Generation haltlos

Regisseur Marko Doringer versucht wieder das Bild einer Generation zu zeichnen. »Nägel mit Köpfen« ist die Fortsetzung seines autobiografisch dokumentierten Lebens. Wir haben mit dem Regisseur über sein verfilmtes Dasein gesprochen.

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Was macht mehr Angst: erwachsen werden, zusammenziehen oder Kinder kriegen? In seinem Dokumentardebüt »Mein halbes Leben« (2009) porträtierte Marko Doringer schonungslos sein Single-Leben Anfang 30. Hauptsächlich aus der Point-of-View-Perspektive gefilmt, gewährte er intime und amüsante Einblicke in sein Dasein als verunsicherter Zweifler. Damals war er noch Single. Außerdem waren seine Lebensumstände als Filmemacher prekär und seine Altersvorsorge nicht einmal ansatzweise greifbar. Nebenbei porträtierte er auch seinen Freundeskreis. Daraus wurde ein überraschendes Zeitdokument. »Mein halbes Leben« dokumentiert eine deregulierte Generation höherer Bildung, die Selbstverwirklichung und Existenzsicherheit für sich sucht.

Ein paar Jahre später lebt der Regisseur in einer Beziehung und zieht mit seiner Freundin Marlene in eine gemeinsame Wohnung. Jetzt wird es noch ernster. Die Fortsetzungsdoku »Nägel mit Köpfen« (2013) hinterfragt nun die Paarbeziehungen dieser Altersklasse auf ihre Tauglichkeit als Lebensanker.

Doringer hat wieder aus der eigenen Biografie geschöpft, sich und seine Freunde begleitet. Im Interview erklärt er, warum sein Film über den tiefen Einblick in sein Beziehungsleben hinausgeht. Abermals soll eine Generation abgebildet werden – ein paar Jahre später und ein wenig erwachsener.

Wäre „Nägel mit Köpfen“ (NMK) auch entstanden, wenn du deine Freundin Marlene nicht kennen gelernt hättest?

Ich weiß nicht was vorher da war: die Henne oder das Ei. Ich wollte schon wieder einen autobiographischen Film machen, aber nicht unbedingt eine Fortsetzung zur autobiographischen Dokumentation „Mein halbes Leben“ (MHL) [wo er noch Single war, Anm.]. Mit 35 Jahren hatte ich mich zum ersten Mal dazu entschlossen mit einer Frau in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Also ist NMK schon irgendwie wegen Marlene entstanden. Dass es aber wirklich eine Fortsetzung wird, ergab sich erst im Schneideraum.

Mit NMK sprichst du eine bestimmte Generation an. Welche ist das genau?

30- bis 40-jährige der oberen Mittelschicht. Vor allem den Frauen geht der Film sehr nahe, wegen dem Thema des Kinderkriegens in diesem Alter. Es ist aber natürlich nur eine Momentaufnahme meiner Generation.

Wenn ich mir jetzt MHL ansehe, also fünf Jahre danach, hat der Film schon einen anderen Drive für mich. Weil man nicht mehr in dieser Lebenssituation ist. MHL ist vorbei. Jetzt beginnt NMK. Es sind bestimmte Lebensphasen, durch die jeder irgendwann durchgeht. Für viele haben beide Filme eine Allgemeingültigkeit, die zeitlos ist.

Was hat sich zur Elterngeneration verändert?

Die Freiheiten sind größer. Wir sind zu einer viel mobileren Gesellschaft geworden. Im Unterschied zu unseren Eltern wechseln wir viel öfter die Wohnorte. Was aber auch ein positiver Aspekt davon ist. Negativ ist, dass viele Freundschaften verloren gehen. Nicht so wie meine Eltern, die ihre Freunde noch aus der Schulzeit haben. Das hat den Effekt, dass unsere Generation sich alleingelassen fühlt und einsam ist in der Welt und sich fragt, wo ist mein Zuhause? Fixe Partnerbeziehungen sind daher vielleicht ein Anker. Man hat eine Sehnsucht nach Beständigkeit, die man in einer Partnerschaft findet. Was aber nicht heißt, dass sie auch funktioniert.

Wie hast du es geschafft, dass die Paare ihre intimen Beziehungswünsche und –beschwerden so offen mit dir teilen?

Das gehört zu meinem beruflichen Werkzeug. Außerdem habe ich zwei Jahre lang mit ihnen gedreht. Es ist nicht nur so, dass ich als Regisseur die Protagonisten beobachte, sie beobachten mich auch. Sie schauen wie ich meine Arbeit mache, wie wichtig mir das ist und wie seriös. Sie stellen Fragen. Ich gab ihnen das Gefühl, sie und das Thema ernst zu nehmen und sie nicht nur zu verwenden. Als Dokumentarfilmer filme ich nun mal private Lebensgeschichten realer Menschen. NMK zeigt aber nicht nur private Geschichten, sondern auch einen übergeordneten Kontext, der eine gewisse Allgemeingültigkeit hat. Das Bild einer Generation, das über das Private hinausgeht.


Im Gegensatz zu MHL stehst du bei NMK vor der Kamera. Wie kommt es zu dieser Veränderung?

Es geht um Paare, nicht um Einzelfiguren. Nachdem es auch um meine Beziehung geht, musste ich eben vor die Kamera. Was vielleicht auch eine Weiterentwicklung von MHL ist – der Schritt vor die Kamera. Natürlich auch deswegen, weil ich die Privatheit meiner Protagonisten brauche, dass ich sie veröffentliche und damit Geld verdiene. Und indem ich mich selbst einbeziehe und mich vor die Kamera stelle, setze ich mich ins selbe Boot wie sie.

Gab es Situationen, wo die Protagonisten nicht wollten, dass du sie filmst?

Natürlich. Nicht nur für sie waren manche Situationen zu emotional, teilweise war es mir auch zu viel. Dann bin ich gegangen. Ich habe mich oft gefragt, wann ich filme und wann nicht. Auch das ist ein Vertrauensding: Nicht alles filmen zu müssen, nur weil es cool ist. Als Regisseur ist es nicht immer einfach dabei zu sein. Aber wenn ich dabei sein darf dann bin ich eben dabei. Das ist ja mein Beruf. Ich habe die Verpflichtung mir und meinem Publikum gegenüber einen möglichst spannenden Film zu machen. Es ist aber egal ob es meine Freunde sind oder nicht. Ich habe als Dokumentar-Regisseur immer die Verpflichtung die Grenzen der Protagonisten zu respektieren. Ob ich sie 10 Jahre kenne oder nur eine Woche.

Was ist in NMK noch anders als bei MHL?

Ich bin 5 Jahre älter geworden, reifer und in einer anderen Lebenssituation. Das Budget war aufgrund von MHL auch besser. Ich hatte mehr Möglichkeiten und mehr Freiräume. Auch meine Fertigkeiten als Regisseur haben sich verbessert. Die Erfahrungen aus dem ersten Film hab ich natürlich auch in den zweiten Film mitgenommen. Dramaturgisch weiß ich jetzt am Anfang mehr was am Ende rauskommen soll und was ich machen muss damit ich dorthin komm. Aber es gibt kein Rezept. Sonst würde man immer denselben Film machen. Das wäre ein Stillstand. Jeder Film fängt bei null an. Im Schneidraum beginnt dann erst die wirkliche Arbeit. Dort wird der Film gebaut. Da hab ich im Schnitt von MHL auch sehr viel gelernt.

Gab es ein Skript? Auch bei einer Dokumentation hat man bestimmte Vorstellungen oder?

Natürlich gab es Themen, die ich bei den Paaren versucht habe mit einzubringen. Es ist nicht so, dass ich blind in einen Dreh hinein gehe.

Wird es wieder eine autobiographische Fortsetzung geben?

Ich habe quasi vier Jahre durchgearbeitet. Jetzt mache ich mal Urlaub. Aber es kann schon sein, dass der nächste Film wieder autobiographisch wird. Mal schauen.

"Nägel mit Köpfen" feierte am 27. Februar als "Kick Off"-Film der Diagonale in Graz Premiere.

Bild(er) © Ben Jakon/Filmfabrik
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