Im Spätsommer zeigt die Fotogalerie im Wiener WUK unter dem Sammelbegriff »Zukunftsmusik« Werke, die die Grenzen audiovisueller Installations- und Performancekonzepte dehnen sollen. Laura Wagners Referenzfeuerwerk verdient dabei besondere Beachtung.
Wie lange kann etwas vergangen, aber nach wie vor Zukunftsmusik sein? Das ist nur eine der vielen Fragen, die das Werk »Leverkühn« von Laura Wagner aus 2008 nahelegt. 600 Weinbergschnecken komponieren dabei eine düstere Symphonie auf einem ausrangierten Klavierflügel. Dieser stammt aus den Wiener Sophiensälen. Ein Ort, der an die dunklen Flecken in der Geschichte Wiens erinnert. So wurde dort nicht nur 1926 die NSDAP in Österreich gegründet, die Räumlichkeiten dienten ab 1938 auch als Sammelstelle für zur Deportation bestimmte Jüdinnen und Juden – kurz bevor dort nach Ende des zweiten Weltkriegs im Sinne der damaligen »neuen Normalität« wieder Bälle und Operetten stattfanden.
Das rostige, modrig anmutende Instrument wirkt unter der Schneckendecke so, als würde es aus dieser Zeit erzählen wollen – visuell und durch die animalische Anregung der verschiedenen Oberflächen, Saiten und Holzteile. »Leverkühn« lebt dabei auch maßgeblich von der Stille, die notwendig ist, um die leisen Geräusche des Hauntology-Ambient-Stücks – das die Schnecken ohne aktives Bewusstsein schaffen und das sich im Laufe der Installation dem Chaos folgend ständig verändert – in größtmöglichem Umfang wahrnehmen zu können.
Unbehelligte Schnecken
Der Titel des Werks referenziert auf subtile Weise auf eine mögliche Interpretation einer kritischen Betrachtung der westlichen Zwölftonmusik. Der Name des Protagonisten in Thomas Manns Roman »Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde« ist dem Werktitel gleich und erlaubt einen Namedropping-Schwall: Die Figur wurde inspiriert durch die Biografie Nietzsches und begründet im Buch die Zwölftonmusik. Musikalisches Fachwissen bekommt Mann dabei von Theodor W. Adorno souffliert. Nach Erscheinen des Romans kam es zu Zerwürfnissen zwischen Thomas Mann und dem Wiener Komponisten Arnold Schönberg, der als tatsächlicher Begründer der Zwölftonmusik gehandelt wurde und wird, im Roman allerdings keinerlei Nennung findet.
Den Schnecken dürften alle diese Hintergründe und Verschränkungen relativ egal sein, während sie unbehelligt ihre Bahnen ziehen. Und auch an Ausdauer scheint es ihnen nicht zu mangeln: Die Konzerte, bei denen laut Laura Wagner keine Tiere zu Schaden kommen, wurden von der Künstlerin auf eine maximale Spieldauer von vier Stunden begrenzt.
»Leverkühn« ist als Teil der Ausstellung »Zukunftsmusik« bis 2. Oktober in der Fotogalerie Wien im WUK zu sehen.
Unsere Heftrubrik »Golden Frame« ist jeweils einem Werk zeitgenössischer Kunst gewidmet. In The Gap 188a ist dies: »Leverkühn« von Laura Wagner.