Die Galerie Sophie Tappeiner zeigt derzeit Arbeiten der Wiener Künstlerin Anna Schachinger. Ein ausgeklügeltes System an kompositorischen Ausfallschritten hält die Dynamik der ungleichen Bildgewichtung und komplexen Räumlichkeiten in stetem Fluss. Formal bemerkenswert. Dahinter verbirgt sich eine Theorie von Wahrnehmung, die auf den ersten Blick nicht deutlich wird. Über den Zusammenhang von Inhalt und Form, bezogen auf Bild und Text.
Inhalt und Form – was oft als alternativloses Gegensatzpaar angeführt wird, ist tatsächlich eine etwas starre Vereinfachung. Inhalt und Form, subject and style (Susan Sontag, »Against Interpretation«) sind so einfach nicht zu trennen. Was nicht heißt, dass eine Beschreibung diese Unterscheidung nicht machen darf – man kann ja nicht alles auf einmal sagen.
Ein Bild dagegen kann alles auf einmal sagen. Denn: Sprache braucht Zeit, Sehen braucht keine. Trotzdem gibt es auch Bilder, die das Pärchen zu trennen suchen. Oft zeigt sich das darin, dass einer der beiden Partner »natürlich« belassen ist oder vernachlässigt zu sein scheint. Dass also eine »ungekünstelte« Darstellungsart angestrebt ist. Gar nicht so einfach, denn es ist wie mit dem rosa Elefanten: Man denkt erst recht an ihn. Das Problem ist, dass es ein »natürlich« nicht gibt. Die Versuche, so etwas zu finden, haben deshalb immer etwas Tragisches – jeder Versuch, ohne Stil zu berichten, ohne Aussage zu sprechen, ist eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Ouroboros, Sisyphos, zum Scheitern verurteilt. Das Paradox ist, dass einige dieser Versuche beeindruckende Kunstwerke hervorgebracht haben. Zum Beispiel die Strategien der Moderne, die die reine Visualität im Sinn hatten (»abstrakte Malerei«) bzw. sich in reinen Statements aufzulösen versuchten (»Konzeptkunst«).
Eigenständigkeit und Selbstwert
Es gibt aber auch eine weitere Gruppe von Bildern. Bilder, die die gegenseitige Abhängigkeit von Inhalt und Form hervorkehren und sie mit Nachdruck miteinander verkoppeln. In denen die doppelten Funktionen von Linien, Flächen zu begrenzen und Räume zu zeichnen, in Konflikt geraten. In denen Farbflächen nicht nur ihre Vorbilder mimen, sondern Eigenständigkeit annehmen und Selbstwert haben – als Farbe, als Form. Zu dieser Art Bilder gehört Anna Schachingers »Party mit Hexe«. Man erkennt vereinzelt Fragmente von Körpern und Fetzen von Farbe – kann beides aber nicht eindeutig Bildteilen zuordnen, weil jeder Teil beides ist. Ein Teil beginnt als fünf Finger einer Hand und driftet ab zur amorphen Figur, stößt als konkav geformtes Gelb in den Vordergrund und wird schließlich von Braun überschwemmt. Wo beginnen, wo enden Hintergrund und Figur? Nichts ist opak, und trotzdem ist nichts zu durchblicken.
In Wahrheit muss das Bild als Plural gesehen werden. Weder Perspektive, Raum, noch Zeit sind einheitlich gedacht. Als Einheit bleibt allein die Ebene der Leinwand, das dafür extrem. Die Farben sind ihr ohne Kreidegrund, verdünnt, direkt eingeschrieben. Die Grenze zwischen Bildträger und Farbe ist aufgehoben, Pigment ist Leinen und Leinen ist Pigment.
Viele Augen, die zurückblicken
»Party mit Hexe« ist ein zusammenhängendes System, in dem der kleinste Teil das Ganze bedingt. Das System speist sich dabei nicht nur aus sich selbst, sondern rechnet das betrachtende Auge mit ein – das Auge, das schließlich die Perspektive und damit die Form des Körpers definiert. In diesem Fall in der Mehrzahl: die Augen, die die Perspektiven definieren. Ein Anzeichen dafür sind die vielen Augen, die einem aus dem Bild zurückblicken. Und so wie also jedes Bild von etwas einen Standpunkt (oder viele) impliziert, kann sich auch keine Beschreibung einer Positionierung verwehren. Jeder Bericht ist eine Auswahl – und in der Wahl liegen Deutung und Stil. Ein Gegenstand verändert sich, je nachdem, unter welcher Beschreibung er erfasst wird (Elizabeth Anscombe, »Under a Description«). Das ist eine Einsicht, die unsere Wahrnehmung von Welt im Grunde bloß spiegelt, durch die offene Aussprache aber folgenreich ist: Jeder Blick ist gerichtet. Jedes Bild bildet ab – und bildet selbst. Jede Beschreibung interpretiert. Niemand bleibt neutral.
Anna Schachinger, geboren 1990, lebt und arbeitet in Wien. 2018 hat sie die Akademie der bildenden Künste mit Diplom abgeschlossen. Eine Auswahl ihrer Werke ist derzeit unter dem Ausstellungstitel »Aneinander« in der Galerie Sophie Tappeiner zu sehen. Sie zeichnen sich durch eine Beschäftigung mit explizit malerischen Möglichkeiten aus und verarbeiten unter anderem den zeitgenössischen Diskurs rund um Identitätspolitik.
Unsere Heftrubrik »Golden Frame« ist jeweils einem Werk zeitgenössischer Kunst gewidmet. In The Gap 194 ist dies: »Party mit Hexe« von Anna Schachinger.