht immer den gleichen Rassismus erleben.

© Michael Schulte

Mein kleiner Halbbruder hat zwei nigerianische Eltern, das heißt, dass er im Gegensatz zu mir, die nur ein nigerianisches Elternteil hat, doppelt so scharf essen kann, doppelt so viele Tanten hat und doppelt so dunkel ist. Als er noch kleiner war, habe ich ihm oft bei Hausaufgaben und schulischen Angelegenheiten geholfen. Seine Schule lag etwa 15 Minuten von meiner Wohnung entfernt. Nachdem ich eines Tages doch sehr lange auf ihn hatte warten müssen, kam er lachend an und meinte, dass sein Handy keinen Akku mehr und er sich verfahren habe, aber niemand stehen geblieben sei, um ihm zu helfen. »Die eine Frau hatte sogar Angst vor mir, glaube ich.«

Er habe über 20 Minuten warten und Passant*innen fragen müssen, ob sie ihm den Weg erklären könnten. Wenn ich daran denke, geht mir das immer noch unter die Haut, weil ich weiß, wie sich so etwas anfühlen kann. Aber mein Bruder lachte nur. Er lachte und lachte, als hätte er einen Witz gehört. Ich verstand seine Reaktion nicht, weil aus meiner Sicht der einzige Witz, der in der Situation gemacht worden war, auf seine Kosten ging.

Wie man in den Wald hineinruft

Nach diesem Tag hatte ich öfters Angst, dass ihm etwas passieren könnte oder dass er von unseren Engeln in Blau mehr Aufmerksamkeit bekommen würde als notwendig. Sein Glück war, dass er nie so viel Blödsinn gemacht hat wie ich damals. Er war früh recht groß für sein Alter, aber trotzdem eindeutig ein Kind, wenn er den Mund aufmachte. Heute ist er noch größer und redet genauso viel Blödsinn, nur mit einer tieferen Stimme. Und weil er eben ein großer Schwarzer Mann mit dunkler Stimme ist, sorge ich mich, wie das wahrgenommen wird.

Rassismus ist immer komisch und macht Angst, aber Rassismus ist nicht gleich Rassismus. Sprich: Jeden trifft das anders. Woher du kommst, welche Staatsbürger*innenschaft du hast, wie du aussiehst, welches Geschlecht du hast und in welche soziale Schicht du geboren bist – all das spielt eine große Rolle und lässt das gleiche strukturelle Problem in vielen verschiedenen, hässlichen Farben erscheinen. So ist Diskriminierung für mich komplett anders als für ihn.

Er ist ein großer, böser, Schwarzer Mann, und ich bin eine kleine, dumme, Schwarze Frau. Er ist gefährlich, ich bin unfähig. Er wird von der Polizei angehalten, ich werde ungefragt angefasst – weil wir beide anders aussehen und deswegen entweder verdächtig oder ein Fetisch sind. Unsere Erfahrungen sind verwandt, stammen aus dem gleichen Sentiment, nur erleben wir den ganzen Spaß anders. Und weil wir unterschiedliche Erfahrungen gesammelt haben, gehen wir auch unterschiedlich damit um.

Das sage nicht nur ich, das sagen auch viele klügere Menschen, die Forschung zu Gendered Racism und differenzierte Coping-Mechanismen betreiben. Sie erklären, wieso ich damals nicht gelacht habe und wieso er sich nicht großartig für diese Kolumne interessieren wird. Ich möchte an dieser Stelle vermeiden, erst recht zu pauschalisieren und Schwarzen Menschen geschlechterspezifische Verhaltensweisen nachzusagen, aber: Wie man in den Wald hineinschreit, so kämpft er auch zurück. Allerdings sind viele der vorliegenden Studien sowohl in als auch mit der afroamerikanischen Community entstanden und daher nicht einfach auf den österreichischen Kontext zu übertragen, außerdem quantifizieren sie höchst individuelle Situationen und sind daher nie auf jeden spezifischen Menschen übertragbar.

Die Studie »Gender Differences in Coping with Racism« hat 2021 zum Beispiel feststellen können, dass Schwarze Männer, die Rassismus in Form von Angst oder Aggression erfahren, diesem oft mit Selbstzerstörung und aktiver Wut entgegenwirken. Das hat unterschiedliche Erscheinungsformen und kann von Überarbeitung und Burn-out bis zu Substanzmissbrauch und Selbstverletzung führen. Bei Frauen wurden hingegen häufiger Versuche der Assimilation beobachtet. Vermeidungsstrategien wie nicht aufzufallen oder herauszustechen, wie das Streben nach Stärkung durch religiöse und soziale Gruppierungen oder wie das Umgehen von Stressoren durch Minimierung und Leugnung der Erfahrungen. Aber wie gesagt, solche extrem persönlichen sozialen Verhaltensweisen wie Coping-Mechanismen sind immer schwer allgemein in Studien zusammenzufassen. Mich und meinen Bruder erkenne ich in diesen Beschreibungen etwa keineswegs wieder.

Schreiben oder lachen?

Nichtsdestotrotz ist es interessant und wichtig, die Verarbeitung und Bewältigung von Rassismus in verschiedenen Gendergruppen zu erforschen. Schon ohne strukturelles Trauma ist es meist schwer zu verstehen, wieso man manchmal auf Situationen auf gewisse Weise reagiert. Zu lernen, wie man seine Emotionen auf nicht destruktive Art regulieren kann, ist eine Lebensaufgabe und fällt in den Bereich unbezahlter Selbstarbeit. Besonders wenn man mit Unverständnis darüber allein gelassen wird, wie Wut von außen zu Wut von innen führen kann. Und mit der Frage, was man dagegen machen kann angesichts der Tatsache, dass man fortlaufend Traumata im Leben erfahren wird, die immer wieder in dieselbe Kerbe schlagen werden.

Ich als Schwarze Frau werde nie verstehen, wie es ist, das Leben als Schwarzer Mann zu durchlaufen, und Gleiches gilt im Umkehrschluss für meinen kleinen Bruder. Dennoch sind wir wenigstens nicht allein mit diesen Gedanken. Er hat eine Schwester, die halb gescheite Kolumnen schreibt, und ich habe einen Bruder, der auch einfach mal über das Ganze lachen kann.

Toni Patzak organisiert diverse größere und kleinere Kulturevents, studiert Kultur- und Sozialanthropologie und setzt sich für die Aufarbeitung systematischer Diskriminierung ein – mit Fokus auf die Schwarze Community in Österreich.

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