Wenn dieses völlig abgedrehte, fantastisch-realistische Buch selbst noch kein Meisterwerk ist, dann zumindest die deutliche Ankündigung eines solchen.
Wir müssen immer weiter ausbrechen
"Die Sprachlosigkeit der Fische" ist eine Art Ausbruchsversuch und Gerda ein Alter Ego, das alles tun kann, was wir als unziemlich kennen. Sie kann sich unerwarteten Leidenschaftsausbrüchen hingeben, Fremde anbrüllen, in mittelmäßigen Burlesque-Shows mitspielen und sie reist relativ sorglos, wohin der Weg eben führt. Gerda ist die personifizierte Aufforderung zum Eskapismus. Margit Mössmer selbst lebt schon ziemlich lange mit ihrer wilden Heldin zusammen, was wahrscheinlich nicht immer einfach war. Schon als Mössmer noch Redakteurin beim österreichischen Jugendmagazin FM5 war, forderte Gerda ihren Platz in den Artikeln ihrer Schöpferin. Genauso würde man als Leser dieses Buches nun gerne verlangen, dass man darin auch mitspielen darf, sich selbst in die Geschichte einladen und dann irgendwo zwischen den Kapiteln darauf warten, von Gerda entdeckt zu werden. Natürlich lebte man in diesem Fall in einer Welt, in der man ständig und von jedem Ding, Tier oder Menschen um einen herum bei lebendigem Leibe gefressen werden kann, denn bei Mössmer bedeutet am Leben zu sein auch ständige Gefahr.
Seid nicht albern!
"Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen", sagte Goethe. Quatsch, Johann! Wo man mit Gerda war, dort war man auch ziemlich wirklich. Mössmers Buch ist eine Collage aus Erinnerungen an eine Welt, in der Realität nicht nur das umfasst, was tatsächlich passiert, sondern auch das Unmögliche dazugehört. Das schmale Büchlein ist also nicht nur, aber schon auch ein Reisebuch, denn ehe Gerda begann sie zu benutzen, war diese Welt eine unbewohnte. Bevor noch irgendjemand diesen Unsinn wiederholt, soll eine Sache gesagt werden: Margit Mössmer ist nicht der österreichische García Márquez, seid nicht albern! Doch auch ohne Vergleiche mit diesem Meister der lateinamerikanischen Literatur kann man ahnen, dass hier etwas Großes passiert. Mössmer hat Witz, Fantasie, eine geradezu isotonische Beziehung zu Sprache und wenn sie schildert, wie Gerda von einem majestätisch anmutenden und schauerlich stöhnenden Riesenhasen als Geisel genommen wird, stockt einem schon kurz einmal der Atem. Gleichzeitig liest sich ihre scheinbar trivialisierende Erzählung vom Tod eines Försters bei Waldarbeiten ein wenig wie ein Bühnentod in der Oper.
Wenn dieses völlig abgedrehte Buch selbst auch noch kein Meisterwerk ist, so scheint es zumindest eine deutliche Ankündigung eines solchen zu sein. Nur wenigen Autoren gelingt es, Wahnsinn und Skurrilität vernünftig zu dosieren und jedes Jahr scheitern erneut welche daran. Ein Buch darf nicht zu absichtlich verrückt sein wollen, sonst funktioniert es nicht. Margit Mössmers geniale Hintertür zu diesem Problem ist die starke Persönlichkeit Gerdas. Was kann eine Autorin schon für die Abenteuer ihrer Hauptfigur, wenn diese sich erst einmal losgerissen hat, um lebendig zu werden?
"Die Sprachlosigkeit der Fische" ist bei Edition Atelier erschienen.