Toni Patzak hakt dort nach, wo es wehtut. In dieser Ausgabe widmet sie sich intersektionalem Diskriminierungsbingo.
Aktuell befinde ich mich auf einem Austauschsemester in Südafrika und komme das erste Mal in meinem Leben in den Genuss, die Blasseste in einem Hörsaal zu sein. In Österreich habe ich das noch nie geschafft, weder in der Schule noch an der Uni noch auf Partys. Nicht, dass ich jetzt meine, dass daran jemand die Schuld trägt oder dass man das umgehend ändern sollte. Es ist einfach etwas, womit ich mich schon mein ganzes Leben beschäftigen muss. Sich nicht wiederfinden zu können in den Gesichtern der Lehrer*innen, Professor*innen und Mitmenschen – das macht etwas mit einem. Erst psychologisch, dann nach und nach auch körperlich.
Diskriminierung macht krank
Wie Publikationen aus den USA seit den 1990ern zeigen, leiden Minderheiten – ganz egal, ob sexuelle, ethnische oder religiöse – unter einem sogenannten Minority-Stress. Wenn man einer Minderheit angehört, die von der Hegemonie bewusst oder unbewusst ausgegrenzt beziehungsweise diskriminiert wird, bekommt das der Körper mit.
Psychologisch manifestiert sich das etwa durch eine Häufung von Depressionen, Angstzuständen und Burn-outs in diesen Gruppen. Dabei sind die Coping-Mechanismen, auf die zurückgegriffen wird, oft genauso schädlich wie die Leiden selbst. So zeigt sich insbesondere bei marginalisierten Jugendlichen eine höhere Rate an Missbrauch von Alkohol und Drogen.
Physiologisch sorgt der über längere Zeiträume anhaltende Stress dann dafür, dass hohe Mengen des Stresshormons Cortisol ausgeschüttet werden. Auch blöd vom Körper, als Reaktion auf andauernde institutionelle und zwischenmenschliche Diskriminierung so zu reagieren wie eine Gazelle, wenn sie einen Löwen sieht. Ein dysfunktionaler Cortisolspiegel kann nämlich anstatt zu lebensrettenden Sprüngen zu Blutdruck-, Kreislauf- und Schlafproblemen sowie zu einem geschwächten Immunsystem führen. Eine Minderheit zu sein, ist also tatsächlich ungesund.
Was passiert aber, wenn man mehreren Minderheiten gleichzeitig angehört? So wie ich, die queer und Schwarz ist? Schon stressig genug, das Ganze, aber dazu kommt noch, dass ich auch eine Frau bin. Das ist zwar nicht unbedingt eine Minderheit, führt aber dennoch zu Diskriminierung.
Also, was haben wir bis jetzt? Erstens queer, zweitens Schwarz und drittens Frau? In welcher Reihenfolge ich das aufzähle, hängt davon ab, was mir zum größten Problem gemacht wird oder – siehe oben – was mich am ehesten umbringt. In meiner Heimat Wien müsste es jedenfalls heißen: erstens Schwarz, zweitens Frau und drittens queer.
Sexist oder doch Rassist?
Es ist keine Überraschung, dass man in Österreich noch offenen Rassismus finden kann. So passiert es mir durchaus hin und wieder, dass ich in der Bim die außergewöhnliche Aufforderung zu Ohren bekomme, doch nach Afrika zurückzugehen. Oder dass mir unverhohlen dargelegt wird, das Hitler damals recht gehabt hätte. Wenn ich kleinere Diskriminierungen erlebe, ist es manchmal jedoch schwer einzuschätzen, weswegen man mich gerade so behandelt. Weil Frau oder weil Schwarz? So weiß ich nicht, ob der Thermenwart ein Sexist oder doch ein Rassist ist, wenn er meint: »Darum müssen Sie sich nicht kümmern. Sie sind dafür für was anderes gut.«
Grundsätzlich nehme ich in Österreich eher an, dass es Rassismus ist, bevor ich Sexismus vermute. Das habe ich mir irgendwann so angewöhnt: erst mal vom für mich Gefährlichsten ausgehen und mich dann weiterarbeiten. Hat am Pausenhof halbwegs gut funktioniert, tut es heute noch immer.
Hier in Südafrika oder in der Interaktion mit meinen Schwarzen Verwandten dreht sich diese Standardannahme dann ziemlich schnell um. So frage ich mich nicht, ob alle meine Onkel internalisierte Rassisten sind, wenn man mich in einer Diskussion nicht zu Wort kommen lässt oder meine Meinung verniedlicht wird. Und egal ob das jetzt komisch klingt oder nicht: Das ist verdammt erfrischend! Ich gehe durch die Straßen Pretorias und mir wird etwas Ekliges hinterhergerufen – aufgrund meines Geschlechts und nicht meiner Hautfarbe. Dafür allein lohnt es sich zu reisen. So etwas kann man zu Hause einfach nicht bekommen, das ist ein ganz anderes Lebensgefühl. Ob ich eine Schwarze Frau bin oder eine Frau, die Schwarz ist, kommt eben darauf an, mit wem ich wo auf der Welt in Interaktion trete.
Intersektionales Bingo
Das User*innenerlebnis einer intersektional diskriminierten Person ist komisch und nicht wirklich benutzer*innenfreundlich angelegt. Noch verwirrender ist es, wenn Sexualität dazukommt. Dann weiß man teilweise gar nicht mehr, wo die eine Diskriminierung aufhört und die andere anfängt. Was mich an der Sache aber wirklich ärgert, ist nicht, dass ich eine Reihe im Identity-Politics-Bingo ausfüllen kann, sondern dass es tatsächlich meiner Lebensqualität schadet. Dass ich und meine Mitmenschen – egal aus welcher Gruppe – tatsächlich gestresster und daher kränker sind, weil wir uns eine Welt aufgebaut haben, die davon profitiert, dass es eine In- und eine Out-Group gibt.
Natürlich hoffe ich, dass zu meinen Lebzeiten noch erhebliche Verbesserungen stattfinden werden, damit meine Kinder nicht das Gleiche mitmachen müssen wie ich. Oder zumindest, dass man mich auch in Österreich nicht mehr aufgrund meiner Hautfarbe diskriminiert. Sondern nur noch aufgrund meines Geschlechts.
Toni Patzak organisiert diverse größere und kleinere Kulturevents, studiert Kultur- und Sozialanthropologie und setzt sich für die Aufarbeitung systematischer Diskriminierung ein – mit Fokus auf die Schwarze Community in Österreich.