Dieses Buch richtet sich nicht an Weiße. Es hat kein Happy End. Es ist nicht ausgewogen und dennoch ein wichtiges Rüstzeug – auch für eine europäische Rassismus-Debatte.
Sein Buch ist der Beitrag eines Antagonisten zu einer Debatte um die Frage: Was ist gerecht und wem genau gehört die Gerechtigkeit? Coates beschreibt auch seine Erfahrung mit dem Tod seines Studienkollegen Prince Jones, der im September 2000 aufgrund einer Verwechslung von der Polizei überwacht und anschließend erschossen wurde. Er sagt, durch dieses Ereignis und den Umgang der Autoritäten damit habe er sich weiter »radikalisiert«. Dieser Wortwahl zum Trotz feiert ihn die amerikanische Presse als eine der wichtigsten Stimmen in der Debatte um die Realität der afroamerikanischen Bevölkerung der USA. Speziell hier in Europa, wo wir mit einer weniger liberalen Auslegung davon leben, was Meinungsfreiheit bedeutet und wo ihre Grenzen sind, als die Amerikaner es tun, stößt man sich instinktiv daran.
Wo ist die Hoffnung
Gleichzeitig kann man sich fragen, ob er nicht mit vielen Dingen recht hat. Die USA verfügen über die größte Gefängnispopulation der Welt. Die Wahrscheinlichkeit im Gefängnis zu landen ist Human Rights Watch zufolge gegenwärtig für Afroamerikaner sechsmal so groß wie für Weiße und drei Prozent aller schwarzen Männer in den USA sitzen gegenwärtig im Gefängnis. Sie werden öfter für Drogenvergehen verhaftet, strafrechtlich verfolgt und schließlich eingesperrt als Weiße und sind überdurchschnittlich oft Opfer von Polizeigewalt.
Und obwohl das alles bekannt ist, in den USA und sogar hier in Europa, ist einer der größten Kritikpunkte an Coates’ Buch nicht die Verallgemeinerungen, die kollektive Schuld, die er den Weißen gibt, nicht sein Nationalismus, sondern die Tatsache, dass sein Buch für den Geschmack einiger Leser zu wenig Hoffnung zulässt. Man will von ihm, dass die Geschichte erbaulich ausgeht, dass er seinem Sohn ein »Irgendwann wird alles gut« mit auf den Weg gibt, an das er selbst nicht glaubt und welches auch nicht das Bild reflektiert, das sich ihm vom amerikanischen Rechtssystem bietet. Selbst Obama soll nach einer angespannten Diskussion mit Coates zu ihm gesagt haben, er möge nicht verzweifeln.
Die Laune der Welt
Ist also in der Welt kein Platz für zornige schwarze Schriftsteller, die dem Leser das Happy end verweigern? Am Ende muss man vielleicht sagen: Wen interessiert’s, ob Coates uns in den Kram passt? Er mag der Benachteiligung der Schwarzen in den USA eine weltweite Ausnahmestellung einräumen, sich in seinen Überlegungen selektiv auf die männliche und großteils auf eine Unterschichtsbetrachtung der Dinge beschränken. Es stimmt, dass er Konzepte, die er für die Schwarzen ablehnt, etwa, dass alle Schwarzen stets für die Tat des Einzelnen verantwortlich zeichnen sollen, ohne zu blinzeln auf die Weißen anwendet. Es ist wahr, dass er mit kaum einem Wort jene Weißen erwähnt, für die ein indirekt segregiertes Rechtssystem ein ebenso unerträglicher Gedanke ist wie für ihn.
Und trotzdem ist sein Buch wichtig, weil es Reaktionen zu all diesen Punkten provoziert, die nicht das schlechteste Rüstzeug für eine Rassismusdebatte sind, die gegenwärtig in Europa weit oben auf unserer To-do-Liste stehen sollte. Denn letzten Endes ist die direkte oder indirekte, die körperliche oder verbale Gewalt an ethnischen Minderheiten nicht nur die »Laune eines Landes«, sie ist die Laune der Welt.
»Zwischen mir und der Welt« von Ta-Nehisi Coates ist soeben auf Deutsch im Hanser Verlag erschienen.